Vier im Chat

Frau Gantenbrink, warum haben Sie Ihren festen Job bei „Spiegel Online“ gekündigt?

Nora Gantenbrink: Weil es nicht der richtige Job für mich war.

Weil Sie lieber frei arbeiten?

Gantenbrink: Die Entscheidung fiel nicht zwischen frei oder fest. Das Kriterium war „glücklich“. „Spiegel Online“ ist für mich die beste Nachrichtenseite Deutschlands. Die Leute dort sind irre nett und gut. Blumencron ist ein super Chef. Aber wenn man Tickerdienste macht, das ist kein Geheimnis, arbeitet man eben auch in einem starren Gerüst. Ich wollte einen Job, in dem ich auch mal aufstehen kann, um eine Runde um den Block zu laufen. Um drei Stunden nachzudenken. Vielleicht ist das ein Luxus. Aber meine Existenzangst war kleiner als dieses Bedürfnis.

Sind die anderen auch glücklich in ihrem Job?

Max Boenke: Ich kann nicht klagen. Ich habe Spaß an der Axel-Springer-Akademie und lerne sehr viel dazu.

Daniel Drepper: Ich bin sehr glücklich mit meiner aktuellen Position. Im Recherche-Ressort der WAZ bekomme ich Unterstützung durch meinen sehr erfahrenen Kollegen David Schraven und habe eine Redaktion, durch die ich meine Miete bezahlen kann. Gleichzeitig kann ich frei für Radio, Online, Fernsehen, andere Redaktionen arbeiten. Gute Mischung.

Maris Hubschmid: Ich fühle mich enorm wohl in der Redaktion des „Tagesspiegel“, anerkannt, gefördert. Egal, welches Thema mich anspringt, die Ressorts nehmen meine Ideen und Texte gerne auf. Es gibt keinen Dünkel, keine Revierhoheit. Besseres kann einem nicht passieren.

Welche Art von Job wünschen Sie sich auf Dauer: fest oder frei?

Gantenbrink: Ich wünsche mir vor allem, gute Texte zu schreiben.

Boenke: Wenn man Journalist sein möchte, zählt in erster Linie nicht, ob frei oder fest. Möchte ich unbedingt schreiben: ja. Muss das in jedem Fall fest sein: nein. Ich bin aber im Moment sehr dankbar für viele wertvolle Tipps von Kollegen aus der Redaktion.

Hubschmid: Ich kann mir freie Arbeit vorstellen, strebe sie aber nicht an. Anders als viele Kollegen arbeite ich gerne und gut von zuhause aus. Mir gefällt auch die Idee des Home-Office. Trotzdem bin ich froh, jetzt Redakteurin zu sein, das gibt mir ein gutes Gefühl von Zugehörigkeit.

Drepper: Ich will nicht ausschließen, auch mal irgendwo fest zu arbeiten, aber die Möglichkeiten für Kooperationen und Recherchen, die ich jetzt als Freier habe, würde ich ungern aufgeben. Gut wäre zum Beispiel eine Redaktion, die so offen ist, dass man auch mit befreundeten Kollegen kooperieren kann, die bei anderen Medien arbeiten.

Hatten Sie mal das Gefühl, als „Nachwuchs“-Journalist einen schwereren Stand zu haben, bei Gesprächspartnern oder Kollegen?

Boenke: Bei externen Gesprächspartnern kommt man meist mit guter Vorbereitung weiter.

Drepper: Dann dauert es nicht lange und schlägt eher ins Gegenteil um: Aha, so jung und doch so im Thema. Dann kommen die Infos erst recht. Wenn das Gespräch konfrontativ ist, dann kann man das Unterschätztwerden ja auch wunderbar für sich nutzen.

Gantenbrink: Ich halte es dann und wann für ganz gut, nicht ernst genommen zu werden.

Nämlich wann?

Gantenbrink: Wenn Protagonisten keine Angst vor mir haben.

