Breakdown statt Break-even

Ihre Imagekampagne hätte sich die Deutsche Presseagentur (dpa) sparen können. Seit ein paar Wochen erscheinen Anzeigen, in denen die dpa an das Qualitätsbewusstsein der Leser appelliert: „Wollen Sie nicht wissen, woher Ihre Nachrichten kommen?“ Über den Sinn der Kampagne wäre zu streiten. Informationsquellen auf Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit zu überprüfen, kann schließlich nicht Aufgabe des Lesers sein. Er vertraut der Medienmarke, nicht der Agentur, von der sie die Nachrichten bezieht.

Die dpa hätte sich die Kampagne aber noch aus einem anderen Grund sparen können. Die einzige Nachrichtenagentur, deren Image am Boden liegt, ist der dapd. Offenkundig ist das seit dem 2. Oktober, als Wolf von der Fecht um 14 Uhr beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg für mehrere Tochterunternehmen des dapd Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt und deren vorläufige Geschäftsführung übernommen hat. Wolf von der Fechts gepresste Stimme zeugt von Arbeitslast und Zeitnot. Bis Ende November muss er einen Weg gefunden haben, wie die acht insolventen Unternehmen unter dem Dach der angeblich profitablen dapd Holding schwarze Zahlen schreiben und mit neuen Investoren im Rücken und einem überzeugenden Geschäftsmodell als Grundlage eine Chance auf nachhaltiges Wachstum haben könnten. Gelingt das nicht, könnten an der Reinhardtstraße im Berliner Regierungsviertel die Lichter ausgehen. Von der Fecht schließt das nicht aus, ergänzt allerdings im selben Atemzug: „Im Moment gibt es dafür überhaupt keine Anzeichen.“

Erste Investoren, erzählt von der Fecht, hätten sich gemeldet, „aus dem Print-, aus dem Nicht-Medienbereich und aus dem Ausland“. Seine Aufgabe sei nun, „die Ernsthaftigkeit des Interesses, die Bonität und die wirtschaftliche Nachhaltigkeit zu prüfen.“ Damit nämlich war es unter den Eigentümern Martin Vorderwülbecke und Peter Löw nicht weit her, wie man mittlerweile weiß.

Was gab den Ausschlag, dass sie derart unerwartet die Reißleine gezogen haben? Waren es die Marktbedingungen, wie sie glauben machen wollen – oder ist ihnen bei einem ihrer anderen Investments ein Geldgeber abgesprungen, so dass dapd zum Kollateralschaden wurde? Nur einen Tag vor der Insolvenz traten mehrere Mitarbeiter ihren neuen Arbeitsplatz bei dapd an – im Vertrauen, bei einem sicheren Arbeitgeber gelandet zu sein. Diesen Eindruck hatten die beiden Eigentümer bis zuletzt vermittelt. Ihr Investment sei langfristig angelegt, beteuerten sie bei Einstellungsgesprächen noch vor wenigen Wochen – und stoppten kurz darauf ihre Zahlungen.

Der größte Anteil der dapd-Kosten – die Rede ist von 80 bis 90 Prozent – sind angeblich Personalkosten. Diese übernimmt rückwirkend zum September die Bundesagentur für Arbeit. Ausgerechnet Löw und Vorderwülbecke, die gegen Auftragsvergaben staatlicher Behörden „an befreundete Nachrichtenagenturen nach Gutsherrenart“ polemisiert und dies als „getarnte Subventionen für eine einzelne Agentur“, die dpa, bezeichnet hatten, rufen nun selbst nach dem Staat und seinen Steuergeldern. Dabei vermittelten sie so gern den Eindruck, Deutschland sei eine Bananenrepublik, in der Verschwörungen und Intransparenz wirtschaftlichen Erfolg verhinderten, in der weder Gerechtigkeit noch Rechtsstaatlichkeit gälten. Geht man den konkreten Vorwürfen jedoch nach, ergibt sich ein anderes Bild.

Da wären zum einen ARD und ZDF. Die Forderung, die durch „Zwangsgebühren“ (wie die dapd-Spitze das stets nannte) finanzierten Öffentlich-Rechtlichen sollten Aufträge ausschreiben, bevor sie Verträge mit Nachrichtenagenturen schließen, bezeichnen ARD wie ZDF als abwegig: „Eine öffentliche Ausschreibung erfolgt stets mit dem Ziel, aus zahlreichen Anbietern einen einzigen, allenfalls einige wenige, auszuwählen. Sie ist sinnlos, wenn Leistungen ohnehin von allen in Betracht kommenden Anbietern bezogen werden sollen.“

