Darf man … alles zu Events aufblasen?

Ich kann Sie gut verstehen. Sie arbeiten in den Medien, Sie fühlen sich Ihrem Medium verpflichtet und Sie wissen um den Wert der Währung Aufmerksamkeit. Nur wer diese zu gewinnen weiß, liegt vorn, wenn morgen früh wieder die Erbsenzähler die Reichweite oder die Auflage analysieren. Sie fühlen Verantwortung und die lastet schwer auf Ihnen. Immer und immerzu müssen Sie das Hamsterrad in Bewegung halten, weil nur ein sich drehendes Hamsterrad den Strom erzeugt, den Ihr Medium braucht, um zu leuchten.

Also greifen Sie sich etwas heraus, ein Sportereignis, eine neue Sendung oder Ihr eigenes Jubiläum und befeuern dieses mit allen Mitteln. Als Fernsehanbieter etwa, der eine neue Sendung lancieren will, bringen Sie Ihren Moderator in möglichst vielen Zeitschriften unter, Sie lassen ihn twittern und facebooken, Sie lassen ihn über sein Lampenfieber und seine Versagensängste fabulieren, über seine Liebe und wie er Nudeln am liebsten mag. Er muss in Tier-Ratesendungen auftreten und im hauseigenen Boulevardmagazin, und vor allem: im Frühstücksfernsehen. Sie hängen die Stadt mit ihm zu. Wenn Sie von der ARD sind, schicken Sie ihn auch noch durch die verschiedenen Radiokanäle und in die Tagesthemen. Sie kleistern Ihr Onlineportal mit „Hintergrundberichten“ über seine Heimatstadt zu, mit historischen Abrissen zu seinem Geburtsjahr, mit all dem, was sich aus der Materie pressen lässt. Dass er nicht das Wetter ansagt, ist alles. Und was erreichen Sie damit? Außer, dass Sie Menschen wie mir wunderbare Beispiele für die Nervigkeit von Cross-Promotion liefern, die ich Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt um die Ohren hauen werde? Man hat diese Person schon über, bevor die erste Sendung lief!

Nehmen wir Markus Lanz. Ein souveräner Moderator, der seine Sache recht ordentlich macht und nun „Wetten dass …?“ übernahm. Als ginge es um den Fortbestand des ZDF, hat der Sender bis zur ersten Show den Mann zu einem derart omnipräsenten Obermacker aufgebaut, dass man schon eine Woche vorher keine Lust mehr hatte, sich das Ganze anzuschauen. Weil es keine Rätsel mehr gibt. Keine Geheimnisse. Weil jedes beknackte Detail wie „es gibt kein Sofa mehr, dafür Sessel“ das Ganze als die durchkomponierte Event-Blase erscheinen lässt, die es ist.

Oder Olympia.

Oder „Der Turm“.

Oder 100 Jahre Axel Springer.

Oder DSDS.

Oder James Bond.

Oder Dirk Bach.

Man kann in diesem Land nicht einmal mehr in Ruhe sterben, ohne dass dies ein Event werden muss. Ein Event für Millionen. Weil der Deutsche Fernsehpreis verliehen wird und Heinrich Schafmeister „Danke Dirk“-Aufkleber verteilen lässt. Ein Umstand, den die Gazetten, Fernsehsender und Onlineportale gierig aufgreifen, die jetzt ihren Platz mit Bildern von „Prominenten“ füllen, die sich das Bapperl irgendwo hingeklebt haben. Trauer als Happening.

Wie gesagt, ich kann Sie verstehen: Sie haben all diese tollen Geräte vor sich, die es so leicht machen, Mitteilungen, Zeichen nach draußen zu senden. Und Sie meinen, mehr sei mehr. Mehr Remmidemmi, mehr Aufmerksamkeit, mehr Geld.

Was bei all der Aufregung manchmal untergeht: Ihre Leser interessieren sich gar nicht in dem Maß für all das, was Sie als Event feiern. Nehmen Sie zwei Bücher, die jüngst neu erschienen sind: Bettina Wulffs Buch und den neuen Roman von Joanne K. Rowling. Während die Berichterstattung über Bettina Wulffs Buch recht klassisch blieb, krankte sie jedoch daran, dass Frau Wulff sich nach wenigen Tagen als eine andere darstellte, als die Frau, die Sie in so helles, engelsgleiches Licht getaucht hatten. Was, gelinde gesagt, ziemlich peinlich für Sie ist.

Im Falle von Frau Rowling schossen die Kollegen von „Spiegel Online“ den Vogel ab, die im „Liveticker“ den Roman von zwei ihrer Autoren lesen ließen. Um am nächsten Tag von einem der beiden den Text zu bringen: „Fünf Gründe, warum Sie das Buch nicht lesen müssen“. Dieser Text war da gar nicht mehr nötig.

Unter dem Bohei, das Sie, verehrte Kollegen, zusehends um ganz normale Dinge machen, bei der Energie, mit der Sie Nichtigkeiten und normale Vorgänge zu „Events“ aufblasen, erlischt das Interesse, bevor es Flammen schlagen könnte. Der Grund, warum das so ist, ist ganz einfach: Der Leser, der Zuschauer merkt, dass es Ihnen nicht um den Inhalt geht. Dass Sie nicht brennen. Er merkt, dass der Zinnober nur ein Instrument ist, um das Hamsterrad der Existenzberechtigung am Laufen zu halten. Er soll lesen, gucken, klicken. Gar nicht mal, um zu kaufen, sondern um Ihrem Medium seine Daseinsberechtigung zu garantieren. Die Sender brauchen Zuschauer und Hörer, um ihre Gebühren und Werbepreise zu rechtfertigen, die Verlage Klickzahlen, um ihre virtuellen Angebote ausbauen zu können, in dem Wissen, dass ihre Zeitungen morgen tot sind.

Nur deshalb bauen Sie jeden Furz zum Event aus. Und dummerweise ist das spürbar. Ihre Eventkultur wird Ihnen alsbald um die Ohren fliegen. Was unter der Explosion mit hochgeht, ist Ihre Glaubwürdigkeit. Sie täten also gut daran, das zurückzufahren und Ihr Programm, Ihre Inhalte wieder ernster zu nehmen. Wenn Ihnen das gelingt, werden auch Ihre Produkte wieder besser. Und wer weiß, vielleicht ist dann sogar noch einer da, der das merken könnte.

Silke Burmester

schreibt an dieser Stelle als Kolumnistin.

Die freie Journalistin und Dozentin hat jüngst ein Pamphlet gegen die Medienhysterie veröffentlicht: „Beruhigt Euch!“ (Kiwi 2012)

E-Mail: siburmester@aol.com

Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 67 bis 67. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.