Hubschmid: Ich kenne auch die musternden Blicke irgendwelcher Pressesprecher, die abschätzen, ob das jetzt bloß eine Praktikantin ist, die nix zu melden hat.

Und bei Kollegen?

Drepper: Die freuen sich eher. Es gibt natürlich auch solche, bei denen man es spürt. Das legt sich dann meist nach den ersten Geschichten. Und wenn nicht, sollte es einem egal sein.

Boenke: Innerhalb eines Hauses hat man natürlich den „Anfängerstatus“ – da muss man dann zeigen, was man kann. Das finde ich aber legitim.

Gantenbrink: Wenn Redaktionsleiter denken: „Das schafft die eh nicht“, dann spornt mich das an. Dann denk ich mir, das zeig ich dir jetzt. Und das finde ich übrigens auch gut am Journalismus: Dass du der selbstbewussteste, bestangezogene und smarteste Typ der Welt sein kannst, aber wenn deine Recherche und dein Text scheiße sind, dann ist dein Artikel letztendlich scheiße. Punkt.

Herr Drepper, Ihre Klage in Sachen Medaillenvorgabe hat ziemlich Furore gemacht. Hat das Ihre Stellung verändert?

Drepper: Ich glaube schon, dass es jetzt einfacher ist, Themen zu platzieren. Das liegt aber nicht unbedingt an „meiner Stellung“, sondern im Moment eher daran, dass wir das Thema Sportförderung dadurch etwas heißer gemacht haben. Aber klar: Auf dem Gebiet wird man jetzt natürlich ernster genommen, weil deutlich wurde, dass man im Zweifel nicht zurückzuckt, sondern durchzieht.

Ist es Ihrer Erfahrung nach symptomatisch für staatliche oder andere Institutionen, so zu mauern, obwohl sie das nicht dürfen?

Hubschmid: Symptomatisch finde ich vor allem diese Verzögerungstaktik: Ja, wir beantworten alle Fragen, aber leider nicht rechtzeitig bis Redaktionsschluss.

Gantenbrink: Es gibt Institutionen, die immer mauern. Die Deutsche Bahn. Die katholische Kirche. Diese Erfahrung muss jeder junge Journalist mal machen, glaube ich.

Drepper: Ich glaube, Mauern ist symptomatisch für so ziemlich alle, die mittelviel Lust auf Transparenz haben. Das Gute: Der Staat (und noch wichtiger: fast alle, die Geld vom Staat bekommen) kann gezwungen werden, zu antworten.

Hubschmid: Ich wurde beim „Tagesspiegel“ ermuntert, immer auf die Auskunftspflicht hinzuweisen und damit zu drohen, dass ich schreibe, dass sie sich dem verweigern …

Boenke: … was die wenigsten kümmert.

Gantenbrink: Ich sehe das wie Maris Hubschmid: sagen, was ist. Dann schreibt man: „Bis zum Redaktionsschluss wollte sich XY nicht zu dem Fall äußern.“ Das hat im Zweifel sogar mehr Wumms.

Drepper: Je besser man sich auskennt, desto leichter wird klar, wo die Schwachstelle ist. Die muss ja auch nicht immer im Apparat sitzen. Vielleicht saß sie mal drin. Oder hatte mit ihm zu tun. Oder kennt jemanden, der drin sitzt. Wenn die Geschichte steht und belegt ist, ist es ja auch überhaupt nicht schlimm, wenn der Pressesprecher nichts sagen will.

Boenke: „Drohen“ klingt mir zu bedrohlich. Salafisten, die Journalisten öffentlich drohen – das ist eine „Bedrohung“. Mauernde Institutionen, die trotz Auskunftspflicht nicht antworten, schränken die Pressefreiheit wohl eher ein.

Pressefreiheit ist ja auch das Anliegen hinter dem Portal „20zwoelf“…

Drepper: … gute Sache übrigens!

Erzählen Sie kurz, was Sie als Co-CvD da machen, Herr Boenke?

