Der Speer der Nation

JOHANNESBURG. Wütende Demonstranten verbrannten ganze Stapel der „City Press“, führende Politiker riefen zum Boykott der Tageszeitung auf, die Redaktion erhielt Drohbriefe. All das wegen einer Ausstellungsrezension – einem Bericht über die Schau in der Johannesburger „Goodman Gallery“ samt Foto vom provokantesten Bild, „The Spear“. Die Arbeit des Künstlers Brett Murray zeigt Südafrikas Präsidenten Jacob Zuma in Lenin-Pose mit offener Hose und heraushängendem Geschlechtsteil. Laut Murray eine satirische Darstellung politischer und patriarchaler Macht. Zuma, bekennender Polygamist mit vier Ehefrauen, fand das gar nicht witzig. Er fühlte sich in seiner Würde gekränkt und mit ihm seine Anhänger. Proteste auf der Straße, eine Klage vor Gericht und Hetzkampagnen gegen Galerie und „City Press“ waren die Folge.

Die in der südafrikanischen Verfassung garantierte Freiheit der Kunst und der Presse, für die sich auch die Regierungspartei ANC im Kampf gegen die Apartheid eingesetzt hatte, spielte bei der Kontroverse leider kaum eine Rolle. Bevor die Richter sich mit dem Fall befassen konnten, gaben Galerie und „City Press“ dem enormen Druck nach. Das Bild wurde abgehängt und von der Webseite der Zeitung entfernt. Aus Sorge und Angst habe sie diese schwierige Entscheidung gefällt, erklärte die sonst so streitbare Chefredakteurin der „City Press“ Ferial Haffajee. Das ist auch deshalb schade, weil es interessant gewesen wäre zu erfahren, welche Position die Richter in diesem Streit zwischen Würde des Einzelnen und Meinungsfreiheit beziehen.

Die Kontroverse um den „Speer der Nation“ hat erneut vor Augen geführt, wie schwer sich die ANC-Regierung unter Jacob Zuma mit der Meinungs- und Pressefreiheit tut. Die Vielzahl der Stimmen in der jungen Demokratie ist ihr lästig. Die Medien berichten fast täglich über Korruptionsfälle, Vetternwirtschaft und Amtsmissbrauch. Eine unbequeme Situation, die der ANC per Gesetz beenden möchte. Im November wurde das umstrittene „Gesetz zum Schutz staatlicher Information“ mit der ANC-Mehrheit durch das Abgeordnetenhaus gewinkt. Seitdem liegt es bei der zweiten Parlamentskammer, die ebenfalls zustimmen muss, bevor der Präsident diesen Angriff auf die demokratischen Grundwerte in Kraft setzen kann. Die unscharfe Formulierung des Textes gibt staatlichen Behörden genügend Spielraum, um korrupte Machenschaften zu vertuschen, Enthüllungsjournalisten drohen bis zu 25 Jahre Gefängnis, das Recht der Bürger auf Information wird drastisch verletzt. Der Chor der Kritiker ist groß: Medienverbände, Gewerkschaften und einflussreiche zivilgesellschaftliche Organisationen erheben immer wieder lautstark ihre Stimme. Doch der ANC scheint auf diesem Ohr taub zu sein.

Erschienen in Ausgabe 07+08/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 16 bis 16. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.