Wirtschaft im Lokalen

Der örtliche Metzger hat umgebaut, der Bauunternehmer bietet ein tolles Gewinnspiel, im Gewerbegebiet öffnet ein Outlet Center und die Stadtsparkasse lädt zum Mittagessen mit Präsentation ihrer Bilanz. Die Nachrichtenlage in der lokalen Wirtschaft scheint auf den ersten Blick fade und unoriginell. Und wie gehen die Wirtschaftsseiten deutscher Lokalredaktionen damit um?

Da liest man dann, dass die heimische Volksbank sich durch „Stabilität, Verlässlichkeit und Unabhängigkeit“ auszeichne und deren Vorstand „daher weiter optimistisch in die Zukunft“ blickt. Oder über einen großen Arbeitgeber vor Ort, der 1,2 Millionen Miese gemacht hat: Damit habe der Konzern „ein weiteres Mal bewiesen, sich trotz eines schwierigen Umfeldes operativ zu behaupten“. Oder eine schöne Meldung über ein Gewinnspiel der Sparkasse, in der sich drei Kunden „über je zwei Karten für das Spektakel Rhein im Feuerzauber freuen“.

Kein Wunder, dass die Fachwelt über solche Wirtschaftsberichterstattung die Nase rümpft. 2010 kam die Otto-Brenner-Stiftung in einer Studie zu dem Schluss: „Um die Qualität und die Kompetenzen des Wirtschaftsjournalismus ist es in der Breite des massenmedialen Systems schlecht bestellt.“ Und schon vor Jahren konstatierte das „Netzwerk Recherche“: „Wirtschaftsjournalismus ist in der Tendenz unkritischer und affirmativer als die Berichterstattung in anderen Ressorts.“

Gemeint sind damit die bundesweiten Wirtschaftsseiten. Doch im Lokalen trifft diese Kritik umso mehr zu. In vielen Lokalredaktionen wird die Wirtschaftsseite nebenher gemacht. Häufig fehlt es an kritischer Distanz und am Fachwissen.

Ursachen der Defitzite

Armin Zimny sieht die Branche in einem beängstigenden Zustand: „Die Qualität, die in einigen Regionalzeitungen in der Wirtschaftsberichterstattung abgeliefert wird, ist erschreckend.“ Zimny ist Diplom-Ökonom und war lange Jahre Wirtschaftsredakteur. Heute sitzt er als Pressesprecher Personal und Soziales bei der Audi AG auf der anderen Seite des Tisches. Er hat erlebt, dass junge Journalisten anrufen und fragen, wie sie ihre Geschichte machen sollen. „Ich habe oft das Gefühl, dass zu wenig in die Kompetenz des Nachwuchses investiert wird.“ Das liege vor allem an der Politik in den Verlagen, wo Betriebswirtschaftler die Redaktionen kaputtsparten und Chefredakteure häufig nur noch als Manager eines Redaktionsteams agieren könnten.

Oft sei der Ausbildungsstand der Redakteure in lokalen und regionalen Printmedien, die sich mit Wirtschaftsthemen befassen, nicht ausreichend. Selbst in den Wirtschaftsredaktionen gebe es Kollegen, die seien nicht in der Lage, einen Bilanzbericht zu verstehen. Stattdessen würden landauf, landab dieselben „Experten“ und „Analysten“ zitiert. Damit mache man sich abhängig von externen Meinungen. Themen würden häufig oberflächlich dargestellt. „Eine tiefgehende Analyse wird offenbar nicht gewünscht.“ Hinzu komme, dass eine qualitative Prüfung der Artikel nur noch selten stattfinde.

Nicht ganz so dramatisch sieht Claudia Mast die Lage. Die Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Stuttgart-Hohenheim verfolgt seit vielen Jahren die Branche. Wirtschaft sei gefragt und behandle eine immer breitere Themenpalette: „Die Wirtschaftsberichterstattung orientiert sich zunehmend an den Anforderungen der Gesellschaft und der Lebenswelt der Menschen. Eine Renaissance der wirtschaftspolitischen Berichterstattung zeichnet sich ab“, so Mast. Bei einer Umfrage ihres Instituts 2009 formulierte die Mehrheit der Chefredakteure den Anspruch, mehr Hintergrund und Analyse zu liefern. Das hat sich eher noch verstärkt (s. a. Seite 54 f.)

Das ist die eine Seite. Doch der Alltag besonders in kleinen Redaktionen sieht nach wie vor oft anders aus. Nur wenige Lokalredaktionen verfügen über einen ausgewiesenen Fachmann. Wirtschaftsseiten werden aus PR-Material zusammengebaut, Berichte aus Bilanzpressekonferenzen ohne Einordnung und Hintergrund geschrieben, dazu Preisrätsel und Spenden heimischer Firmen und Neueröffnungen.

Auch Claudia Mast sagt, dass die Redaktionen dem Anspruch, Analyse zu liefern, nur teilweise gerecht werden. „Unter den Bedingungen der Tagesaktualität ist eine analysierende Berichterstattung äußerst schwierig umzusetzen. Der Anspruch kann also nur eingelöst werden, wenn die Redaktionen nicht, kaputtgespart‘ und die Schwerpunkte entsprechend gesetzt werden“, so die Professorin.

