Ausgebildet beim Zeitunglesen

Seit Jahren klagen Wirtschaftsunternehmen über mangelnde „Ausbildungsreife“ der Lehrstellenbewerber. Rechnen und Schreiben beherrschen viele eher schlecht als recht, von tagespolitischem Wissen ganz zu schweigen. Das haben einige Zeitungsverlage als Chance entdeckt, das Prinzip von „Zeitung in der Schule“-Projekten auf Unternehmen zu übertragen: „Zeitung in der Lehre“ eben.

Azubis haben Konjunktur

Dass man mit derlei Initiativen bei Arbeitgebern auf offene Ohren stößt, stellt Nina Koch regelmäßig fest, die für die Berliner Redaktionsagentur Raufeld Medien Kinder- und Jugendprojekte für Zeitungsverlage betreut: „Die Firmen sind sehr interessiert, weil sie seit Jahren feststellen, dass es an Sprachkompetenz und Allgemeinbildung fehlt.“ In der Tat, mittlerweile haben Azubi-Projekte Konjunktur: Beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) sind zwei Dutzend Verlage gelistet, die aktuell Azubis mit Zeitungen versorgen, viele weitere Medienhäuser bereiten solche Projekte gerade vor. So werden in diesem Herbst auf Initiative des Verbands Hessischer Zeitungsverleger flächendeckend Projekte für Auszubildende gestartet. 18 Medienhäuser werden dann Azubis in Hessen ein Jahr lang mit der Zeitung versorgen, die Uni Gießen begleitet das Projekt wissenschaftlich, unterstützt vom hessischen Wirtschaftsministerium.

Die Azubi-Projekte sehen überall ähnlich aus: Der Verlag spricht Firmen an, diese melden Azubis für das Projekt. Die jungen Leute bekommen ein Jahr lang (manchmal länger) ein Zeitungsabo, das von den Ausbildungsbetrieben bezahlt wird. Das Projekt wird so Teil der Ausbildung, auch Wissenstests gehören dazu. Damit können die Ausbilder nicht nur überprüfen, ob die jungen Leute etwas dazulernen – für die Unternehmen ein wichtiger Faktor. Zum anderen sollen die Tests das Zeitunglesen attraktiv machen, weil sie mit Wettbewerben und Gewinnspielen verbunden sind. Manche Verlage bieten zusätzliche Veranstaltungen, vom Ausflug bis hin zum medienpädagogischen Programm.

Alle Verlage, die diese Aktionen anbieten, eint die Hoffnung, in eine bis dato kaum erreichbare Leserschicht vorzudringen. Dazu können sie so die Bindung zu lokalen Unternehmen stärken und etwas für ihr Image, ihre Marke, die Leser-Blatt-Bindung tun. Und nebenbei auch für die Abozahlen.

Die Hoffnung auf mehr Abos

Der BDZV wirbt aktiv für solche Projekte und unterstützt die Zeitungshäuser mit einem Leitfaden. Natürlich gehe es dabei um das Gewinnen neuer Leser, so BDZV-Sprecherin Anja Pasquay. Die Ansicht, die Azubis würden alle zu Abonnenten und die kooperierenden Unternehmen zu Anzeigenkunden, sei jedoch „zu kurz gedacht“. Vielmehr solle die Zeitung ihre Stellung als Lokalmatador ausbauen und als Marke gestärkt werden. Eher sei die Botschaft: „Zeitungen tun was für die Gesellschaft.“ Schließlich beschränke sich die Aktion nicht auf das Verteilen von Abos, vielmehr werde mit Azubis und Ausbildungsleitern über Inhalte gesprochen und die Allgemeinbildung verbessert. „Wenn dabei der Gedanke entsteht, dass Zeitunglesen hilfreich ist, haben wir nichts dagegen“, sagt Pasquay, außerdem hätten die vielen Forschungsprojekte schließlich gezeigt, dass die Aktionen sinnvoll seien.

Auch Bettina Rothärmel vom Braunschweiger Zeitungsverlag (BZV) ist überzeugt, dass sich der hohe Aufwand lohnt. Bildungsarbeit gehöre zur regionalen Verantwortung der Zeitung. Zum anderen verweist sie auf eine Studie der FH Heilbronn über Langzeitfolgen von medienpädagogischen Programmen: „Junge Menschen, die man mit solchen Projekten begleitet, werden tendenziell eher Printleser.“

Nina Koch von Raufeld Medien findet außerdem: „Das Vertrauen der jungen Leute in die Lokalzeitung wird gestärkt.“ Dass das funktioniert, zeigt etwa die Azubi-Aktion „Jobfit“ der „Heilbronner Stimme“, die Raufeld in diesem Frühjahr startete.

Diese Projekte wurden von Anfang an auch wissenschaftlich begleitet. Etwa das Projekt „Zeitung lesen“ (ZeiLe), das die „Rheinpfalz“ 2006 ins Leben rief und das inzwischen vier weitere Verlage übernommen haben („Allgemeine Zeitung Mainz“, „Rhein-Zeitung“, „Saarbrücker Zeitung“ und „Trierischer Volksfreund“). In diesem Verbund werden derzeit rund 1.400 Azubis aus 270 Betrieben täglich mit ihrer Lokalzeitung versorgt. Unterstützung gibt es von den jeweiligen Landesbildungsministerien und vom Verlegerverband.

