Darf man … im TV nur Meier heißen?

Erstaunlicherweise haben die privaten Fernsehstationen eine Art Behindertenstatus in diesem Land – Maßstäbe, die man andernorts anlegt, gelten für sie nicht. Die Kunst, Sinnvolles zu sagen, die Aufgabe, zu informieren, Politik und andere die Bürger betreffende Angelegenheiten zu vermitteln, hat man für sie auf einen Minimalanspruch reduziert. Das Wort „Niveau“ wird in ihrem Zusammenhang vor allem mit der Silbe „los“ oder aber dem Wort „Limbo“ verwendet, wofür es den Preis für Jugendsprache 2010 gab.

Ich darf die Privaten hier also für den Anfang außer Acht lassen, wenn ich frage, ob Fernsehstationen, als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen, recht daran tun, die Bevölkerung nur durch eine normierte Elite, eine elitäre Norm vertreten zu lassen. Sprich: durch jene Menschen, die männlich oder weiblich sind, hübsch anzusehen und möglichst von weißer Hautfarbe. Nicht aber durch Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig ist, die ein Kopftuch tragen, blind sind oder eine dunklere Hautfarbe haben. Oder – auch das noch! – alles auf einmal.

Das Gesetz zur Inklusion, das in Deutschland 2009 verabschiedet wurde, besagt, dass niemand aufgrund seines Alters, seines Geschlechts und seiner Herkunft vom gesellschaftlichen Leben, also auch von bestimmten Berufsfeldern, ausgeschlossen werden darf. Dies gilt etwa auch für die Journalistenschulen, die ihren Bewerbern keine Altersbeschränkung mehr auferlegen dürfen.

Wenn dieses Heft erscheint, gehen die Paralympics gerade zu Ende. Eine Veranstaltung, über die zu berichten zum guten Ton einer Zivilgesellschaft gehört. In ihrem Zusammenhang werden Einbeinige darin bestätigt, Rennen zu laufen, Blinde, Judo zu machen. Doch das allgemeine Bild im Fernsehen bleibt ein zwangsnormiertes. Eines, das den weißen, heterosexuellen Menschen zur Grundlage hat, an dem alle Körperteile dran sind und dessen Sinne einwandfrei funktionieren, die Beispielliste ist lang. Über einen fremd klingenden Nachnamen wie „Zamperoni“ oder „Hayali“ kommt man bei den Öffentlich-Rechtlichen in der Regel nicht hinaus. Der Alibischwarze Cherno Jobatey macht dann Karriere, wenn er – wie Schwarze in Hollywoodfilmen – den Clown gibt. Und wehe, so ein Einwandererkind wie Ingo Zamperoni lächelt, wenn er die Führung Italiens beim Fußballspiel gegen Deutschland verliest! Dann sind die Grenzen Deutschlands beim Zuschauer ganz zügig gezogen. Da kann der Mann drei Mal „Ingo“ heißen, so viel Niedertracht hat der deutsche Gebührenzahler selten in seinem Programm ausgemacht.

Es ist auch kaum anzunehmen, dass Monica Lierhaus trotz ihrer Einschränkung im Fernsehen aufträte, wäre sie vor ihrer Hirnschädigung keine so beliebte Moderatorin gewesen. Und es ist die Frage, ob sie etwas anderes als eine Sendung mit einem sozialen Schwerpunkt moderieren wird, solange sie nicht vollends gesundet. Und als im Frühling der Vertrag mehrerer WDR-Fernsehmoderatorinnen um die 50 nicht verlängert worden war, holte man an ihrer statt 30-Jährige vor die Kamera. Der Vorwurf der Altersdiskriminierung erklang, WDR-Intendantin Monika Piel wies ihn – mit Hinweis auf ihr eigenes Alter, 60 Jahre – zurück. Das Gegenteil lässt sich schwer beweisen. Unter den Fernsehmoderatoren und Nachrichtensprechern ist der Anteil von Schwulen und Lesben ungewöhnlich hoch – bekannt sind die Lebensumstände jedoch nur von den wenigsten. Weil es Privatsache ist? Komisch, über Heterosexualität zu sprechen ist für keinen zu privat.

Der Zwang zur Norm hat ARD und ZDF fest im Griff: Wenn eine Sängerin wie Beth Ditto sagt, sie stehe auf Menschen, deren geschlechtliche Zuordnung nicht eindeutig ist, findet das Fernsehen das berichtenswert. Die eigenen Leute aber, die, die auf dem Bildschirm auftauchen, sehen stets aus wie Barbie oder Ken. Perfekte Frauen- und Männertypen mit idealen Figuren. Fett findet woanders statt, „queer“ auch. Wir leben in einem bunten Land. Aber auf den Bildschirmen, wo Moderatoren als Vertreter dieses bunten Landes auftreten, sieht man das nicht. Warum sollte ein blinder Mensch, ein Einarmiger oder eine Person im Kaftan keine Sendung moderieren können? Dass die Paralympics im Fernsehen übertragen werden, finden alle wichtig. Aber Behinderte in einer normalen Funktion zu zeigen, kommt nicht vor.

Der Fremden- und Menschenfeindlichkeit der die Gesellschaft immer gezielter durchdringenden Nazis etwas entgegenzusetzen, ist eine dringende Aufgabe. Dem Fernsehen fällt dabei die zentrale Rolle zu, das Land in seinem reichen Spektrum zu zeigen, statt eine illusorische Norm weiter zu festigen. Interessanterweise sind es gerade die Privatsender, die sich, zumindest was die kulturelle Vielfalt anbelangt, deutlich offener zeigen. Hier tauchen nicht nur selbstverständlicher Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen auf, sie zeigen diese Identität auch deutlicher, siehe „Deutschland sucht den Superstar“, „Big Brother“ oder Kaya Yanar.

Dass die Privaten für Anspruchsvollere oft nicht so attraktiv sind, mag an dem Niveau liegen, das sie anstreben, um so viele Zuschauer zu gewinnen. Die inhaltliche und sprachliche Einfalt vieler Fernsehfiguren der Privatsender sollte aber bei den Öffentlich-Rechtlichen niemanden davon abhalten, sich an ihnen ein Beispiel zu nehmen: Es soll tatsächlich den ein oder anderen voll krass gebildeten und echt fett kultivierten Menschen in diesem Land geben, dessen Name nicht nach Müller-Meier-Schmidt klingt.

Link:Tipp

Der neue Online-Ratgeber „Leidmedien“ hilft Journalisten, in ihrer Berichterstattung Menschen mit Behinderung nicht zu diskriminieren.

www.leidmedien.de

Silke Burmester schreibt an dieser Stelle als Kolumnistin. Die freie Journalistin und Dozentin hat jüngst ein Pamphlet gegen die Medienhysterie veröffentlicht: „Beruhigt Euch!“ (Kiwi 2012) E-Mail: siburmester@aol.com

Erschienen in Ausgabe 09/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 73 bis 73. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.