Hinter vorgehaltener Hand geben das Kollegen auch zu. Sie berichten von Hofberichterstattung, von der Macht und der hohen Professionalisierung der PR-Abteilungen und Agenturen. „Denen wird viel zu viel vertraut – da ist man schnell übers Ohr gehauen“, sagt ein Kollege, der nicht genannt werden will. Ein anderer sagt, dass die Kollegen vieles naiv übernehmen, was von den Unternehmen geliefert wird. Häufig herrsche ein Mangel an Zeit, an Distanz, an Kritik und Fachwissen. Claudia Mast sieht diese Probleme ebenfalls: „Es steht und fällt mit der Expertise und den Ressourcen in den Redaktionen.“ Nach wie vor fehle es in vielen, vor allem kleineren Tageszeitungsredaktionen an Fachredakteuren und Wirtschaftskompetenz.

Die Professorin sieht noch andere Defizite. Nach wie vor werde die eigentliche Stärke der Tageszeitung zu wenig genutzt: „Die ressortübergreifende Zusammenarbeit und die Möglichkeit, in einer universell aufgestellten Redaktion Zusammenhänge herzustellen und Querschnittthemen zu bearbeiten.“ Außerdem spiele crossmediales Arbeiten nur eine geringe Rolle. Mast: „Von den weitreichenden Erwartungen, die noch vor einigen Jahren herrschten, ist häufig nicht viel übrig geblieben.“ Die Kommunikationswissenschaftlerin stellt fest: „Wirtschaftsberichterstattung im Internet wird von den klassischen Medienakteuren dominiert. Eine echte crossmediale Vernetzung der Berichterstattung findet sich selten.“

Beim Deutschen Presserat ist zwar die Zahl der Beschwerden über eine Verletzung des Trennungsgrundsatzes – zu deutsch: Schleichwerbung – in den letzten Jahren gestiegen. Doch treffe das nicht auf Tageszeitungen zu, so Arno Weyand, Referent im Beschwerdeausschuss des Presserates. Das Problem – es ist in Ziffer 7 des Pressekodex als Trennungsgrundsatz zwischen Werbung und Redaktion beschrieben – tauche eher in Publikumszeitschriften als in der Tagespresse auf. Dennoch, so Weyand, sei es gerade in der lokalen Wirtschaftsberichterstattung ein schmaler Grat: Hat diese Geschichte einen Werbeeffekt oder besteht ein öffentliches Interesse?

Empfehlungen

Weyand empfiehlt: „Redaktionen können sehr viele Probleme vermeiden, wenn sie kritisch über die PR-Texte drübergehen und immer fragen: Ist das von Interesse für meine Leser?“ Im Zweifel solle man dann lieber gar nicht oder nur sehr zurückhaltend berichten. Weyands Tipp: „Wer werbliche Sprache vermeidet, nicht die Sätze des Geschäftsführers übernimmt und bei Sammelartikeln nicht einzelne Geschäfte oder Produkte herausstellt, ist meist auf der sicheren Seite.“

Das Problem, so viele Experten, seien jedoch weniger die PR-Geschichten, als vielmehr jene Storys, die nicht im Blatt stehen. „Abkehr vom investigativen Journalismus findet bereits im Kleinen statt“, so Armin Zimny. Wenn etwa durch Druck von Anzeigenkunden Geschichten gestoppt oder „bereinigt“ werden. Welche Kollegen sind schon mutig und versiert genug, sich mit den lokalen Wirtschaftseliten anzulegen?

Zimny: „Häufig haben Kollegen selbst schon die Schere im Kopf und gehen nicht ergebnisoffen an Geschichten ran.“ Seine Empfehlung: Sehr gut verdrahtet sein, sehr gut vorbereitet sein, kritische Distanz und Liebe zum Job. Darüber hinaus: „Ich wünsche mi
r mehr Chefredakteure, die mit breiter Brust dastehen und für mehr Qualität in der Berichterstattung sorgen.“

Lese:Tipps

Regeln: Einen ausführlichen Leitfaden zur Trennung von Werbung und Redaktion kann man sich beim Deutschen Presserat herunterladen: www.presserat.info/inhalt/dokumentation/publikationen.html

Nachschlagewerke:

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat ein Fachwörterbuch ökonomischer Begriffe veröffentlicht: „pocket wirtschaft“ von Gerhard Willeke, kostenlos zum Download unter:

www.bpb.de/system/files/pdf/QTBEX0.pdf

Eine Erklärung wirtschaftlicher Fachbegriffe bietet unter anderem das „Handelsblatt“: www.handelsblatt.com/wirtschaftslexikon

„Die Sprache der Wirtschaft“ von Christoph Moss (Hrsg.), VS-Verlag, Wiesbaden 2009, 202 Seiten, 24,90 Euro.

Termin:Tipp

„Gut investiert – Wirtschaft im Lokalen“ heißt der Titel eines Modell-Seminars vom 24. bis 28. September in Augsburg.

Veranstalter ist der Fachbereich Multimedia/Journalistenprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung und deren Projektteam Lokaljournalisten (PLJ). Teilnahmegebühr: 120 Euro. Infos und Anmeldung bei Berthold Flöper:

E-Mail: floeper@bpb.de

Medium:Online

Zum Nachlesen und -denken: Das Interview mit Claudia Mast über den Zustand und die Chancen des Wirtschaftsjournalismus ist dokumentiert unter:

www.mediummagazin.de

Robert Domes ist freier Autor und Journalist.

domes@robertdomes.com

Erschienen in Ausgabe 06/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 53 bis 54. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.