Pessimisten sehen das Ende der „Frankfurter Rundschau“ (FR) längst besiegelt. Franz Sommerfeld, der Zeitungsvorstand bei M. DuMont Schauberg (MDS), habe die Verkaufsabsichten trotz anschließendem Dementi durchaus bedacht geäußert. Die Empörungswelle beim Miteigentümer DDVG (seit 2004) sei Teil der Inszenierung und für die DDVG eine gute Gelegenheit, den Schwarzen Peter für die schlechte Bilanz in Frankfurt vorsorglich schon mal DuMont Schauberg zuzuschieben.
Arnd Festerling dagegen ist Optimist. Der 51-Jährige arbeitet seit 23 Jahren bei der FR, und wer die hausinternen Turbulenzen in jenen Jahren so hautnah miterlebt hat, den kann so schnell nichts mehr erschüttern. Festerling begann seinerzeit im Sport, war Ressortleiter Politik und Wirtschaft und wurde im April 2011 Redaktionsleiter Frankfurt/Rhein-Main, nachdem Vorgänger Matthias Arning als Sprecher ins Büro von Oberbürgermeisterin Petra Roth gewechselt war.
Seit 1. Juli ist Festerling nun auch offiziell neuer Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“. Anders als bei Brigitte Fehrle, die gleich nach Bekanntwerden des Abgangs von Uwe Vorkötter offiziell als dessen Nachfolgerin für die „Berliner Zeitung“ ernannt wurde, dauerte die formale Nachfolgeregelung Vorkötters in Frankfurt fast vier Wochen. Grund dafür sollen Vertragsverhandlungen gewesen sein, die sich mit zwei Gesellschaftern hinzogen, keinswegs aber Verkaufsverhandlungen im Hintergrund. Festerling tritt in die Fußstapfen einer ganzen Reihe schnell wechselnder Vorgänger. Längst vorbei die Zeiten, in denen FR-Granden wie Werner Holzer dekadenlang das einst von Karl Gerold als linksliberales Meinungsschwergewicht gegründete überregionale Blatt prägten. Nicht wenige sehen die Aufgabe an der FR-Spitze heute als „Todeskommando“. Doch Festerling glaubt an die Zukunft seines Blattes: „Natürlich stelle ich mir vor, dass es weitergeht“, sagt der 51-Jährige. „Ich hätte das nicht gemacht, wenn es hier darum ginge, etwas abzuwickeln. In all den vielen Gesprächen mit den Gesellschaftern ist niemals von Verkauf die Rede gewesen. Daher gehe ich davon aus, dass es genau so ist, wie es in der Richtigstellung vom Mehrheitsgesellschafter MDS gesagt wurde. Deshalb mache ich meine Arbeit jetzt auch nicht anders, als ich sie vorher gemacht habe.“
Die Frankfurter Bedingungen
Auf dem Frankfurter Zeitungsmarkt herrscht ein harter Wettbewerb zwischen „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und ihrer Sonntagszeitung mit jeweils eigenen Rhein-Main-Ausgaben, „Frankfurter Neue Presse“, der „Bild“-Frankfurt-Ausgabe, „Welt kompakt“ und eben der FR. Arnd Festerling nimmt das sportlich. Er hat sich vorgenommen, die „Rundschau“ wieder zur zentralen Marke für Frankfurt zu entwickeln: „Jeder, der Nachrichten aus Frankfurt sucht oder etwas über, um oder in Frankfurt wissen will, muss das mit der, Frankfurter Rundschau‘ verbinden“, sagt er. „Das ist die zentrale journalistische Aufgabe“, bei der er die FR „schon ein gutes Stück vorangekommen“ sieht. „Nicht nur inhaltlich, auch volumenmäßig sind wir mittlerweile die Nummer eins auf dem Frankfurter Markt“, sagt der neue FR-Chef. Gemeint ist die Stadt Frankfurt, nicht zu verwechseln mit dem Frankfurter Umland, in dem die „Frankfurter Neue Presse“ mit deutlichem Abstand Marktführer ist. Frankfurt-City allerdings ist ein problematisches Zeitungsabsatzgebiet – alle Titel kommen hier zusammen auf keine 100.000 Exemplare in privaten Haushalten. Festerlings Stoßrichtung: „Im Mantel nichts zu verändern, die Qualität hier beizubehalten, den Lesern und Abonnenten aber zusätzliche Angebote zu machen: vom Seitenumfang angefangen bis hin zu einer deutlichen Qualitätssteigerung im Lokalen und Regionalen.“
Apropos Mantel: Seit Herbst 2011 wird dieser in Berlin produziert, aber keineswegs von der „Berliner Zeitung“ geliefert. Vielmehr, so betont Festerling, handele es sich um eine Gemeinschaftsredaktion, in der allein 20 der heute noch 70 FR-Redaktionsmitglieder sitzen. Beispielsweise Harry Nutt, ein langjähriges FR-Gewächs und heute Ressortleiter Meinung, oder Andreas Schwarzkopf, Vize-Ressortleiter der Politik. Die dafür eigens gegründete DuMont-Redaktion GmbH ist auch nicht zu verwechseln mit der Redaktionsgemeinschaft (Rege), die als quasi erweitertes Hauptstadtbüro für alle Titel des Verlags fungiert (s. S. 21 f.). Wie Fehrle sieht Festerling in dem komplizierten Konstrukt, für das es bisher keinen Präzedenzfall gibt, einen Kompetenzgewinn für beide Blätter. Die Stolpersteine in der Startphase seien fast überwunden, jetzt gehe es um den nächsten Schritt, das Regionale zu stärken.