Tatsächlich ist eine Ausschreibung in rechtlicher Hinsicht nicht vorgeschrieben. Darauf weist auch ZDF-Sprecher Alexander Stock hin: „Das Kartellvergaberecht nimmt von seinem Anwendungsbereich ausdrücklich den Kauf, die Entwicklung, die Produktion oder Koproduktion von Programmen aus, die zur Ausstrahlung durch Rundfunk- oder Fernsehanstalten bestimmt sind. Diese Ausnahme umfasst auch Vorbereitungsdienste wie die Beschaffung von Nachrichten, Informationen oder Daten.“

Auch der Vorwurf, dass ZDF-Chefredakteur Peter Frey im Aufsichtsrat der dpa sitze, sei eine „kundenbindende Maßnahme“, die zur Bevorzugung von dpa führe, gehe ins Leere. Vielmehr, sagt ZDF-Sprecher Alexander Stock, sei dies § 16b des Rundfunkstaatsvertrags geschuldet, wonach das ZDF sich an einem Unternehmen nur beteiligen kann, wenn es im Aufsichtsgremium vertreten ist. Bei dpa ist das ZDF ebenso wie 188 weitere Sender und Verlage seit seiner Gründung Gesellschafter. Zum an die Adresse der ARD geäußerten Vorwurf, sie habe im Herbst 2011 dapd gekündigt, um beim erneuten Vertragsabschluss 900.000 Euro zu streichen, heißt es beim NDR, als der für Verhandlungen mit Nachrichtenagenturen federführenden ARD-Anstalt: Nach der Übernahme von ddp und AP durch dapd seien einvernehmlich bestehende Verträge angepasst worden. Dies sei notwendig geworden, „weil einige der bezogenen Dienste im Laufe des Jahres 2011 ganz oder teilweise eingestellt wurden“. So wurde ab Mitte 2011 nur noch ein gemeinsamer Basisdienst Politik angeboten, während es zuvor zwei Dienste zum Thema Politik gegeben hatte, nämlich je einen von AP und ddp. Im Frühjahr 2011 habe die dapd-Geschäftsleitung dann die Struktur der zusammengeführten Nachrichtendienste vorgestellt. Die folgenden Vertragsverhandlungen „wurden Ende 2011 einvernehmlich abgeschlossen. Die vereinbarten Zahlungen an dapd sind unter Berücksichtigung der vereinbarten Leistungen auch im Verhältnis zu anderen Agenturen angemessen.“

Mit dem Plan, den engen Markt der Nachrichtenagenturen dank billigerem Personal mit deutlich niedrigeren Preisangeboten aufzumischen, entwertete dapd in gewisser Weise selbst die Arbeit von Nachrichtenagenturen.

Aufgegangen ist der Plan dennoch nicht. Die Kunden gingen auf die plötzlich explodierenden Preisvorstellungen des dapd nicht ein. So geschehen beim ZDF, das die vom dapd kolportierten Zahlen, dpa habe für vergleichbare Leistungen das Zehnfache bekommen, ins Reich der Fantasie verweist.

Schließlich das dritte Beispiel. Es geht um einen Auftrag, laut dapd mit einem Volumen von zehn Millionen Euro bei annähernd 95 Prozent Gewinnmarge. Gemeint ist der Auftrag vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Er bezieht sich auf eine technische Dienstleistung, um im Ernstfall die Bevölkerung vor Angriffen oder Katastrophen zu warnen. Im Rahmen des Anti-Terror-Pakets hatte die Bundesregierung nach 9/11 unter Innenminister Otto Schily (heute im Beirat des dapd) beschlossen, das satellitengestützte Warnsystem auszubauen. Beauftragt wurde die Firma mecom, die das System 1999 aufgebaut hatte. Zuletzt wurde die Zusammenarbeit im Herbst 2011 erneuert. „In Geheimverhandlungen“, heißt es im Umfeld der dapd-Eigentümer. Tatsächlich gab es zuvor keine Ausschreibung – „unter Bezugnahme auf ein Alleinstellungsmerkmal der Firma mecom“, sagt Behördensprecherin Ursula Fuchs. dapd wäre allerdings schon an den technischen Voraussetzungen gescheitert: Das Warnsystem arbeitet satellitenbasiert, dapd hatte sich jedoch von der „veralteten“ Satellitentechnik zum Jahreswechsel 2011/12 verabschiedet. Trotzdem klagte dapd und scheiterte in zweiter Instanz Anfang August vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.