Boenke: Während der Produktionsphase haben wir in kleinen Teams überlegt, wie wir die Seite gestalten wollten. Welche Themen sind uns besonders wichtig etc. Als CvD haben Alexandra Zykunov und ich unseren Kollegen geholfen, sind selber mit zu Videodrehs gefahren und dergleichen. Jetzt mache ich selber Geschichten, plane mit Alexander Rickmann den Blog, suche Themen, sorge für einen Weiterdreh auf Social Media – das Ding auf die Beine zu stellen war wochenlange Arbeit von 20 Journalistenschülern.

Das Portal entstand als Projekt der Axel-Springer-Akademie, hat also einen großen Verlag im Rücken. Wie bedroht ist die Pressefreiheit, wenn einer der größten deutschen Verlage darum bangt?

Boenke: Von Bangen ist keine Rede. Wir wollten es nur nicht als selbstverständlich hinnehmen und mal nachfragen, wieso Deutschland im Pressefreiheit-Ranking nur auf Platz 16 steht oder warum die Berichterstattung von Promis so glattgebügelt ist.

Gantenbrink: Ist die Berichterstattung von „Bild“ über Promis „glattgebügelt“?

Boenke: Promi-Berichterstattung ist ja nur ein Beispiel von vielen. Wenn bei einer Castor-Demo von der Polizei Fotomaterial beschlagnahmt wird, ist das für die Pressefreiheit bedrohlich.

Hubschmid: Gefährdet ist die aus meiner Sicht eher durch
die zunehmende Konzentration von Verlagen und Redaktionen – und durch die wachsende Abhängigkeit von Anzeigenkunden, bei sinkenden Vertriebserlösen.

Drepper: Genau: Wenn Recherchen nicht durchgezogen werden, weil sie zu teuer sind oder gegen Anzeigenkunden gehen. Ich bin gespannt, ob und – falls ja – wann es Modelle wie das von ProPublica in Deutschland geben wird: investigativer Journalismus aus Spenden finanziert.

Wie sieht es eigentlich aus mit der inneren Pressefreiheit? Hat jemand von Ihnen vor diesem Gespräch Vorgaben von Arbeit- oder Auftraggebern bekommen?

Gantenbrink: Nein.

Boenke: Nein.

Hubschmid: Nein.

Drepper: Nein, ich bin ja Freier.

Ich stelle die Frage, weil bei vielen großen Verlagen – und eben auch bei Springer – in der Regel kein Text unautorisiert rausgeht.

Boenke: Man sollte unterscheiden zwischen „Autorisierung“ und „innerer Pressefreiheit“.

Das heißt, eine Gelegenheit zur Autorisierung erwartet Ihr Arbeitgeber schon?

Boenke: Ich erwarte nur, dass ich mich vergewissern kann, richtig verstanden worden zu sein.

Gantenbrink: Aber wir führen dieses Interview doch schriftlich?

Boenke: Ja, klar. Aber wenn es noch nachbearbeitet wird, muss der Wortlaut vielleicht zugunsten der Verständlichkeit verändert werden.

(Anmerkung Gantenbrink: Am Ende des Gesprächs baten dann alle vier Teilnehmer um Autorisierung, mit dem Argument: „Wenn einer, dann alle.“)

Zur Wirtschaftlichkeit: Frau Hubschmid, warum haben Sie vor Ihrem Volontariat eine Ausbildung zur Medienkauffrau gemacht?

Hubschmid: Ich wollte immer Journalistin werden. Meine Eltern, beide freiberufliche Journalisten, waren mäßig begeistert davon und haben sehr für eine „solide Grundlage“ plädiert. Darum habe ich mich damals für die Ausbildung entschieden. Ich habe zwar schnell bestätigt gesehen, dass ich auf der kaufmännischen Verlagsseite nicht glücklich werden würde. Heute empfinde ich es aber als Vorteil, die Zusammenhänge zu kennen. Redaktion und Anzeigenabteilung glauben ja immer, dass sie allein der Kern des Unternehmens sind.

Wie wirtschaftlich müssen oder sollten Journalisten denken?

