Die Entscheidung kam nicht überraschend: Ende Mai stimmte der Rundfunkrat des WDR den geplanten Programmveränderungen der Kulturwelle WDR 3 zu. Die Sache ist eigentlich gelaufen, der Streit aber nicht vorbei.
„Der Konflikt“ um die Radioreform habe „diesen Niedergang öffentlich dokumentiert und die latente Krise der ARD sichtbarer gemacht“, kommentierten das die „Radioretter“, die mit ihren Protesten wochenlang für Aufruhr sorgten: „Ebenso manifest wurde aber auch der Widerstand, der sich innerhalb wie außerhalb ihrer Sender gegen diesen Zerfall artikuliert hat und weiter artikulieren wird. (…) An diesen Widerstand nämlich wird anzuknüpfen sein – innerhalb wie außerhalb des WDR.“
Ein Nischenthema? Keineswegs. Denn in dem Streit um die Reform und im Gespräch mit den Initiatoren der „Radioretter“ Lothar Fend und Hans-Joachim Lenger (S. 20 ff.) – zeigt sich exemplarisch ein Grundproblem unserer gesamten Branche: die ausgeprägte Unfähigkeit von Journalisten und Medienhierarchen zur Kommunikation, wenn es um Veränderungen in den eigenen Häusern geht. Die Protestwelle, die in den vergangenen Wochen immer höher gegen die Reform schwappte, wäre verebbt, wäre wahrscheinlich gar nicht erst entstanden, hätten die Hierarchen im WDR von Anfang an ihre Vorhaben besser, offener „kommuniziert“, hätten so etwas wie „Change Management“ in eigener Sache betrieben.
Daran mangelt es nicht nur im WDR. Der Wandel der Mediennutzung und damit auch der Medien selbst ist bekanntlich für alle Gattungen ein stolpersteiniger Weg. Unwissen schürt Ängste, fehlende Informationen führen zu Verweigerungshaltung. Das aber können sich Journalisten und Entscheidungsträger in den Verlagen und Sendern – ja, auch in den öffentlich-rechtlichen – heute nicht mehr leisten. Zu schnell vollziehen die Nutzer draußen den Wandel und suchen sich ihre eigenen Informations- und Kommunikationswege, wenn sie ihre Bedürfnisse von den klassischen Medien nicht mehr ausreichend „verstanden“ fühlen.
Es reicht eben nicht, Reformen zu fordern, Visionen zu proklamieren. Oder Rechte einzuklagen – wie es beim aktuellen Streit um das Urheberrecht (siehe Seite 26 ff.) so drastisch geschieht. Ob nach draußen oder nach innen gewandt: Jede Neuerung, die vom Betroffenen nicht verstanden wird, hat keine Aussicht auf Erfolg. Denn wie soll beispielsweise eine lautstark geforderte Änderung des Urheberrechts wirksam werden, wenn der Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr klarzumachen ist, wie sie das Recht einhalten soll. Keine Frage: Geistiges Eigentum ist wertvoll und schützenswert. Da kann es keinen Dissens geben. Doch die Frage nach dem „Wie“ ist eben nicht einfach mit mehr „Recht“ zu beantworten. Mehr Recht, also mehr Rechtsschutz gegen die Kopiermoden im Netz, ist nur gegen den Preis von mehr digitaler „Überwachung“ möglich. Mal abgesehen davon, ob das tatsächlich im Sinne von journalistischer Arbeit sein kann, ist es doch mehr als fraglich, ob das heute noch eine Akzeptanz in der Bevölkerung fände: digitale Hausdurchsuchungen als Mittel der Rechtsverfolgung?
Das Gute an der lautstarken Debatte über eine Urheberrechtsänderung und auch über das nicht minder strittige Leistungsschutzrecht: Es rückt ein von uns, von den Medien selbst, lange vernachlässigtes Thema ins öffentliche Bewusstsein: Wie viel ist unserer Gesellschaft heute noch geistiges, kreatives Gut wert?
Die Debatte erinnert mich jedoch in Teilen an die Diskussionen um den Guttenberg-Doktortitel: Viele Leser, Zuschauer oder Hörer haben damals über Wochen nicht verstanden, was denn bitte an ein paar kopierten Zitaten schlimm sein solle. Worin der Unterschied zwischen solidarischem Schulschummeln und karriereschädigendem Zitate-Klauen, also geistigem Diebstahl, besteht, haben nur wenige, zu wenige erklären können.
Das mag auch an der lange gepflegten Verweigerungshaltung vieler Journalisten gegenüber den digitalen Kommunikationswegen und Techniken liegen. Das kann und – zum Glück – will sich heute kaum jemand mehr leisten. Doch immer noch berücksichtigen zu wenige Medienhäuser und Journalisten die Notwendigkeit, dass ein effektiver Wandel auch das Verständnis dafür voraussetzt. Branchenspezifisch bedeutet das: „Wer eine Redaktion bewegen will, dem muss klar sein, dass Journalisten qua Beruf alles Neue generell kritisch hinterfragen. Erst wenn allen verdeutlicht worden ist, warum die gesamte Redaktion digital in die Offensive gehen soll, werden die mehrheitlich indifferenten Redakteure zum Change Management bereit sein“, sagt Joachim Blum (s. Seite 35) mit Blick auf die Tageszeitungen, was jedoch gleichermaßen für jede andere Mediengattung gilt. Wolfgang Blau beispielsweise schafft gerade neue Newsroom-Strukturen, in denen Redakteure und Techniker künftig zusammen arbeiten werden. „Für Dünkel haben wir keinen Platz“, sagt er. Sein Ziel: Ein besseres Verständnis für die jeweiligen Bedingungen – kurzum eine bessere Kommunikation miteinander (s. Seite 46 ff.). Damit allein ist es natürlich nicht getan. Aber es ist ein wichtiger, ein richtiger Schritt zum notwendigen „Change Management“.
Annette Milz ist Chefredakteurin von „medium magazin“.
Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 5. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.