Reden im Hürdenlauf

Olympische Spiele sind nicht ganz so schlimm. Abgesehen von der Tatsache, dass Sportjournalisten, Politiker und andere mehr oder weniger öffentliche Menschen immer noch gerne von der „Olympiade“ reden, wenn sie die Spiele meinen. Hartnäckig ignorierend oder am Rande der Strafbarkeit nicht wissend, dass „Olympiade“ einen Zeitraum von vier Jahren bezeichnet, in dem die Olympischen Spiele abgehalten werden.

Dabei sein ist alles

Davon mal abgesehen, sind die Spiele relativ ungefährlich. Sie werden den deutschen Metaphernfriedhof nicht mit allzu viel Wortleichen bereichern. Ein paar Begriffe gehören ohnehin zum ewigen Schatzkästlein des öffentlichen Gemähres. Der Wettbewerb als Gleichnis für Leben überhaupt, die Leistung, die sich (wieder) lohnen müssen soll, das Dabei-sein-ist-Alles, wenn’s denn zum „Platz auf dem Treppchen“ nicht reicht; und die verzweifelten Reden über den vierten Platz, diesen Unhold des olympischen Betriebes, der ja so schrecklich undankbar ist – die hören wir wieder vielstimmig aus Sportreportermund.

Bei den Einzelwettbewerben hat es allenfalls der „Marathon“ zu allgemein- und politiksprachlichen Ehren gebracht. Er wird zum Beispiel von deutschen Regierungspolitikern immer wieder gerne genommen, wenn sie die Kurzatmigkeit ihrer Politik verbal beschönigen wollen. „Das ist ein Marathonlauf und kein Hundert-Meter-Sprint“, das ist die stehende Redewen-dung der Merkel-Pofalla-Röttgen-Altmaier-Riege, wenn es um die Energiewende geht. Darüber hinaus würde man wohl gerade noch dem Hürdenlauf einen Anschluss ans Spracherleben der Massen zutrauen, liegt doch hier „das Leben als solches“ so nahe, dass selbst einfache Gemüter schnell darauf kommen können. Also auch Politiker und Sportjournalisten.

Und im Übrigen ist und bleibt der Fußball die Metapher für alles, fürs große Ganze, für Leben und Sterben, und für die Politik sowieso. Ob Herbert Riehl-Heyse tatsächlich der Erste war, der von einer „Fußballerisierung der Politik“ gesprochen hat, sei dahingestellt. Er tat es jedenfalls im Jahre des Herrn 2000, als in München gar heftig um ein neues Fußballstadion für die Weltmeisterschaft 2006 gerungen wurde. Spätestens seither ist dieser Begriff geläufig und alle möglichen Akteure haben ihr Bestes gegeben, um dessen Wahrheit und Wirklichkeit zu demonstrieren.

Thomas Brussig, Schriftsteller, Fußballfan und Gründer der deutschen Literaten-Fußballmannschaft, schrieb 2006: „Die Fußballerisierung der Gesellschaft wird voranschreiten. Fußball wird zum Goldenen Kalb. Fußballmetaphern durchziehen politische Reden und Kommentare. Die Hofschranzen des Fußballs werden noch eitler und selbstherrlicher auftreten.“ Was Brussig in die Zukunft projizierte, war damals längst Wirklichkeit.

Münte im Mittelfeld

Möglicherweise erinnert man sich noch an einen gewissen Edmund Stoiber, der gerne davon sprach, dass er Nationaltrainer werden und diesen unfähigen Gerhard Schröder ablösen wolle, unter dem Deutschland gegen den Abstieg spiele. Anstatt in der Champions League zu glänzen wie Bayern München. Und der Freistaat Bayern sowieso. Franz Müntefering war mental gar nicht dazu in der Lage, über Politik anders als in Fußballgleichnissen zu reden. „Ich versuche, den Ball so zu flanken, dass der Mittelstürmer ihn reinhauen kann“, so beschrieb er gerne seinen eigenen Politikstil, und die SPD insgesamt sah er am liebsten so: „Wir machen das so wie Philipp Lahm, an der linken Außenseite angreifen, aber da wir auch rechts gut schießen können, am Sechzehner muss man kurz nach innen drehen und dann draufhalten, dann haut das hin.“ Das war 2006, aber das hätte er auch in diesem Jahr sagen können.

Leider hatte sich bei der Europameisterschaft in diesem Jahr in Polen und der Ukraine zu viel politischer Sprengstoff angehäuft, als dass Politiker mit allzu flotten Sprüchen von der Popularität des Fußballs glaubten profitieren zu können. Stattdessen wurde eher darüber diskutiert, wer durch seine Abwesenheit in welchem Stadion der politischen Führung des jeweiligen Gastgeberlandes die entscheidende Niederlage zufügen könnte oder ob zum Beispiel die Anwesenheit von Angela Merkel beim Spiel gegen Griechenland allein schon eine weitere Demütigung der Griechen durch die Deutschen bedeuten würde. Die Frage wurde dann überraschenderweise doch auf dem Felde erledigt.

Und fürs Notizbuch des Sprachfreundes bleibt der großartige Spruch des ZDF-Reporters, dass die griechische Abwehr „vielfüßig und stabil wie die Akropolis“ sei. Die vielen Füße muss man sich beim nächsten Akropolis-Besuch doch glatt mal anschauen.

Peter Zudeick

ist freier Journalist und politischer Korrespondent für mehrere ARD- Hörfunkprogramme.

p.zudeick@t-online.de

Erschienen in Ausgabe 07+08/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 58 bis 59. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.