Wandel braucht eine Strategie

Angesichts des rasanten Tempos beim digitalen Medienwandel mag es verwunderlich erscheinen, dass Zeitungsredaktionen sich immer wieder vorkommen wie beim Wettlauf von Hase und Igel. Hier die innovativen Digital Natives und da die Vertreter der Old Media, die den Umwälzungen in der digitalen Welt hinterherhecheln.

Doch wer Jahrzehnte lang auf die Zeitung als einziges Produkt fixiert war, der kann nur mit einer richtungsweisenden Strategie, mit definierten Konzepten und mit einem aufwendigen Change-Management-Prozess die großen Herausforderungen des Medienwandels und des Wandels bei den Mediennutzern meistern.

Strategie

Die Formulierung einer Strategie für die Redaktion und die Entwicklung von Konzepten sind die wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass eine Redaktion tatsächlich die Entwicklung zu einer medienkonvergenten Organisation schaffen kann.

Ansagen von Chefredakteuren in Konferenzen mit anschließender Mund-zu-Mund-Überlieferung sind ebenso wirkungslos wie das Delegieren der Aufgaben an die Onlineredaktion. Wer eine Strategie mit entsprechenden Zielen entwickelt und diese offensiv kommuniziert, hat allerdings nur den ersten wichtigen Schritt erledigt. Dann muss zwingend die eigentliche, harte Kleinarbeit folgen, die Erarbeitung von konkreten organisatorischen und inhaltlichen Konzepten. Merke: Nur eine neue, flexible Redaktionsorganisation kann den ständigen Innovationsdruck aushalten und ihm kreativ begegnen.

Aufklärung

Wer eine Zeitungsredaktion bewegen will, dem muss klar sein, dass Journalisten qua Beruf alles Neue generell kritisch hinterfragen. Erst wenn allen verdeutlicht worden ist, warum die gesamte Redaktion digital in die Offensive gehen soll, werden die mehrheitlich indifferenten Redakteure zum Change Management bereit sein. Die moderne Worthülse „Change Management“ bedeutet für die Zeitungsredaktion vor allem die Aufklärung der Mitarbeiter, deren Partizipation am Change-Prozess und die Qualifizierung der Redaktion. Ein effektiver Veränderungsprozess lässt sich nicht durch Ansagen aus der Chefredaktion erledigen.

Chefrolle

Apropos Chefredaktion: Selbstverständlich müssen die Mitglieder der Chefredaktion und die Ressortleiter den Wandel zur medienkonvergenten Redaktion überzeugend vertreten und auch vorleben.

Ansonsten lässt sich Change Management nicht als Top-Down-Prozess organisieren, sondern ist nur dann erfolgreich, wenn normale Redaktionsmitglieder in den Prozess als Akteure integriert sind.

Projektarbeit

Dazu bildet die Redaktion eine Projektgruppe, deren Zusammensetzung wichtige Kriterien erfüllen sollte. Die Gruppe darf keinesfalls zu groß sein; sie sollte die gesamte Redaktion repräsentieren und deshalb möglichst wenig mit Hierarchen besetzt sein. Und sie sollte in der Lage sein, die wichtigsten Instrumente des Projektmanagements anzuwenden, um den Prozess zu strukturieren.

Dieser Projektgruppe wird die Verantwortung für den Veränderungsprozess übertragen, es ist also keine Aufgabe für Chefs und Leiter. Die sind allerdings in einer Steuerungsgruppe vertreten, die sich regelmäßig von der Projektgruppe informieren lässt und über deren Vorschläge entscheidet.Wenn die Projektgruppe einen unverfälschten Ausgangspunkt für ihre Arbeit haben will, dann beginnt sie mit einer Prozessanalyse, in der Stärken und Schwächen von Planung, Organisation, Kommunikation und Produktion identifiziert werden. Diese Analyse sollte möglichst neutral sein und daher nicht von Redaktionsmitgliedern vorgenommen werden.

Qualifizierung

Erfolgskritisch für den gesamten Veränderungsprozess ist die Qualifizierung der gesamten Redaktion durch Workshops, in denen die Redakteure ein neues Selbstverständnis auf der Basis der Strategie entwickeln und digitale Kompetenzen erwerben.

Aus der Erfahrung mit mehr als tausend Redakteuren in solchen Workshops lässt sich feststellen: Wer sich die Zeit nimmt, die Redaktion einzubeziehen und zu qualifizieren, dem wird es gelingen, die Zeitungsredaktion zu einer medienkonvergenten Redaktion zu formen – das Alter der Redakteure spielt übrigens keine entscheidende Rolle; Ältere sind oft sogar motivierter, im digitalen Zeitalter Fuß zu fassen. Dieser Weg erfordert aber auch die kontinuierliche Fortsetzung des Innovationsprozesses, weil sich die Medien und die Mediennutzer dynamisch weiterentwickeln.

Joachim Blum unterstützt als Medienberater europäische Zeitungsredaktionen bei der Reorganisation und lehrt als Honorarprofessor im Fach Medienwissenschaft an der Universität Trier.

Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 35 bis 35. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.