Weltreport. Gott und die Welt

Medien-Nachrichten aus aller Welt: Die Weltreporter berichten für „medium magazin“ rund um den Globus.

Paul Flückiger aus Polen

Polens Presse spielt Ball

Warschau. Eine geschlagene Woche lang steckte Polens Presse den Kopf in den Sand und behauptete, die von Deutschland ausgehenden Boykottdrohungen gegen die in der Ukraine ausgetragenen EM-Spiele hätten nichts mit der besorgniserregenden Menschenrechtslage zu tun, sondern mit dem Landtagswahlkampf in Deutschland. Julia Timoschenko sei ja bereits seit Monaten in Haft, da sei es doch seltsam, dass Berlin erst jetzt aufwache, hieß es in der Presse. Die Boykottdrohungen deutscher Politiker seien „einzig dem beginnenden Wahlkampf geschuldet“, kommentierte die meinungsführende Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“. SPD-Chef Sigmar Gabriel, der mit seinen Boykottforderungen vorgeprescht sei, habe sich bisher weder an Chodorkowskis Inhaftierung in Russland noch Schröders Lob für Putin gestört. „Zum Boykott der Eishockey-WM in Weißrussland hatte einzig und erst noch halblaut ein unbekannter SPD-Politiker aufgerufen“, schrieb die Zeitung. Auch Boykottaufrufe gegen die Winterolympiade in Sotschi seien unter deutschen Politikern unbeliebt. Aber auf die Ukraine könne man eben ungestraft einprügeln, so der Tenor – nicht nur bei „Gazeta Wyborcza“.

Erst als auch noch die gesamte EU-Kommission, darunter auch der polnische EU-Kommissar für Budgetfragen Janusz Lewandowski, mitprotestierte, nahm auch die polnische Presse die EM-Boykottbewegung langsam ernst. Monatelang hatte man sich auf die EM gefreut und die organisatorischen Vorbereitungen kritisch verfolgt, nun aber drohte die politische Lage in der Ukraine alle Festfreude zu vergällen. Als Mitorganisator der in beiden Ländern ausgetragenen EM würde Polen bei einem Boykott unweigerlich mithängen. Das zeigte schon die Absage der EU-Justizkommissarin Viviane Reding für das EM-Eröffnungsspiel in Warschau. Der Ex-Dissident Adam Michnik, Chefredakteur der „Gazeta Wyborcza“, wagte als Erster den Sprung nach vorn. Als Co-Gastgeber und Nachbarland könne Polen weder zum Boykott aufrufen noch daran teilnehmen, erklärte er. „Umso wichtiger ist die Stimme der polnischen Zivilgesellschaft“, beteuerte Michnik nun in einem Appell auf der Titelseite für die Freilassung Julia Timoschenkos und sämtlicher politischer Gefangener in der Ukraine – auf Polnisch und Ukrainisch. Die Ukraine müsse spüren, dass Polen auf der Seite der Freiheitsfreunde stehe und nicht jener Kräfte, die die Freiheit mit Füßen treten. Michniks Aufruf wurde bereits von Hunderten von Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Medien unterschrieben.

Jürgen Styjak aus Ägypten

Kairo. Im von greisen Männern beherrschten Ägypten Mubaraks war die Redaktion der englischsprachigen Tageszeitung „Daily News“ ein Ereignis. Die Redakteure waren mehrheitlich Frauen, das Team erfrischend jung. Die Atmosphäre in ihrer Kairoer Büroetage wirkte wie ein Gegenentwurf zur lethargischen, verkalkten Gesellschaft um sie herum. Doch damit ist es nun vorbei: Am 20. April erschien die „Daily News“ zum letzten Mal.

Hin und wieder interviewte ich „Daily News“-Redakteure für ARD-Hörfunkbeiträge, zum Beispiel als der oberste Al-Azhar-Scheich den Studentinnen verbot, den Gesichtsschleier an der einflussreichen religiösen Al-Azhar-Universität zu tragen. Chefredakteurin Rania Al Malky und Stellvertreterin Sarah El Sirgany hatten das Verbot auf ein und derselben Zeitungsseite gleichzeitig kommentiert, mit einem Pro und einem Contra. Beide Frauen sind grundsätzlich gegen den Gesichtsschleier. Doch was sei, fragte El Sirgany, wenn die Bauern aus der Provinz ihre Töchter nur komplett verhüllt studieren lassen wollen? Bildung helfe den Frauen mehr als eine Kontroverse über fundamentalistische Äußerlichkeiten wie den Gesichtsschleier, so ihre Antwort.