Boenke: Journalisten sollten zuerst an die Leser denken, nicht an die Wirtschaftlichkeit.

Drepper: Sehe ich anders. Ich finde es gut, wenn Journalisten wirtschaftlich denken, weil sie das dann nicht nur den Unternehmensberatern überlassen, die im Zweifel Stellen und Recherchen streichen, um den Gewinn zu steigern.

Boenke: Sicher muss man als Freier anders denken. Oberste Priorität hat aber Unabhängigkeit.

Drepper: Klar, als Freier lautet die EntscheiduGantenbrink: Gute Geschichte mit Mini-Stundenlohn oder schnell produziertes Stück für guten Stundenlohn. Letztendlich zahlt es sich aber aus, wenn man möglichst viel Zeit in Ersteres investiert. Wie soll sonst jemals jemand auf dich aufmerksam werden?

Boenke: Da sind wir einer Meinung. Deshalb konzentriere ich mich darauf, dem Leser etwas Gutes zu bieten. Vielleicht ist es mein Luxus als Fester, nicht auch noch darüber nachdenken zu müssen, wie viel Geld das bringt.

Gantenbrink: Journalisten (egal in welcher Position) müssen nicht Erster Klasse reisen und Austern essen. Das tue ich nicht. Darüber hinaus mache ich mir kaum Gedanken über Wirtschaftlichkeit, sonst hätte ich BWL studiert. Zudem: Journalisten produzieren das Produkt, die Texte. Verkaufen müssen es andere. Und da ist es natürlich so wie in jedem Unternehmen: Je schlechter das Produkt ist, desto schwerer wird es, es zu verkaufen.

Drepper: Wenn ich als Journalist über die Wirtschaftlichkeit nachdenke, denke ich auch an meine Geschichten und Recherchen. Ich kann ganz andere Modelle entwickeln als ein BWLer. Ich finde das wichtig, weil ich in 20 Jahren Journalist sein möchte, der im Netz wunderschöne, harte Geschichten produziert, gern auch für eine Plattform, die kaum Gewinne abwirft. Und nicht Produzent für eine lieblose Content-Farm, die aber wirtschaftlich super erfolgreich ist.

Wo verlaufen Ihre roten Linien? Was würden Sie nicht machen, für wen nicht arbeiten?

Drepper: Ich würde keine PR machen.

Boenke: Keine PR, kein politisches „Vor-den-Karren-Spannen“.

Drepper: Ich bekomme häufiger Anfragen, ob ich mein Blog nicht „monetarisieren“ wolle. Mit gekauften Links, Texten über Produkte, so was. Geht meiner Meinung nach gar nicht.

Gantenbrink: Ich würde auch keine PR machen. Ich würde auch nicht mehr für „Bild“ arbeiten.

Warum nicht?

Gantenbrink: Weil es Medien gibt, deren Art der Berichterstattung ich mehr schätze.

Hubschmid: Auf ihre Art macht „Bild“ verdammt gute Arbeit. Nachrichtlich ist sie meist ganz vorn dabei. Und es wäre sicher eine gute Schule, mal einige Wochen dabei gewesen zu sein.

Boenke: Nora Gantenbrink hat sich mit „Bild“ auseinandergesetzt und ist dann zu dieser Entscheidung gekommen. Damit hat sie 99,9 Prozent der „Bild“-Hasser etwas voraus.

Drepper: Meine Mutter hat mir früher immer gesagt: Du darfst für alle arbeiten, aber nicht für „Bild“. Ich habe mittlerweile sehr gute Kollegen von dort kennengelernt, die starke Recherchen gemacht haben. Mit der Grundausrichtung des Blattes kann ich aber immer noch überhaupt gar nichts anfangen.

Boenke: Wer einen „Henri“ bekommt, kann so schlecht nicht sein.

Gantenbrink: Ich habe einige sehr gute Freunde bei „Bild“. Ich wollte keine generelle Aussage gegen die Zeitung treffen. Nur eine persönliche.

