Spanien leidet an Ale-Manie

BARCELONA. Nein, Freunde gemacht hat sich Angela Merkel während der Euro-Krise in Spanien nicht. Kein Tag, an dem sich die meinungsführenden Medien nicht über den rigiden Sparkurs der deutschen Bundeskanzlerin echauffieren; kein Tag, an dem in den Talkshows nicht über die Führungsrolle Deutschlands innerhalb der EU – und seine mögliche Mitverantwortung für ein Scheitern des europäischen Projekts sinniert wird. Allen, die von ihr eine europäische Führungsrolle erwarteten, habe die Bundeskanzlerin eine kalte Dusche verpasst, kommentierte etwa die linksliberale Tageszeitung „El País“ die jüngste Regierungserklärung der Kanzlerin.

Neben ernsthafter Sorge um die gemeinsame Zukunft – Spanien ist EU-freundlich, einen „Spexit“ erwägt niemand ernsthaft – verbirgt sich dahinter auch eine Art Beziehungsmissverständnis. Zum einen sieht man seine Anstrengungen nicht richtig gewürdigt. Schließlich hat Ministerpräsident Mariano Rajoy dem Land mit seinem Sparpaket eine Rosskur verordnet. Zum anderen fühlt man sich missverstanden, nach dem Motto: Es geht uns besser, aber doch nicht so sehr. Wegen der Schönfärberei von Rajoy allerdings, so die in Barcelona erscheinende Tageszeitung „El Periódico“, dächten die Deutschen, es gäbe doch genügend reiche Steuerbürger und leere Wohnungen, um keine EU-Hilfe zu benötigen – für das Blatt eine Beleidigung der Millionen Arbeitslosen.

In Spanien ist die öffentliche Meinung in Deutschland derzeit das Maß der Selbstwahrnehmung. Kein Wunder, dass dieses ständige Sich-im-anderen-Spiegeln Überdruss produziert. Mit „Ale-Manía“, Deutschland-Manie, umschreibt der Kolumnist Suso de Toro dieses Gefühl. Zwar haben laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts PEW immer noch 75 Prozent der Spanier ein positives Bild von Deutschland, allerdings sind das zehn Prozent weniger als im Vorjahr – so viel Zustimmung hat sonst kein EU-Land verloren. Dreiviertel der Spanier sehen in der EU-Politik der Bundesregierung vor allem den Versuch, eigene nationalstaatliche Interessen zu verteidigen. Vom Fahnen-Verbrennen wie in Griechenland ist das zwar meilenweit entfernt, von einer glücklichen Beziehung allerdings auch.

Erschienen in Ausgabe 07+08/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 17 bis 17. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.