Seit Januar gibt es acht Seiten mehr Lokales und Regionales, jeweils mittwochs, donnerstags und samstags (ohne Abo- und Copypreiserhöhung), dazu zusätzliche Themenseiten, etwa eine Leute-Seite oder eine lokale Wirtschaftsseite, der lokale und der regionale Teil wurden renoviert. Festerlings Ziel: Näher an die Menschen zu kommen, aktueller und politisch profilierter zu werden. Das sei nicht parteipolitisch gemeint, betont er. Vielmehr gehe es um eine schärfer profilierte politische Berichterstattung, wie man sie aus dem Mantel bereits gewohnt sei.
Mit den Blattänderungen einher ging bereits seit Jahresbeginn 2012 auch ein radikaler Umbau innerhalb der Redaktion. Für die zuvor getrennten Abteilungen Region und Lokales wurde ein gemeinsamer Produktions-Desk eingerichtet, die Reporterpools reorganisiert. „Wir haben das alte System auf den Kopf gestellt, Einzelbüros komplett in ein Großraumbüro verlagert, den Produktions-Desk umgebaut, die Mannschaft insgesamt besser verzahnt – alles mit dem Ziel, die Strukturen der neuen Zeit anzupassen“, sagt Festerling. Personal sei ausdrücklich nicht weiter eingespart worden. Im Gegenteil: Als der Mantel seinerzeit nach Berlin abwanderte, wurde die Region aufgestockt – im „mittleren einstelligen Bereich“, wie es heißt. „Als Zeichen der regionalen und lokalen Stärkung der Zeitung seitens der Gesellschafter“ will das Festerling verstanden wissen. Die sechs Außenstationen der FR in Wiesbaden, Hofheim, Bad Homburg, Bad Vilbel, Hanau und Offenbach bleiben wie gehabt bestehen, Berichte aus Darmstadt werden vom „Darmstädter Echo“ zugeliefert – eine Kooperation, die unter Uwe Vorkötter vereinbart wurde. Zusätzliche Dependancen soll es jedoch nicht geben.
Die jüngsten Neuerungen der FR kommen allerdings nicht aus Festerlings Redaktion: So das „RAL 6010 – Magazin für Verantwortung und Nachhaltigkeit“ samt gleichnamigem Internetauftritt. Erstellt wird dieses neue Monatsprodukt wie auch das Kunst-Supplement (und die gleichnamige App) „Art und Weise“ von der Mediendepot Frankfurt GmbH, die im Oktober 2010 gegründet wurde – teils mit ehemaligen FR-Redakteuren, die der damaligen Kündigungswelle im Mutterblatt zum Opfer gefallen waren – und heute aus sieben Redakteuren und zwölf Mediaberatern plus freien Autoren besteht. Ihre Aufgabe: „Sonderveröffentlichungen und die regionale Mediaberatung der, Frankfurter Rundschau‘“, erklärt Geschäftsführer Arne Löffel. „Dazu gehören auch Produktentwicklung und redaktionelle Betreuung von rund 400 Sonderveröffentlichungen pro Jahr. Den gleichen Service bieten wir auch externen Kunden an.“ Und er sagt auch das: Die Bezeichnung „Verlagssonderveröffentlichungen“ signalisiere, „dass das vorliegende Produkt nicht ein Teil der FR-Redaktion ist“.