Wie wichtig ist Ihnen eigentlich Teamarbeit?

Hubschmid: Gemeinsam brainstormen und Themen entwickeln ist super. Ich habe schon oft von Erfahrungen, Einwänden und Anregungen anderer profitiert. Gemeinsam Texte schreiben ist dagegen schwierig.

Gantenbrink: Ich glaube, Teamarbeit macht nicht immer Sinn. Aber oft schon – und dann eine Gruppe von Journalisten zu haben, die ausschwärmen und wühlen und mit denen man sich austauschen kann, das finde ich großartig.

Drepper: In den letzten ein, zwei Jahren habe ich alle größeren Geschichten in Teamarbeit gemacht, und das hat mich und die Recherchen extrem bereichert. Ich finde, dass gezielte Arbeit mit Kollegen einen oft sehr viel weiter bringt.

Boenke: Im Team entstehen die wirklich guten, die wirklich durchdachten Geschichten. Am Ende kommen jedenfalls im Team recht vernünftige Dinge heraus. „20zwoelf“ ist ein gutes Beispiel.

Welche Art von Know-how sollte ein Berufseinsteiger haben, was ist für Sie wichtig?

Drepper: Man sollte sich in allem mal probiert haben, aber ein festes Standbein haben.

Boenke: Ich hätte in Zukunft gern mehr als ein Standbein. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Drehen mit einer Videokamera und Kenntnisse in einem Schnittprogramm ungeheuer viel Kreativität freisetzen.

Drepper: Aber alles können geht nicht.

Boenke: Nein. Aber schreiben und filmen, das ist für mich ein begehrenswertes Duo.

Gantenbrink: Ich würde lügen, wenn ich behauptete, crossmedial eine besonders große Bereicherung zu sein. Ich denke immer eher in Texten, nicht in Bildern. Und mein Praktikum beim Radio habe ich gehasst. Aber ein Team zusammenzustellen mit Schreibern, Fotografen und Videoredakteuren, das finde ich sinnvoll.

Hubschmid: Ich finde es hilfreich, wenn man fotografieren kann. Nicht, weil ich will, dass Journalisten künftig alles alleine machen. Aber wenn man mal allein unterwegs ist, sollte man in der Lage sein, ein passables Bild mit zurückzubringen.

Ist Print eigentlich schon tot?

Hubschmid: Nein!

Drepper: Doch.

Boenke: Die Zeitung, die ich jeden Morgen in der Bahn lese, sagt nein.

Hubschmid: Ich glaube, irgendwann ist auch mal eine gewisse Sättigung erreicht: Menschen wollen nicht 24/7 auf einen Bildschirm starren. Sicher ist wohl aber, dass einige Tageszeitungen in den
kommenden Jahren dran glauben werden. Für den Magazinjournalismus habe ich viel Hoffnung.

Drepper: Ich glaube, in 15 Jahren sind ziemlich viele Zeitungen nicht mehr da oder nicht mehr relevant. Langfristig finde ich die Frage aber unwichtig: Es ist doch egal, ob meine Geschichte zusätzlich auch noch auf Papier gedruckt wird. Wichtiger ist mir mittlerweile die Story im Netz. Dort hat man mehr Möglichkeiten, sie bleibt länger als einen Tag.

Gantenbrink: Die Zeitung ist vielleicht irgendwann tot. Aber nicht das geschriebene Wort, die geschriebene Geschichte. Und worauf eine gute Geschichte steht, ob auf dem iPad, dem Smartphone, dem Bildschirm, einem Stein oder einem ehemaligen Baum, ist mir völlig egal.

Hubschmid: Mir bedeutet Print immer noch mehr. Online schreibt ja jeder Hans und Franz. Die gedruckte Zeitung macht etwas Tolles: Sie filtert. Sie gewichtet.

Gantenbrink: Es steht aber auch ziemlich viel Scheiß in Printzeitungen.