Anders als von dapd behauptet ist mecom keine reine dpa-Tochterfirma. Auch die Katholische Nachrichtenagentur, der Evangelische Pressedienst und Agence France Presse sind Gesellschafter, ddp war Gründungsgesellschafter. Nach der Ins
olvenz des ddp, der nach der Übernahme durch Vorderwülbecke und Löw im dapd aufgegangen ist, hätte dapd Gesellschafter von mecom werden können, wollte dies aber nicht. Stimmt es, was dapd verbreitet, hätte die Agentur also von dieser angeblichen Marge von annähernd 95 Prozent und dem angeblich zehn Millionen Euro umfassenden Auftrag profitieren können. Über die kolportierten Zahlen lacht mecom-Geschäftsführer Ulrich Wiehsalla und nennt sie „kompletten Blödsinn“. Fuchs sagt, das Auftragsvolumen liege „unter 20 Prozent“ des genannten Wertes. Die Angaben zur Höhe der Marge „können wir nicht nachvollziehen“. Solche Zahlen kommen nur durch Jonglieren zustande.

Genauso gut könnte man den langjährigen Vertrag, den dapd mit Daimler geschlossen hat, wegen seiner Dauer von 18 Jahren als 18-Millionen-Euro-Vertrag bezeichnen. Tatsächlich erscheint die eine Million Euro pro Jahr angesichts der 28 Sprachen, in der dapd Nachrichten und Fotos direkt in Mercedes-Fahrzeuge liefert, nicht überragend lukrativ. Der Vertrag bleibt von der Insolvenz übrigens unangetastet: „Solange dapd die vertraglich vereinbarten Leistungen liefert, besteht kein Handlungsbedarf“, sagt eine Daimler-Sprecherin auf Nachfrage.

Ihrer mangelnden Seriosität waren sich die dapd-Eigentümer wohl bewusst, schmückten sich mit großen Namen und ließen sich etwa von Hans-Erich Bilges Kontakte vermitteln. Bilges war es, der das opulente Sommerfest noch am 12. September organisierte und auch die Roadshow, zu deren Auftakt dapd ostdeutsche Chefredakteure vier Wochen vor dem Insolvenzantrag nach Dresden einlud. Juristisch suchte dapd den Rat bei der Kanzlei Gleiss Lutz und dem Staatsrechtler Rupert Scholz. Auch sie scheiterten an Klagen gegen die Vergabepraxis von Aufträgen (wozu sich auch die dpa im Fall des Bundespresseamts hat hinreißen lassen, aber ebenfalls ohne Erfolg). Dazu sagt von der Fecht nur so viel: „Natürlich kann man viel beklagen. Nichtsdestotrotz gilt es, kostendeckend zu arbeiten und anfallende Rechnungen zu bezahlen.“

Für das Vorgehen, dpa zu spielen, nur günstiger, zeigt von der Fecht Verständnis. Als Geschäftsmodell funktioniere das aber nicht: Natürlich könne ein Wettbewerber versuchen, über den Preis Fuß im Markt zu fassen. „Am Ende müssen die Preise aber kostengerecht sein, anders geht es nicht.“

Und trotz der Dumpingangebote sind nur wenige auf das Spiel, dpa überflüssig zu machen, eingegangen: Unter den großen Zeitungsverlagen beispielsweise hat nur die WAZ-Gruppe auf dpa zugunsten von dapd verzichtet. Dagegen ist die „Rheinische Post“ nach jahrelangem Verzicht zu Jahresbeginn 2012 wieder zu dpa zurückgekehrt – und hat ihren Altvertrag mit ddp auslaufen lassen, der mit AP endet 2012.

Wie geht es nun weiter? Am Ende des Insolvenzverfahrens könnte dapd Geschichte sein, die Agentur in Einzelteile zerschlagen und veräußert werden, aber auch als Vollagentur weiterleben. Letztes nur, sagt von der Fecht, wenn das Angebot nach den Wünschen der Kunden ausgerichtet würde. Das birgt die Gefahr, sich auf populäre Themen zu verlegen, und kann bedeuten, Themen und Bereiche, die gerade kein Konjunkturhoch erleben, zu vernachlässigen. Die dpa bliebe unverzichtbar.

Alles steht und fällt mit der Frage, wer als Investor einsteigt – wobei nicht auszuschließen ist, dass Vorderwülbecke und Löw an Bord bleiben. Von der Fecht bestätigt, sie hätten ihm in Gesprächen „vermittelt, dass sie dem Unternehmen weiterhin zur Verfügung stünden“. Sollte eine Lösung ohne sie besser sein, stünden sie ihr zwar nicht im Wege, sagt von der Fecht. Im Sinne einer „vernünftigen Lösung“ und falls sich kein anderer Investor finden sollte, wäre es „nicht im Interesse der Gesellschaften, sich prinzipiell der Chance zu verschließen, das Unternehmen mit den bisherigen Gesellschaftern weiterzuführen“.

Eine Imagekampagne allein würde dann allerdings nicht reichen, die verspielte Glaubwürdigkeit wieder herzustellen.

Ulrike Simon

ist freie Medienjournalistin in Berlin.

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Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 26 bis 26 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.