Das hindert jedoch die Macher nicht daran, im Editorial des neuen „RAL 6010“ zu schreiben: „In diesem Code ist die geballte Kompetenz und Glaubwürdigkeit der, Frankfurter Rundschau‘ zum Thema Nachhaltigkeit gespeichert.“ Dar
auf angesprochen sieht Arnd Festerling da wiederum durchaus Nachbesserungsbedarf – und legt Wert darauf, dass die Stammredaktion der FR strikt getrennt davon arbeitet – von Ausnahmen wie bei „Art und Weise“, die Feuilletonchef Arnd Widmann verantwortet, mal abgesehen. Der 51-Jährige setzt künftig nicht mehr nur auf das klassische Anzeigengeschäft, das immer schwieriger wird, sondern auch auf Neuentwicklungen, die jedoch zum Markenkern und damit ins Portfolio der „Rundschau“ passen müssen. „Wir leben von Glaubwürdigkeit und einer kritischen und unabhängigen Redaktion, die Spaß hat an dem, was sie macht.“
Strukturdschungel
Die neue Verlagsstruktur der FR mit ihren vielen Tochterfirmen ist jedoch selbst für die eigenen Mitarbeiter noch schwer zu durchschauen. Als es um Fragen nach dem digitalen Ausbau der FR geht, kommt selbst Arnd Festerling kurz ins Schleudern. „Wie heißt noch mal die Firma, der Rouven Schellenberger vorsteht?“, ruft er nach hinten, ins Sekretariat. Schellenberger, gewissermaßen sein Vorgänger als Chefredakteur, bevor Uwe Vorkötter übernahm, ist verantwortlich für den Bereich Digitales: verlagsweit gebündelt in einer ebenfalls ausgegliederten Tochter, der DuMont Digitale Redaktion GmbH. Gleichzeitig ist Schellenberger auch Chefredakteur, sowohl der FR als auch der „Berliner Zeitung, mit dem Zusatz „Digitales“ zuständig für alle Online- und mobilen Inhalte – entscheidend in der Verlagsstrategie. Gemessen an den Preisen ein überaus erfolgreicher: Die Tablet-Ausgabe der FR (seit 17.1. auch als Android-Version), bereits mehrfach preisgekrönt, war in diesem Jahr auch für den Grimme Online Award in der Kategorie Information nominiert. Und auch wenn letztlich die „Tagesschau“-App gewonnen hat, ist das Grimme-Urteil Wasser auf die Mühlen der Macher: Die App sei „vorbildlich in Bezug auf die Nutzerführung und Präsentation der Inhalte“.
Schellenberger ist zurzeit in Vaterschaftsurlaub, bis September, wird operativ vertreten durch die Multimedia-Redaktionsleiter Michael Bayer (Standortleiter Frankfurt) und Rüdiger Schwenkert (Standortleiter Berlin). Die Chefredakteurs-Aufgaben nimmt in dieser Zeit Arnd Festerling wahr – und der sagt über ihr Verhältnis: „Wenn es nicht so martialisch klänge, würde ich sagen: Wir marschieren schon lange sehr gut zusammen. Zwischen uns passt kein Blatt.“ Print- und Digitalkollegen arbeiteten eng zusammen, betont er und verweist auf erfolgreiche Beispiele – wie jüngst während der Bloccupy-Tage in Frankfurt, als sämtliche Klickrekorde gebrochen wordem seien, die die FR-Redaktion selbst jemals aufgestellt habe.
Solche Zahlen sind Balsam für die Seele der geschundenen FR-Redaktion, die zwar den Auflagenniedergang verlangsamen konnte, doch die von den Gesellschaftern angestrebten schwarzen Zahlen sind in weiter Ferne. 2011 belief sich der Verlust des Blattes immer noch auf rund acht Millionen Euro. 2012 sollen es immerhin noch vier Millionen sein. Die Tageszeitung aus Kostengründen nur noch zweimal die Woche zu drucken und sonst digital erscheinen zu lassen, ist mittelfristig nicht geplant. Es sei aber seine Pflicht, so Festerling, sich Zukunftsszenarien auszumalen, und da kämen Ideen „von nur digital bis nur Regional-Print schon vor“. Außerdem würde das „in anderen Häusern genauso“ debattiert. Die Stimmung scheint tatsächlich gut zu sein, bestätigen FR-Redakteure, die sich über die Ernennung eines Mannes aus den eigenen Reihen zum neuen Chefredakteur freuen – und das Verkaufsdementi von der Verlagsspitze als Bestandsgarantie verstehen. „Wir sind es gewohnt, an der Kante zu leben“, sagt einer. „Wir haben 60 gute Kollegen in der Redaktion verloren, sind immer wieder totgesagt worden. Wer das erlebt hat und noch da ist, ist robust und motiviert.“
Katy Walther
ist Mitglied der „medium magazin“- Redaktion und freie Journalistin in Frankfurt.
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Ein Jahr lang haben wir in der Rubrik „Wie geht’s?“ über die Startphase der DuMont-Rege (Start: 26. April 2010) berichtet. Alle Beiträge der Reihe sind nachzulesen in unserem Online-Archiv:
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Erschienen in Ausgabe 07+08/202012 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 22 bis 23 Autor/en: Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.