Drepper: Und online kann sich Scheiß wenigstens regulieren, durch Kommentare, Verbesserungen, Gegenrede. Wer täglich den gleichen Quatsch in seiner Lokalzeitung liest, hat dagegen kein Korrektiv.

Boenke: In diesem Fall wäre das Korrektiv: nicht kaufen.

Gantenbrink: Das eine ist nicht weniger schlimm als das andere. Mich nervt nur dieses Gerede: Print = immer gut. Das stimmt nämlich nicht.

Hubschmid: Aber Online führt auch zu einer teils fragwürdigen BeschleuniguGantenbrink: In Echtzeit erleben wir, wie X auf Y reagiert, fragen Y, was er davon hält, und so weiter. Da entstehen mithin Pseudo-Nachrichten.

Drepper: Das ist aber ein Phänomen, dem man sich (als Konsument und auch als Journalist) zumindest zum Großteil entziehen kann – und auch entziehen sollte.

Boenke: Das Schöne an Online ist: Man kann live mitverfolgen, was läuft und was nicht läuft. Haben wir uns das nicht schon immer gewünscht? Ein Klick ist eine ziemlich gute Währung und Gradmesser.

Welche Rolle spielen Social Media für Ihre Arbeit – und welche nutzen Sie?

Gantenbrink: Sehr viele. Xing. Facebook. StudiVZ. Yasni. Nutze ich alles und bin sehr dankbar dafür. Über Facebook findet man total oft Leute.

Boenke: Ich nutze Twitter vor allem als Live-Nachrichten-Übersicht. Facebook, um Kontakte zu knüpfen und zu finden.

Drepper: Facebook, Xing, LinkedIn. Vor allem aber Twitter. Als Nachrichtenfluss, wie einen Feedreader. Zum Verbinden und Kommunizieren. Natürlich auch zum Verbreiten eigener Storys. So schaffe ich auch wieder Nähe zum Rezipienten.

Hubschmid: Ich bin auch bei Facebook, Xing, Google+, ja. Aber nutze ich die viel für meine Arbeit? Eigentlich nicht.

Wie werden Sie von Redaktionen oder Auftraggebern gefördert? Gibt’s Kritik?

Boenke: Es gibt ständig Kritik. Gute wie schlechte. Kritik ist wie eine Backpfeife. Die bekommt man. Ob man es will oder nicht.

Drepper: Als Freier ist das sehr unterschiedlich. Zum Teil kommt gar nichts, zum Teil gibt es Feedback. Im Recherche-Ressort der WAZ werde ich total gefördert und wir setzen uns mit den Texten detailliert auseinander. Das finde ich auch extrem wichtig.

Boenke: Als Volontär habe ich das gute Gefühl, bereits jetzt viel Verantwortung zu bekommen. Sei es als Reporter in der Zeitung, als CvD von „20zwoelf“ oder mal als Spätdienst für die Seite 1.

Gantenbrink: Ich wünsche mir Kritik, ich bekomme sie auch fast immer. Ich mag die Auseinandersetzungen mit den Textchefs. Ich liebe die Dok für alles, worauf sie mich aufmerksam macht. Dass Leute überhaupt meine Texte lesen und redigieren, dafür bin ich unglaublich dankbar.

Hubschmid: Feedback ist beim „Tagesspiegel“ sehr institutionalisiert, durch die täglichen Blattkritiken, die große Redaktionskonferenz und Ressortkonferenzen. Auch vor der Veröffentlichung suche und bekomme ich Feedback, weil jeder Text von mindestens einem anderen Redakteur gelesen wird.

Ganz andere Frage: Was halten Sie von einer Frauenquote im Journalismus?

Gantenbrink: Die Debatte finde ich wichtig und richtig.

Hubschmid: Gefühlt war ich immer eher gegen die Quote. Ich verstehe aber auch diejenigen, die sagen: Ich hasse die Idee einer Quote, aber ich liebe, was sie bewirkt. Ich habe mich bisher nie benachteiligt gefühlt, aber ich habe ja zum Beispiel auch noch keine Kinder.

