Doppelpunkt, Strich, Klammer auf

Die Jugend ist verroht, verwahrlost, hat keine Ehrfurcht vor dem Alter, keine Achtung vor der Überlieferung, sie kann nichts, weiß nichts, hat keine Ziele, keine Ideale, keine Zukunft. Nach dieser eleganten Einleitung die beliebte Rätselfrage: „Na, wer hat das gesagt und wann?“ Antwort: Alle – und zwar schon immer. „Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos.“ Sagt ein Keilschrifttext aus Chaldäa um 2000 vor Christus. 1.000 Jahre später, Babylon: „Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul.“ Na also. Rund 500 Jahre später jammert ein gewisser Herr Sokrates in Athen: „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte.“

Sprachloser Nachwuchs

Und was lernen wir daraus? Entweder sind junge Menschen tatsächlich die Seuche, und zwar immer und überall, oder wir müssen feststellen, dass auch große Geister nicht immer der Gefahr entrinnen, in die Rolle des alten, galligen, knatternden Dummschwätzers zu verfallen, für den früher alles besser war und heute alles schrecklich ist. Am schrecklichsten ist es natürlich gerade jetzt. Also in unserem Heute. Vor allem an den Universitäten.

Der Student von heute kann nicht lesen, nicht schreiben, nicht logisch denken, nicht argumentieren, er weiß nichts und versteht nichts. Ja, gut, das mag ein bisschen pauschal klingen, aber deutsche Professoren können schließlich nicht irren. Eine Umfrage an 135 geisteswissenschaftlichen Fakultäten hat nämlich genau das ergeben. Und was sagt uns das? Logisch: Junge Menschen, die nur noch simsen und twittern und facebooken, können mit altertümlicher Syntax, Grammatik und Semantik nichts anfangen.

Müssen Sie denn? Natürlich nicht. Sie haben längst ein eigenes Zeichensystem entwickelt. Und das fing so an: Am 19. September 1982 schlug der Informatiker Scott Fahlmann in einem elektronischen Diskussionsforum bestimmte Zeichenfolgen vor, um humorvolle und ernst gemeinte Beiträge besser voneinander unterscheiden zu können. „Doppelpunkt Bindestrich Klammer zu“ für Spaß, „Doppelpunkt Bindestrich Klammer auf“ für Ernst. Wer diese Zeichenfolgen heute, 30 Jahre später, auf seiner Computertastatur tippt, bekommt automatisch kleine gelbe Gesichter, mal lächelnd, mal schmollend. So was erleichtert das Leben natürlich ungemein. Niemand muss mehr so sprechen und schreiben, dass er verstanden wird. Er kann drauflosplappern und alles mit „Emoticons“ verzieren.

Scott Fahlmann war 1982 zarte 34 Jahre alt, also nicht mehr so jung wie die Studienanfänger, die heute nicht mehr lesen und schreiben können. Aber er hatte doch diesen schlichten, kindischen Humor, von dem Naturwissenschaftler gerne mal befallen sind. Und die Kinder dieser Welt haben es ihm gedankt.

Virtuos sprachlos

Das Smiley-System ist mächtig ausgeweitet worden und kann unglaublich vieles ausdrücken, was der Mensch so braucht. Etwa: „Doppelpunkt Bindestrich Klammer zu Acht“ heißt „großes Mädchen“. Und das System ist noch einfacher geworden: Den Grinsekopf kann man inzwischen schon mit „Doppelpunkt, Klammer zu“ erstellen, und wenn man ganz viele )))))))) tippt, dann ist die Freude grenzenlos. Ja, sicher ist das grenzenlos infantil. Aber Zeichensysteme müssen nicht intelligent sein. Sondern nur Kommunikation ermöglichen. Das Ziel ist erreicht.

Fürs Plappern per SMS sind solche Piktogramme auch vorzüglich geeignet, brachiale Abkürzungen, Verballhornungen, schräge Symbole kommen hinzu. Logisch: SMS und andere Systeme arbeiten ja notgedrungen mit einem höchst restringierten Code. Wobei das Infantile gottlob gewahrt bleibt. KGF heißt „knuddel ganz fest“, KSSM „kein Schwein schreibt mir“, LOL „laughing out loud“, 2G4U heißt „too good for you“ und 2L8 heißt „too late“ – ja, sicher, das ist die Welt der Dauerpubertierenden. Aber ist das schlimm? Kein bisschen.

Heutige Abiturienten, sagt der Initiator der Professoren-Befragung, verfügen über große Medienkompetenz, sind flexibel und setzen sich so auf dem Arbeitsmarkt leichter durch als frühere Generationen. Na also. Was will man mehr? Das reicht nicht für ein geisteswissenschaftliches Studium, sagt der Professor. Mag sein. Aber es wäre doch auch möglich, dass die jungen Menschen, die trotz hochgradiger Sprach- und Denkunfähigkeit Geisteswissenschaften studieren wollen, schlicht fehlgeleitet sind. Falsch beraten von Lehrern und Eltern. Vielleicht wollen sie ja alle in die Politik. Da ist Grundvoraussetzung, dass man sich im Satzbau verheddert, mit der Grammatik kollidiert, die richtigen Worte nicht findet. Aber simsen kann wie ein Weltmeister.

Was sagen wir also den jungen Menschen der Virtuos-sprachlos-Generation? Hände weg von den Geisteswissenschaften, lieber VWL oder BWL studieren, vielleicht auch Jura, das ist am unauffälligsten, am besten aber irgendeine Naturwissenschaft. Medizin plus Ausspracheprobleme reicht zum Wirtschaftsminister, Physik plus Wortfindungsprobleme macht eine Bundeskanzlerin. Also frisch ans Werk, oh Jugend. Die Nation wartet auf euch. Und dann Gn8. Gute Nacht.

Peter Zudeick

ist freier Journalist und politischer Korrespondent für mehrere ARD-Hörfunkprogramme.

p.zudeick@t-online.de

Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 50 bis 50. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.