Standpunkt

„Hört auf mit dem Märchen, dass die Kulturradios in der Krise stecken. Richtig ist: Seit der Jahrhundertwende sind Reichweiten und Altersdurchschnitt stabil. Krisenjahre waren die 90er. Die Gesellschaft altert, unsere Kulturradios nicht.

Nur Träumer denken, es gäbe einen bestimmten Mix von Zutaten, mit denen man überall ein gleich erfolgreiches ideales Kulturprogramm machen könne.

Es gibt aber ein ‚Rezept‘, heilsam für alle Radioprogramme und nicht nur für Kulturradios: Analysiere zuerst, welche Programmfarben dein eigener Sender und Konkurrenten in deinem Sendegebiet schon anbieten. Konzipiere dann ein unverwechselbares, einzigartiges Angebot. So weit – so leicht. Sei mutig genug, dieses Konzept auch gegen Widerstände durchzusetzen und durchzuhalten.

Kulturprogramme sind zuallererst Radioprogramme und damit Begleitprogramme. Denn auch Klassikliebhaber und Kulturinteressierte hören zumindest tagsüber begleitend Radio. Die Vorstellung, dass das geneigte Radio-Publikum seine Sendungen aus Programmzeitschriften auswählen würde, ist museumsreif. Heute werden Programme eingeschaltet und keine Einzelsendungen. Das gilt auch für Kulturinteressierte.

Es ist deshalb eine Illusion zu glauben, man könne heute noch tagsüber mit heterogenen Mischprogrammen für wechselnde Minderheiten erfolgreich sein. Musik verbindet nicht nur, sie trennt auch. Mit jeder anderen Musikfarbe, die ich zusätzlich zur Klassik spiele, habe ich nicht nur die Chance, zusätzliche Hörer zu gewinnen. Mit Sicherheit stoße ich andere auch ab.

Kulturradio-Hörer haben oft Hörmenüs, stellen sich also die ihnen genehme Speisenfolge nach Gusto auch aus ergänzenden Gängen anderer Radioprogramme zusammen. Im Idealfall sollte ein Kulturprogramm dabei der Hauptgang sein.“

Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 25 bis 25. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.