Sport ist auch nur ein Geschäft

Das war doch mal eine echte Schlagzeile, die „Spiegel Online“ vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft in die Welt setzte: „Redefreiheit für DFB-Spieler“. Erstmals dürften die deutschen Kicker bei einem sportlichen Großereignis ihre Meinung frei äußern, wird Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, zitiert. Der DFB erlaubt ihnen also etwas, was im Grundgesetz steht: die Meinungsfreiheit.

Der Marktwert, das flüchtige Reh

Die Meldung steht in einem seltsamen Widerspruch zu der Regelungswut der Sportfunktionäre. Ob Fußball-Bund, die Fifa, die Uefa oder das Internationale Olympische Komitee – alle haben sie strenge Kommunikationsvorschriften formuliert, an die sich die Sportler halten müssen. Vielen kommt es entgegen, weil sie in aller Regel nicht mit der Sprachgewalt großer Rhetoriker ausgestattet sind.

In der Tat ist es oft erbärmlich, was Sportler so von sich geben. Doch ihre Ausdrucksweise verrät anderes: Angst, etwas Falsches zu sagen, um ihren Marktwert nicht aufs Spiel zu setzen. Und der Marktwert ist ein flüchtiges Reh. Wer alle Gegenspieler traumwandlerisch umtrippelt und noch dazu Tore schießt, darf auch Unsinn reden. Bei allen anderen stimmt die öffentliche Wahrnehmung nur, wenn mehr über die Lippen kommt als: „Die Wahrheit ist auf dem Platz.“

Aber DFB, Fifa, Uefa und IOC haben weniger die Schutzfunktion für ihre Athleten im Fokus. Das Hauptmotiv für die Kontrollbemühungen ist der Selbstschutz der Verbände und ihrer Funktionäre. Und natürlich der Versuch, mit diesem Korsett die Presse zu gängeln.

Ganz offensichtlich fürchtet man bei den Spitzen der Verbände die Sportler-Wahrheit. Als bei der Winterolympiade in Vancouver 2010 der georgische Rodler Nodar Kumaritaschwili im „schnellsten Eiskanal der Welt“ ums Leben kam und Athleten eine „Entschärfung der Kurvenkombination“ forderten, reagierte der Bob- und Skeleton-Weltverband FIBT erwartungsgemäß: „Die Probleme der Bahn dürfen von Sportlern nicht öffentlich gemacht werden.“ Basta.

England lässt sich da nicht lumpen. Für die Olympischen Sommerspiele vom 27. Juli bis 12. August hat das „London Organising Committee of the Olympic and Paralympic Games“ (LOCOG) Sprachregelungen und eine Liste von „Dos and Don’ts“ für Athleten, Trainer und Ehrenamtliche herausgegeben. Die Spiele sollen nicht nur in glänzendem Licht der Weltöffentlichkeit erscheinen, es wird erwartet, dass die 50.000 anwesenden Journalisten auch das Image von London polieren. Der „Telegraph“ zeigte sich „not happy about this suspension“.

Vielleicht werden ja die Sportmoderatoren Matthias Opdenhövel (ARD) und Michael Steinbrecher (ZDF) im Mutterland der Demokratie dem freien Wort eine Lanze brechen. Reporter-Legende Waldemar „Waldi“ Hartmann ist da skeptisch: „Unter Sportreportern herrscht besonders große Schmerzfreiheit“, urteilte er einmal über seine Zunft. Dass er etwas von „Schmerzfreiheit“ versteht, sah man an seiner Talkrunde „Waldis EM-Club“. Von den Sportlern verlangt er dagegen mehr „Professionalität im Umgang mit den Medien“.

Das ist leicht dahergesagt. Sicher gilt die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit auch für Sportler. Aber sie haben, wie alle Arbeitnehmer, auch eine Treuepflicht gegenüber ihrem Arbeitgeber. Und zu dieser Treupflicht gehört das Unterlassen von Äußerungen, die zu einer Geschäftsschädigung für den Verband oder den Verein führen können.

Phrasendreschen statt Flasche leer

Sport ist Geschäft. Sportliche Großereignisse sind große Geschäfte. Dabei geht es immer um Geld – nicht nur für die Veranstalter, auch für die Athleten. Und damit reichlich Geld fließt, braucht Sport die Öffentlichkeit, die ständige Begleitung der Medien. Sie sorgen für die Begeisterung derjenigen, die am Ende Eintrittsgelder und Fernsehgebühren zahlen.

Aber Medien füttert man nicht mit Plattitüden. Sie brauchen den verbalen Regelverstoß der Sportler. Sie brauchen Typen wie Rudi Völler („Ist doch alles Scheiße“) oder Giovanni Trapattoni („Strunz ist Flasche leer“). Man kann sich also auch öffentlichkeitswirksam äußern, ohne seine Treupflicht zu verletzen.

Genau das aber tun die auf ihren Marktwert schielenden aktiven Sportler nicht. Sie sprechen mit angezogener Handbremse, langweilen die Journalisten – und schaden am Ende dem Geschäft.

Die Verbände sollten ihre Regeln anpassen. Der Markt hat den Sportlern längst den Schneid abgekauft.

Anton Hunger (63) ist Journalist und war 17 Jahre Pressechef bei Porsche. Heute betreibt er das Kommunikationsbüro „publicita“ in Starnberg.

Er ist u. a. auch Mitgesellschafter von „brand eins“.

Erschienen in Ausgabe 07+08/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 68 bis 68 Autor/en: Anton Hunger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.