Sprecher haften für ihre Arbeit

Steffen Seibert hatte die Logik vermeintlich auf seiner Seite, als er in der berühmten Brüsseler Nachtsitzung Anfang Juli nicht bei den wartenden Journalisten aufgetaucht ist. Wo nichts entschieden ist, kann schließlich auch nichts erklärt werden. Das sollte sich bitter rächen.

Christoph Steegmans, Sprecher der CDU-Familienministerin, und Anders Mertzlufft, Lautsprecher der FDP-Justizministerin, hatten auch nur Gutes im Sinn, als sie bei einer gemeinsamen Pressekonferenz über das Betreuungsgeld den Journalisten gegenübersaßen. Doch dann stritten sie sich – und die Aufklärung geriet zur Desinformation.

Die PR-Agentur Hering Schuppener sollte den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus als Sonnenkönig positionieren. Ihre Strategen kritzelten Sprechzettel, wie Mappus den umstrittenen Rückkauf der EnBW-Anteile den Journalisten schmackhaft machen könne. Doch trotz der fürsorglichen Hilfestellung stolperte er. Wahlniederlage und Untersuchungsausschuss waren in den Regieanweisungen nicht einkalkuliert.

Christoph Walther schließlich sah sich als Daimler-Sprecher schon auf der Überholspur, als er eine verwegene Interviewaussage seines Chefs bei der Autorisierung stehen ließ: Nur aus „psychologischen Gründen“ hätte er den Erwerb von Chrysler als „Fusion“ bezeichnet, diktierte Jürgen Schrempp der „Financial Times“ aufs Band. Die Tragweite des offenen Wortes hatte der PR-Mann nicht auf dem Radar. Kirk Kerkorian klagte und Daimler musste 300 Millionen Dollar an die sich getäuscht fühlenden Chrysler-Aktionäre bezahlen.

Der Drops ist gelutscht

Die Beispiele zeigen: Wenn vordergründig richtig gehandelt oder die Tonalität des Chefs nicht korrigiert wird, kommt oft das Falsche heraus. Kommuniziert wird nämlich auch dort, wo nichts passiert, und anders, wenn sich die Wissenden unwissend geben oder der verbale Höhenflug im Crash endet. Die Deutungshoheit über die Botschaft, den Spin also, definieren dann die Gegner. Eigentlich klare Haftungsfälle für Kommunikatoren. Eigentlich.

Ist Angela Merkel in Brüssel vor Monti, Holland und Rajoy in die Knie gegangen? Hat sie eine europäische Schuldenhaftung mitbeschlossen? Den Eindruck musste jedenfalls gewinnen, wer Nachrichten hörte und Zeitungen las. Kein Wunder: Seibert beteiligte sich nicht am Kampf um die Lufthoheit über die Sichtweise. Seine Kollegen aus den anderen Ländern dagegen tauchten auch während der Marathonsitzung bei den Journalisten auf und erzählten, was am Ende herauskommen wird. Sie kürten Monti & Co. vorab zu Siegern – und stempelten Merkel zur Verliererin. Erst hinterher versuchte Seibert zu erklären, dass seine Chefin keine ihrer Positionen geräumt habe. Doch da war der Drops schon gelutscht. Das Verhandlungsergebnis, das andere vorab als ihren Sieg verkauften, reichte nicht mehr zum nachträglichen eigenen Triumph.

Da ist der Marterpfahl!

In die gleiche Falle tappten auch die anderen Einflüsterer zweier Ministerien: Sie waren sich ihres Sieges sicher – und verhagelten ihren Vorturnern dabei die Trophäe. So wenig vergleichbar die Vorgänge sind, so zeigen sie doch alle das Kernproblem des Versagens: Wichtigste Funktion von Kommunikatoren ist es, ihre Chefs gut aussehen zu lassen. Und vermeintliche Verlierer sehen genauso wenig gut aus wie tatsächliche Verlierer.

Sicher kann man sich auf den Standpunkt stellen, Schrempp habe die inkriminierte Aussage selbst gemacht. Und man darf auch fragen, ob es Aufgabe von Hering Schuppener ist, die Verfassungsmäßigkeit von Mappus’ Vorgehen am Parlament vorbei zu hinterfragen. Aber genau das macht den Unterschied: Die einen exekutieren, was der Chef will. Und die Profis zeigen ihren Häuptlingen die Marterpfähle.

Seibert hat den Marterpfahl erst gar nicht gesehen – und ließ Merkel ins Messer laufen. Steegmans und Mertzlufft haben ohne Not ihre Brust den Messerwerfern hingehalten – und dabei selten dämlichen Mut bewiesen. Die Kommunikatoren von Schrempp und Mappus dagegen waren schlicht auf einem Auge blind.

Nach wie vor gilt: Wer als Sprecher oder PR-Experte nicht rechtzeitig den Finger hebt, hat die öffentliche Verwirrung mit verschuldet. Wer nur schläft, natürlich auch. Und wer sich mit seinesgleichen öffentlich zofft, gilt als kommunikativer Geisterfahrer. Das Problem ist nur: In diesem Geschäft bekommt man keine zweite Chance. Jedenfalls nicht, was den hinterlassenen Eindruck betrifft.

Anton Hunger (64) ist Journalist und war 17 Jahre Pressechef bei Porsche. Heute betreibt er das Kommunikationsbüro „publicita“ in Starnberg.

Er ist u. a. auch Mitgesellschafter von „brand eins“.

Erschienen in Ausgabe 09/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 68 bis 68 Autor/en: Anton Hunger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.