Mehr als nur Zeitunglesen

Die „Rheinpfalz“, die vor sechs Jahren mit rund 70 Azubis eines regionalen Handelsunternehmens begann, versorgt heute gut 500 Azubis aus 100 Betrieben, berichtet Projektbetreuerin Birte Ambrosius. Der Erfolg sei teils auf eigene Akquise und Berichterstattung, teils auf Mundpropaganda unter den Firmen zurückzuführen, vor allem aber auf die Ergebnisse der Begleitstudie der Universität Koblenz-Landau. Für Ambrosius ist die wichtigste Erkenntnis, „dass alle vom Projekt profitieren können, egal ob Haupt- oder Realschüler oder Abiturient“. Lesen bildet, so die etwas erwartbare Kernaussage der Studie. Ambrosius: „Dies Jahr für Jahr bestätigt zu sehen, ist immer wieder beeindruckend.“

„Wir stellen in allen Bereichen einen Wissenszuwachs fest“, so der Diplom-Soziologe Daniel Alings. Er begleitet für die Uni Landau die fünf Zeitungshäuser in Rheinland-Pfalz und im Saarland mit Fragebögen, Wissenstests und einer Studie. Die Ergebnisse würden von den Unternehmen „teilweise euphorisch“ aufgenommen, berichtet er. Ob Geschichte, Naturwissenschaft, Politik, Kunst oder Wirtschaft – die Azubis erreichten im Laufe des Projekts auf allen Gebieten ein höheres Bildungsniveau. Interessant sei, dass sich nicht nur die Mediennutzung, sondern auch die Bindung der Teilnehmer an das lokale Medium verstärke.

Ähnlich sehen die Ergebnisse beim Projekt „Zukunft Bilden“ des BZV aus. Dort wurden die 430 jungen Teilnehmer von der Technischen Universität Braunschweig getestet. Unabhängig von der schulischen Vorbildung sei das Allgemeinwissen der Azubis nach einem Jahr Zeitungslektüre gestiegen, so BZV-Prokuristin Rothärmel. In Braunschweig werden die Azubis nicht nur mit Zeitungen versorgt, sondern erhalten ein medienpädagogisches Programm. Das reicht von der Schreibwerkstatt bis zum Promi-Interview. „Wir vermitteln dabei die wichtigsten Dinge der Medienkunde“, so Rothärmel, „das ist eine tatsächliche Teilhabe an Medienkommunikation.“ Die Events sind auch bei der „Rheinischen Post“ ein wichtiger Bestandteil. Die RP gilt als Erfinder der Azubi-Aktionen. „News to Use“ heißt das Projekt, an dem zwischen 500 und 600 junge Menschen teilnehmen. Sie bekommen neben der Zeitung ein Programmangebot aus Veranstaltungen, Gewinnspielen und Wissenswettbewerben, so Alexander Friedrich, bei der RP zuständig für Vertrieb und Lesermarkt. Friedrich sorgt für die Kommunikation mit den Unternehmen, er wird bei Events und in der Berichterstattung von der Redaktion unterstützt.

Manche Verlage fürchten jedoch die Arbeit, von der Akquise der kooperierenden Firmen über die Workshops bis zu den Wissenstests. Marc Hartmann vom Saarbrücker Zeitungsverlag beschwichtigt: „Der Betreuungsaufwand ist sowohl für den Verlag als auch für die teilnehmenden Auszubildenden und die Ausbildungsbetriebe gering.“ Auch Thorsten Merkle weiß, dass Verlage Respekt davor haben. Er leitet das Wissensnetzwerk bei „Jule“, einer Jugendinitiative von BDZV und TBM Marketing. Um Partnerverlagen diese Arbeit zu erleichtern, haben sie Handreichungen entwickelt, außerdem gibt es eine webbasierte Quizplattform mit Fragen für die Wissenstests, die von den beteiligten Verlagen genutzt oder bei Bedarf auch individualisiert werden können. Die Auswertung erfolg
t automatisch.

Damit Azubi-Aktionen Erfolg haben, empfiehlt Merkle, das Projekt im Medienhaus möglichst hoch anzusiedeln. Außerdem sei es wichtig, dass Vertrieb und Marketing integriert seien. Die „Rheinische Post“ mache das auf sehr gute Weise vor.

Doch Erfolg in Form steigender Abozahlen oder Anzeigenverkäufe für die Verlage bedeutet das noch lange nicht: Die erzielten Abo-Gewinne sind eher mager. Die RP machte etwa die Erfahrung, dass die Abo-Angebote nach Ablauf des Projektjahres von den Azubis kaum angenommen würden. Auch Thorsten Merkle macht klar: „Es ist illusorisch zu glauben, dass Azubis direkt nach dem Projekt die Zeitung abonnieren.“ Doch er gibt die Hoffnung nicht auf, dass sich diese Investition irgendwann auszahlt, schließlich seien Azubis „viel mehr lokal verwurzelt als etwa Studenten“. Auch Birte Ambrosius von der „Rheinpfalz“ ist überzeugt, dass es fruchtet: „Es ist ein kleines Substitut für die früher übliche Gewohnheit, mit dem Medium aufgewachsen zu sein.“

INFOS

„Zeitung für Azubis“ der „Mittelbayerischen Zeitung“: www.mittelbayerische.de/zeitungfuerazubis

„Zeitung macht Azubis fit“ der „Rhein-Zeitung“: www.rhein-zeitung.de/verlag/zeitungmachtazubisfit.html

Studien über „ZeiLe“ der Universität Landau: www.uni-landau.de/zeile „Jobfit“ der „Heilbronner Stimme“: www.jobfit-stimme.de

Azubi-Projekt der „Lippischen Landes-Zeitung“: www.lz.de/azubi Medienkompetenz-Projekt des BZV: www.zukunftbilden.org „News to Use“ der „Rheinischen Post“: www.news-to-use.de

Robert Domes

ist freier Autor und Journalist.

domes@robertdomes.com

Erschienen in Ausgabe 07+08/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 46 bis 47 Autor/en: Robert Domes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.