Da geht der Metaphernkelch vorüber

Die deutsche Sprache ist ein wundervolles Medium. Man kann Großes, gar Schönes mit ihr bewerkstelligen, man kann allerlei Schabernack mit ihr treiben, vor allem, wenn der Schabernack nicht als solcher gemeint ist. Oder hätte jemand für möglich gehalten, dass ein Politiker eine Kollegin trockenen Auges ein „frisches, fröhliches, junges Blut“ nennt? Es sei denn, er will erreichen, dass alle gleich losprusten und Schenkel klopfen. Eigene oder fremde. Und doch: Michael Fuchs, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat es sich nicht nehmen lassen, die rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Julia Klöckner mit diesem Alt-herrenspruch als Nachfolgerin von Annette Schavan in der Parteiführung zu empfehlen. Ob sie das verdient hat?

Bitte zeitnah foltern

Man hält es ja sowieso kaum für möglich, was sprachlich alles noch möglich ist. Eigentlich wissen wir doch, dass Preziosen wie „zeitnah“ und „zielführend“ ins Gruselkabinett des Dummdeutschen gehören. Was aber beträchtliche Teile der deutschsprechenden Gemeinschaft durchaus nicht davon abhält, diese Folterinstrumente munter weiter einzusetzen. Es mag sein, dass inzwischen jeder mitbekommen haben kann, ja muss, dass das Wort „vorprogrammiert“ schlichter Unsinn ist. „Programmiert“ heißt nun mal „vor-schreiben“, vorab festlegen. Das „vor“ ist so überflüssig wie ein – hier setzen Sie bitte ein Allerweltswort Ihrer Wahl ein. Nützt nichts: „Vorprogrammiert“ hört und liest man allenthalben, auch mal in wissenschaftlichen Aufsätzen.

Nerven, die blank liegen

Jaja, natürlich weiß ich auch, dass das Allerweltsdeutsch meist aus Bequemlichkeit, manchmal aus Dummheit, selten aus Bosheit verwendet wird. Auch und gerade im öffentlichen Sprachgebrauch.

Was machen Nerven? Sie liegen blank, was sollen sie auch sonst tun. Was machen Fragen? Sie brennen. Logisch. Und Ahnungen sind dunkel, das versteht sich. Das nähme man gerne in Kauf, wenn dafür der Metaphernkelch an uns vorüberginge (mit diesem Beispiel bewerbe ich mich beim diesjährigen Grand Prix der Wortkünstler in Liechtenstein).

Vor allem Wirtschaftsjournalisten treiben nur allzu gerne ihre Possen mit Sätzen wie „Wachstumsmotor stottert“ oder „Neues Schlafmittel weckt Aktionäre auf“. Da kann uns auch die dpa-Überschrift „Deutsche Klavierindustrie ist gut gestimmt“ nicht mehr besonders schrecken. Nur, liebe Kollegen: Könnt ihr auch noch was anderes als kalauern? Ich frag ja nur.

Natürlich kann man derlei auch als Bereicherung der deutschen Sprache interpretieren. Man muss aber nicht. Wenn man aber will, dann wird das Leben plötzlich um einiges leichter, weil die Schmerzen rascher nachlassen. „Die Länderfürsten haben im Kanzleramt einen umfangreichen Wunschzettel durchgesetzt“, dieser fulminante Satz aus den ARD-„Tagesthemen“ tut gar nicht mehr weh, wenn man sich darüber freut, dass jetzt auch Zettel durchgesetzt werden können. Schon verliert auch dieser Satz seinen Schrecken: „Da hat sich heute in Athen ein ganz wichtiger Schritt ereignet.“ Warum sollen Schritte immer nur getan oder gegangen oder unternommen werden? Lass doch den Schritt sich auch mal ereignen. Dann sieht die Welt gleich ganz anders aus.

Bitte vorzeitig ausscheiden

Und überhaupt sollte man die Wirkung von Sprachkritik nicht überschätzen. Aber auch nicht unter. Denn wer hätte das für möglich gehalten: Meine schüchternen Anmerkungen zum Thema Sprache, Sport und Politik („medium magazin“ 07+08/2012) waren gerade im Druck, da machte sich ZDF-Chefredakteur Peter Frey kongenial ans Werk, um uns thematisch und sprachlich für den Rest des Jahres einzuordnen: „Die Olympischen Spiele sind das Scharnier zwischen der Fußball-Europameisterschaft und der Champions League, also das Herzstück des Riesen-Sportjahres 2012.“ So möchte man mal formulieren können, möchte Scharnier und Herzstück bildlich und begrifflich in eins setzen können, als wär’s aus einem Guss. Chapeau, Herr Frey.

Sonst bleibt uns von diesen Spielen vor allem die Erkenntnis, dass fürs Ausscheiden aus einem Wettbewerb ein heimlicher Zeitplan existieren muss. Wie sonst hätten Reporter so oft und so beredt das „vorzeitige“ oder „frühzeitige“ Ausscheiden vor allem deutscher Sportler beklagen können.

Freilich bleibt die Frage unbeantwortet, wann es denn passt. Wann Ausscheiden als rechtzeitig oder pünktlich gewertet wird. Und ob es – analog zum Medaillenspiegel – nicht auch einen Ausscheidespiegel geben sollte, der „vorzeitig“ und „rechtzeitig“ ins rechte Licht setzen könnte.

Man weiß so wenig.

Peter Zudeick ist freier Journalist und politischer Korrespondent für mehrere ARD-Hörfunkprogramme.

p.zudeick@t-online.de

Erschienen in Ausgabe 09/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 58 bis 58. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.