Reportage

ManuskriptFassung

Titel: „Die Auserwählten“

Vorspann: In den Townships von Südafrika vergewaltigen Männer lesbische Frauen, um sie von ihrer Homosexualität abzubringen. Thully Ncube wurde Opfer einer „korrigierenden Vergewaltigung“. Nun kämpft sie mit anderen Frauen gegen die Diskriminierung – im ersten lesbischen Fußballteam Afrikas.

Textbeginn: Der Ort, der sie zur Kämpferin machte, riecht nach vollgeschissenen Windeln und nach Benzin. Einen Nachmittag verbrachte sie hier, fand den Schuh ihrer toten Freundin Lee, sah das Blut an den Wänden, auf dem Boden, sah die benutzten Kondome. Kinder hatten Lees Leiche beim Spielen entdeckt, begraben unter einem Müllberg, eine Plastiktüte über dem Kopf, man hatte sie erwürgt mit ihrem eigenen Schuhband, hatte ihr mit Ziegelsteinen ins Gesicht geschlagen. Nokuthula „Lee“ Radebe war 20 Jahre alt, als sie starb. Vergewaltigt und ermordet, weil sie lesbisch war. Zwei Monate nach dem Mord steht Pinky Zulu, die Kämpferin, am Tatort. …

Änderungen

Was und warum Cordt Schnibben umstellte:

Scheiße und Blut, Kondome und Tod, mittendrin eine Kämpferin. Was wie ein starker Einstieg klingt, streicht Redigator Schnibben mit Rotstift raus.

„Die Protagonistin hasst diesen Ort, warum ist sie dann dort?“, fragt er in die Runde. Das Publikum kennt die Antwort: „Weil die Journalistin sie dort hingeschleppt hat!“ Der Leser ist ein schlauer Hund, der den Autor durchschaut.

Also beginnt Schnibben zu streichen. Er schreibt nichts neu, baut nur um. Zum Verschieben von Textblöcken nutzt er die kostenlose App „iBrainstorm“ (siehe Screenshot oben links). Szenen markiert er blau, Infos gelb, Gedanken grün, Rückblenden orange. Erst die vierte Variante überzeugt ihn: „Jetzt beginnt der Text mit der Fußball spielenden Thully und endet mit Thully. Die Protagonistin umrahmt den Text. Jetzt ist er viel besser lesbar.“

Druckfassung

Titel: „Der Ball als Waffe“

Vorspann: In Südafrika werden lesbische Frauen von Männern vergewaltigt, die ihnen so ihre sexuelle Neigung austreiben wollen. Einige der Opfer haben ein Fußballteam gegründet, um sich zur Wehr zu setzen.

Textbeginn: Immer wenn sie nach Hause kommt, bereut sie es, auf der Straße gewesen zu sein. Busfahrer, die sie nicht einsteigen lassen. Passanten, die sie anstarren, sie als „stabani“ beschimpfen, als Schwuchtel. Meistens sperrt sie sich, wie jetzt, in ihr Zimmer ein, das drei Schritte lang, drei Schritte breit ist, und guckt Fußball. Thully Ncube, 32 Jahre alt, hat müde Augen und lächelt selten, von hinten sieht sie aus wie ein Kerl. Sie spielt Fußball, seit sie denken kann, Rückennummer 15, eine Frau, die Frauen lieber mag als Männer. Wenn sie auf der Straße war und beschimpft wurde, dann kommen die Erinnerungen. Dann ist nachts wieder der 15. Mai 1997 für Thully. Dann klebt das Blut wieder an ihrer Hose, und sie wacht auf, schweißgebadet, fühlt sich schuldig. …

Erschienen in Ausgabe 07+08/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 55 bis 55. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.