Schön, dass da spontan nur die Kolleginnen antworten … Was halten die Männer davon?

Boenke: Ich glaube, Qualität ist entscheidender als Quote. Insbesondere im Journalismus. Bei uns stellt sich die Frage übrigens nicht, Frauen sind in den Jahrgängen der Akademie seit Jahren in der Überzahl.

Drepper: Ich bin nicht in der Position, das zu bewerten. Weder habe ich die Erfahrungen der Kolleginnen, wie es ist, auf eine Mauer zu treffen, noch bin ich die Mauer. Grundsätzlich sehe ich das wie Max Boenke: Qualität setzt sich durch. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich immer so ist.

Gantenbrink: Ich würde mir eine Welt wünschen, die ohne Quote funktioniert. Aber ich glaube, dass diese Vorstellung nicht der Realität entspricht. Und dass der Gedanke „Qualität setzt sich durch“ auch ein bisschen naiv ist. Und deshalb finde ich die Quote gut.

Haben Sie journalistische Vorbilder?

Gantenbrink: Ja. Christoph Scheuring. Marie-Luise Scherer. Matthias Geyer. Zum Beispiel.

Boenke: Um ehrlich zu sein, nein.

Hubschmid: Ich lese Andreas Wenderoth ungeheuer gern.

Drepper: Ich finde viele Leute gut. Holger Gertz als Schreiber. Rechercheure wie Hans Leyendecker. Aber ein Vorbild im Sinne von: so wie der, so will ich werden – das habe ich nicht.

Wovon werden Sie angetrieben?

Gantenbrink: Von Geschichten. Von Menschen. Von Gedanken.

Hubschmid: Nora Gantenbrink hat das wunderbar auf den Punkt gebracht. Auch davon, wahrgenommen werden zu wollen – Menschen zu berühren.

Boenke: Ich hänge gedanklich immer Nachrichten, Geschichten, Bildern nach. Aber ich kann ganz gut abschalten, wenn es nötig ist.

Drepper: Von dem Gefühl, dass da noch mehr geht. In Recherchen. In Erzählformen. Ich finde es sehr schwer, abzuschalten. Auch, weil es so viel Spaß macht. Es kickt halt.

Boenke: Neugierde klingt vielleicht abgegriffen. Aber das beschreibt es gut. Und über Dinge berichten, die mehr Beachtung verdienen – das treibt an.

Plasberg’sche Abschlussfrage: Wen in der Runde beneiden Sie, wen bedauern Sie wofür?

Gantenbrink: Ich neide nie, und zu bedauern ist meiner Meinung nach in dieser Runde niemand.

Drepper: Neid ist das falsche Wort – ich würde gerne so elegant schreiben können wie Nora Gantenbrink. Aber warum sollte ich jemanden bedauern?

Gantenbrink: Herr Drepper, jetzt ist das Mädchen beschämt.

Hubschmid: Glücklicherweise schreibe ich selber elegant. Ich kann darum allen hier alle Erfolge ohne jeden Anflug von Neid gönnen.

Boenke: Hier ist niemand zu bedauern. Auch nicht zu beneiden.

DANIEL KASTNER ist freier Journalist in Berlin und Mitglied der „medium magazin“-Redaktion.

redaktion@mediummagazin.de

Die 4er-Runde

Wir baten vier unserer diesjährigen Top 30 zum Roundtable – zeitgemäß via Skype-Chat. Zweieinhalb Stunden lang debattierten: Nora Gantenbrink (26), freie Journalistin u. a. für „Zeit“ und „Stern“, Max Boenke (25), Absolvent der Axel-Springer-Akademie und einer der beiden CvDs des Portals 20zwoelf.de, Daniel Drepper (26), freier Reporter vor allem für die WAZ, und Maris Hubschmid (24), Medienkauffrau und Redakteurin beim „Tagesspiegel“.

Erschienen in Ausgabe 09/202012 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 30 bis 33 Autor/en: Interview: Daniel Kastner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.