Die Redakteure rangen darum, die Mechanismen der ägyptischen Gesellschaft unter der Oberfläche zu verstehen. Ihre Erkenntnisse waren ein ganz besonderer Mehrwert für die ägyptischen Leser, und auf den müssen sie zukünftig verzichten: Nun, sieben Jahre nach der ersten Ausgabe und nach sieben Jahren finanziellem Verlust, zogen ihre Geldgeber, liberal orientierte ägyptische Geschäftsleute, die Notbremse.

Dabei hätte es jetzt erst richtig losgehen können. Mit Mubarak verschwand der ewige Ärger, den die unbestechlich kritischen Redakteure und Autoren mit den Zensoren hatten. Zwei Ausgaben durften in den Jahren vor seinem Sturz nicht erscheinen, nächtliche Anrufe von Geheimdienstoffizieren waren keine Seltenheit. Mit der Revolution brach aber auch der Anzeigenmarkt zusammen. Nach dem Volksaufstand musste die einzige unabhängige englischsprachige Tageszeitung des Landes ein ganzes Jahr lang praktisch ohne Anzeigenkunden überleben. Übrig bleibt die staatliche „Egyptian Gazette“. Sie ist bestenfalls authentisch, aber im Grunde nur die Parodie einer Zeitung.

Jahrelang habe ich nach jedem außergewöhnlichen Ereignis, das Ägypten erschütterte, morgens zuerst geguckt, ob Rania Al Malky es in der „Daily News“ analysierte. Die Kommentare der mutigen Chefredakteurin gehörten zum besten, was ägyptische Medien boten. Man wird auch weiterhin Texte von ihr und ihrem Team lesen können, in privaten Blogs, aber ganz sicher auch in anderen Medien. Davon bin ich überzeugt.

Clemens Bomsdorf aus Dänemark

Heiße Luft aus Olympia

Kopenhagen. Es dürfte in der Medienlandschaft kaum etwas Unangenehmeres geben, als von der britischen Boulevardpresse verbal an den Pranger gestellt zu werden. Im Vorfeld der Olympischen Spiele in London geschah das dem dänisch-isländischen Künstler Olafur Eliasson – nicht ganz unverschuldet.

Der Weltstar mit Studio in Berlin kann sich sonst über Mangel an hervorragender Presse nicht beklagen. Doch Eliassons künstlerische Idee für London 2012 stieß bei den britischen Boulevardmedien, die davon im Vorfeld Wind bekommen hatten, auf wenig Gegenliebe. „Daily Mail“ titelte: „Eine olympische Geldverschwendung“, und warf dem Künstler vor, eine Million Pfund für nichts als heiße Luft kassieren zu wollen. Das war durchaus wörtlich gemeint, denn soweit bekannt wollte Eliasson mit dem Projekt „Take a deep breath“ dazu aufrufen, bewusst ein- und auszuatmen und seine Gedanken dabei auf einer speziellen Website zu publizieren. Die Summe sollte aus einem lotteriefinanzierten Unterstützungsfonds für das Kulturprogramm der Olympiade kommen. Das Projekt wurde beerdigt. Und wenn man Gerüchten aus London glauben darf, lag das auch an der schlechten Presse, die die Idee vorab bekommen hatte.

Den Journalisten kann man durchaus vorwerfen, auf eine arg billige Tour gegen ein Kunstwerk, mit dem sie sich nicht allzu sehr auseinandergesetzt hatten, polemisiert zu haben. Und das auch noch, bevor das Projekt offiziell vorgestellt worden war. Immerhin sprang schließlich der linksliberale „Guardian“ Eliasson bei und beklagte die Vorverurteilung durch die Kollegen. Andererseits hat Eliasson die Möglichkeit, das Ding zu drehen, gar nicht erst genutzt: So wollte „Daily Mail“ Eliasson die Chance geben, Stellung zu beziehen – doch das wollte der Künstler nicht. Keine kluge Verteidigungsstrategie. Und die später in der „Welt“ gedruckte Behauptung, Eliasson würde mit juristischem Beistand versuchen, doch noch Geld für das Projekt zu bekommen, wurde aus der Online-Ausgabe auf Betreiben von Eliassons Studio wieder gelöscht.

Der ist halt längst eine Marke wie BMW oder Louis Vuitton, da gilt es, Rückrufaktionen zu vermeiden. Ob’s dem Image gut getan hat, wird sich zeigen.

Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 18 bis 19. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt die
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