Der Fall
Für viele Autoren sind die Ausschüttungen der VG Wort ein wichtiger Teil des Einkommens. Die Verteilungspläne der VG Wort sehen hierbei vor, dass die eingezogenen Vergütungen zu einem Teil an die Verlage ausgeschüttet werden. Diese Praxis griff – zunächst nur für wissenschaftliche Veröffentlichungen – der ehemalige Patentrichter Martin Vogel mit seiner Klage an. Vogel, der maßgeblich am Entwurf der Urheberrechtsreform 2002 beteiligt war, argumentierte, er habe bereits mit dem Wahrnehmungsvertrag seine Vergütungsansprüche an die VG Wort abgetreten. Spätere, in den AGB der Verlage enthaltene Abtretungsvereinbarungen seien deshalb wirkungslos. Da er seine Ansprüche aber selbst in die VG Wort eingebracht habe, sei kein Grund ersichtlich, diese mit den Verlagen zu teilen.
Das Urteil
Die Begründung des Landgerichts fiel deutlich aus: Die Verleger haben keine eigenen Vergütungsansprüche und hatten diese in jenem Fall auch nicht vom Kläger übertragen bekommen – der Kläger hatte sie ja zuvor schon im Rahmen des Wahrnehmungsvertrags an die VG Wort abgetreten. Die Verteilungspraxis der VG Wort sei deshalb willkürlich; es sei nicht die Aufgabe der Verwertungsgesellschaft zu agieren, als sei es nur recht und billig, wenn die Verlage aufgrund ihrer verlegerischen Leistung (und weil sie kein Leistungsschutzrecht haben) an den Ausschüttungen beteiligt werden. Die Begründung der VG Wort laufe auf eine hälftige Enteignung der Autoren hinaus. Die Argumente der VG Wort schmetterte das Gericht ab: Die hatte sich auf den per Mehrheitsbeschluss verabschiedeten Verteilungsplan berufen und zudem behauptet, Pauschalierungen seien praktischer. Dem Gericht zufolge rechtfertigt aber auch ein Mehrheitsbeschluss keine Benachteiligung der Autoren, da der Kläger als Einzelner faktisch keine andere Möglichkeit hatte, als den Verteilungsplan zu akzeptieren. Zudem sei nicht ersichtlich, warum bei der heutigen Datenverarbeitung die genaue Erfassung der Rechte problematisch sei.
Die Folgen
Sollte das Urteil Bestand haben, könnte dies die Verteilungspraxis nicht nur der VG Wort, sondern auch anderer Verwertungsgesellschaften völlig umwerfen. Anders als die VG Wort behauptet, handelt es sich nicht um einen Einzelfall, wie auch das Gericht klarstellt. Die Grundzüge der Entscheidung sind unmittelbar auch auf die journalistischen Ausschüttungen übertragbar, sofern die Autoren einen Wahrnehmungsvertrag abgeschlossen haben, bevor sie vertragliche Vereinbarungen mit einzelnen Verlagen eingegangen sind. Damit dürften Zehntausenden von wahrnehmungsberechtigten Autoren Ansprüche gegen die VG Wort zustehen. Die Begründung des Landgerichts wirft ein Schlaglicht auf die langjährige Praxis der Verwertungsgesellschaft, Verlage ohne gesetzliche Grundlage und genaue Prüfung der Berechtigung an jenen Ausschüttungen zu beteiligen, die rechtlich den Urhebern zustehen. Für die Autoren hat das Urteil dennoch zunächst einen Nachteil: Die VG Wort will bis zu einer endgültigen Klärung die Ausschüttungen für das Jahr 2012 zurückstellen und kündigte an, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Erneut eine fragwürdige Entscheidung: Als Treuhänderin unterliegt die VG Wort der Neutralitätspflicht. Mit der Berufung stellt sie sich aber klar auf die Seite der Verlage und gegen die Autoren.
Stephan Zimprich ist Rechtsanwalt im Hamburger Büro der internationalen Sozietät Field Fisher Waterhouse.
stephan.zimprich@ffw.com
Erschienen in Ausgabe 07+08/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 60 bis 60. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.