Journalisten haben eine neue Rolle

Herr Hagedorn, Immer wieder wird kritisiert, dass der deutsche Online-Journalismus viele Möglichkeiten des Internets verschenkte. Stimmen Sie dem zu?

Friedrich Hagedorn: Vieles wird sicherlich zuerst im englischsprachigen Raum entwickelt und ausprobiert, bevor es mit zeitlicher Verzögerung auch hierzulande aufgenommen wird. Insofern ist der Vorbehalt teilweise richtig. Nichtsdestotrotz sind ja auch solche Adaptionen, wenn sie gekonnt auf die hiesige Situation übertragen werden, eine anerkennenswerte Eigenleistung. Und natürlich gibt es auch hierzulande interessante originäre Web-Kreationen.

Was macht eigentlich im Sinne des Grimme-Instituts ein gutes Online-Angebot aus?

Wichtig ist zunächst einmal die inhaltliche Orientierung, es muss etwas Relevantes mitgeteilt werden. Das kann auch in experimenteller, kreativer, audiovisueller oder, wie gerade bei vielen Kinderangeboten, in spielerischer Form erfolgen, es müssen nicht immer tiefschürfende Texte sein. Dann muss es die Zielgruppe erreichen und dennoch auch von einer größeren Nutzerschaft nachvollziehbar sein. Die Jury achtet sehr darauf, wie verständlich ein Angebot ist. Außerdem sind webspezifische Kriterien wichtig, wie: Ist ein Angebot übersichtlich und nutzungsgerecht aufbereitet? Welche Bedeutung haben Kommunikation und Interaktion? Werden neue Möglichkeiten im Internet aufgegriffen oder gar initiiert? Wir haben zum Beispiel einen Trend zum Genre „journalistisches Porträt“ in neuen Formen zu verzeichnen, etwa als Audio-Video-Slideshows. Man bemerkt also, dass Inhalte im Web jedes Jahr auf neue Arten zugänglich gemacht werden, und auch das spielt beim Online-Award eine Rolle.

Wie hat sich der Preis verändert, und was sagt das über die Entwicklung im Netz aus?

Am Anfang lag es nahe, einfach aufgrund der Nähe zum Fernseh-Grimme-Preis die Orientierung am Fernsehen zu suchen. Davon hat sich der Preis allerdings schnell emanzipiert und das Internet als eigenständiges Medium und eigenen Kommunikationsraum gewürdigt. Am Anfang war auch im Internet eine stärkere Orientierung an anderen Medien und bereits publizierten Inhalten zu spüren. Heute begleitet das Internet nicht mehr andere Medien, sondern saugt sie oftmals in sich auf. Menschen stellen wie selbstverständlich ihre eigenen Inhalte in unterschiedlicher Form ins Netz. Die Unterscheidung zwischen Nutzer und Produzent verschwimmt zusehends und die gemeinsame Kommunikation in Blogs oder sozialen Netzwerken hat einen sehr viel größeren Stellenwert.

Glauben Sie, dass die deutschen Medien das schon verinnerlicht haben?

Ich glaube, dass – wenn Sie die klassischen publizistischen Medien meinen – da doch sehr viel Bewegung reingekommen ist. Zum Beispiel versuchen sich mittlerweile sehr viele Verlage an neuen Online-Konzepten und haben eigene Apps im Programm, die ja in diesem Jahr auch erstmals für den Grimme Online Award zugelassen waren. Und so wird inzwischen vieles von dem, was online möglich ist, sehr professionell umgesetzt. Natürlich ist nicht alles qualitativ herausragend, was für das Internet produziert wird.

Welche Rolle haben Journalisten dabei?

Gerade Journalisten sind mit ihrer Kompetenz gefordert, in der ungeheuren Informationsvielfalt des Netzes die Spreu vom Weizen zu trennen. Doch hat sich deren Selbstverständnis gewandelt. Journalisten nehmen häufiger eine andere Rolle ein, sind nicht mehr nur die klassischen Ersteller von Inhalten, sondern Moderatoren von Kommunikationsprozessen mit den Lesern, den Nutzern. Und da machen auch klassische Medienhäuser inzwischen sehr viele interessante Angebote.

Die Öffentlich-Rechtlichen sind traditionell stark vertreten in Ihrem Wettbewerb.Wie wichtig sind sie heute?

Trotz ihrer in den letzten Jahren eingeschränkten Spielräume im Online-Bereich sind sie nach wie vor sehr wichtig. Da privatwirtschaftliche Anbieter immer auf die Verwertbarkeit und die Werbefähigkeit ihrer Angebote achten müssen, können öffentlich-rechtliche Sender vor allem bei Themen, die sich nicht so gut verkaufen lassen oder für bestimmte Zielgruppen relevant sind, frei von kommerziellen Interessen agieren.

Brauchen ARD und ZDF wieder mehr Spielräume im Internet?

Ich denke, da ist noch Luft nach oben. Sicherlich ist die Position der Verlage nachvollziehbar, wenn diese sagen: „Die machen uns subventionierte Konkurrenz in bestimmten Bereichen.“ Da muss man aber wirklich gucken, ob und wo das tatsächlich der Fall ist. Denn gerade bei Kultur und Bildung haben die Öffentlich-Rechtlichen große Spielräume, ohne dass sie mit kommerziellen Angeboten in Konflikt kämen.

Erschienen in Ausgabe 07+08/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 37 bis 37 Autor/en: Interview: Moritz Meyer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.