Das Recht auf Gerüchte

Die Reaktionen der arabischen Welt auf den Mohammed-Film lösten Diskussionen über die Grenzen zulässiger Äußerungen in Zeiten des Internets aus. Hierzulande hat nun die ehemalige First Lady mit ihrer Klage gegen Google einen weiteren Aspekt aufgeworfen: Sind Suchmaschinen verantwortlich für die „Schwarmmeinung“? Grundsätzlich ist die Wiedergabe von „Gerüchten“ nur in engen Grenzen zulässig: Es muss ein öffentliches Interesse geben – je privater das Gerücht, desto größer muss dieses Interesse sein. Das Gerücht muss aus zuverlässiger Quelle stammen, die journalistische Sorgfaltspflicht eingehalten werden. Und: Der Veröffentlichende muss deutlich machen, dass es sich um ein Gerücht handelt, und sich von dessen Inhalt ernsthaft distanzieren.

Die Grenzen

Moderator Günther Jauch, der in einer Sendung den Chefredakteur der „Bild“ fragte, ob er Material zum Vorleben von Frau Wulff besitze, hat eine Unterlassungserklärung abgegeben. Rechtlich wäre er dazu wohl nicht verpflichtet gewesen: Er bezog sich auf einen Text der „Berliner Zeitung“, machte sich den Inhalt nicht zu eigen – und es gibt ein öffentliches Interesse an den Hintergründen der Auseinandersetzung zwischen „Bild“ und dem Bundespräsidenten. Bettina Wulff muss damit leben, in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Rücktritt ihres Mannes vom Präsidentenamt eine „relative Person der Zeitgeschichte“ zu sein.

Bei ihrer Klage gegen Google hingegen handelt es sich um neues Terrain – und hier wird es spannend. Grundsätzlich haften Suchmaschinen für Treffer in der Ergebnisliste („Snippet“) nicht und für verlinkte Artikel nur ab Kenntnis der Rechtsverletzung. Die Klage richtet sich aber nicht gegen die Trefferliste, sondern gegen die „Suchwortvorschläge“ – also die automatische Anzeige weiterer Begriffe, die von anderen zuvor gesucht wurden oder auf Webseiten häufig enthalten sind.

Man kann darüber diskutieren, ob allein die räumliche Nähe zweier Begriffe ohne semantischen Kontext überhaupt als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung betrachtet werden kann. Oft aber wird durch die Vorschläge die Aufmerksamkeit der Nutzer erst auf ein Gerücht gelenkt. Nach hergebrachten Grundsätzen könnte man jetzt der Suchmaschine – nach einer Abmahnung – eine Prüfpflicht auferlegen: Google müsste in jedem Einzelfall untersuchen, ob die der Vervollständigung zugrundeliegenden Daten auf rechtswidrigen Webseiten beruhen. Doch: Welchen Anteil haben rechtswidrige Veröffentlichungen an den Vorschlägen, wenn die Vorschläge auf rechtmäßigen Veröffentlichungen beruhen? Ist eine Begriffskombination auch dann unzulässig, wenn sie als solche keinerlei Rückschlüsse zulässt, aber die damit aufgefundenen Artikel rechtswidrig sind? Ist eine Begriffskombination unzulässig, die rufschädigende Assoziationen weckt, deren Grundlage aber völlig unbedenkliche Veröffentlichungen sind?

In China etwa lässt die Regierung nach Bedarf bestimmte Suchbegriffe sperren – in Europa undenkbar. Trotzdem beleuchtet die Klage ein Thema, für das hierzulande noch kein Patentrezept existiert: Denn die Vorschläge des „Wegweisers“ Suchmaschine weisen manchmal auch den Weg in die Schmuddel-ecke. Eine Redaktion kann entscheiden, ob der Hinweis im Einzelfall durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Eine Maschine kann das nicht. Das kann man als Argument für Google ins Feld führen – oder dagegen.

Stephan Zimprich ist Rechtsanwalt im Hamburger Büro der internationalen Sozietät Field Fisher Waterhouse.

stephan.zimprich@ffw.com

Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 53 bis 53 Autor/en: Stephan Zimprich. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.