Gegengift der Kirche

Bischof Fürst, mehr als ein Jahr haben die Bischöfe mit ihrem Portal katholisch.de auf sich warten lassen. Ist das Ihr Beitrag zur Entschleunigung im Internet?

Gebhard Fürst: Wir sind mit katholisch.de schon seit 2004 online. Vor vier Jahren haben wir uns dann zu einem Relaunch mit neuem Konzept und neuem Image entschlossen. Das Ergebnis ist jetzt im Netz.

Was ist das neue Image?

Unser großes Ziel ist eine verbesserte Auffindbarkeit. Und wir denken konsequent vom Nutzer her: Welche Informationen aus der katholischen Welt möchte er? Dazu gibt es eine eigene Navigation mit Basis-Erklärungen und ausführlichen Dossiers. Wie können wir die stark verbreitete Suche nach religiös-spirituellen Angeboten erfüllen? Da bieten wir unter anderem Gottesdienstübertragungen. Wie antworten wir auf aktuelle kirchliche Fragen? Ein gestreamtes TV-Magazin wird genau das rund um die Uhr tun.

Ein 24-Stunden-Programm? Sind das die Reste Ihres Traums von einem eigenen katholischen Fernsehsender?

Wir haben verschiedene Spuren verfolgt. Unser TV-Angebot auf katholisch.de ist natürlich kein Vollprogramm im klassischen Sinn. Ein tägliches Live-Magazin mit möglichst zahlreichen aktuellen Berichten und interessanten Gesprächspartnern ist ambitioniert genug. Aber mit Empfang auf dem normalen Fernseher über Internet oder Satellit kann man schon von „Digitalfernsehen“ sprechen. Wir verwirklichen also durchaus ein Stück „Catholic TV“.

Was ist der strategische Ansatz Ihres Engagements im Internet? Auf wen zielen Sie?

Wir wollen nicht nur binnenkirchlich Reichweite. Eine „Bekehrung der Bekehrten“, wie man so schön sagt, kann ja nicht das Ziel sein. Ein gewisses Grundinteresse an kirchlichen Fragen muss natürlich vorhanden sein, damit der User unsere Seiten besucht. Aber mit kompetentem Layout, attraktiver Gestaltung und inhaltlicher Breite wollen wir die Adresse für dieses Interesse werden, auch das kritische Interesse. Dazu müssen und wollen wir das neue katholisch.de auch intensiv bewerben. Was wir bei der Vorgänger-Version übrigens praktisch nicht gemacht haben.

Bischof Fürst, bedarf es in der Welt der neuen Medien auch einer Medienethik 2.0?

Jedenfalls dürfen manche Phänomene im Web 2.0 nicht so bleiben, wenn unsere Gesellschaft, unsere Kultur, die Humanität nicht Schaden nehmen soll.

Woran denken Sie?

Ich denke an die erschreckende Verrohung in der Sprache zum Beispiel. Wenn das Standard der Kommunikation wird, dann leidet darunter das Miteinander der Menschen erheblich. Ich denke auch an den ganzen Wust von übler Nachrede, Beleidigung, Denunziation und Mobbing, wo Menschen regelrecht ausgeliefert, ja sozial hingerichtet werden. Der geradezu totalitäre Habitus, mit der im Internet noch die abstrusesten Positionen als Wahrheit vertreten werden, bedeutet eigentlich das Ende von Urteilskraft und aufgeklärter Kommunikation.

Sie geraten in Rage?

Unlängst ist es einem Bischof passiert, dass unter seinem Namen und mit seiner Adresse gefälschte Twitterbotschaften versandt wurden. So etwas darf einfach nicht sein. Oder stellen Sie sich vor, ein Gast aus dem Ausland macht sich vor seinem Besuch über Sie schlau und stößt im Internet auf verleumderische und denunziatorische Einträge. Was bekommt er da für einen Eindruck? Und Sie haben kaum eine Chance, sich dagegen zu wehren. So etwas vergiftet Kommunikation, noch bevor sie begonnen hat.

Ihr Gegengift?

Wir müssen einerseits die Menschen in ihrer Medienkompetenz stärken, ihnen Orientierung geben und andererseits schauen, wie wir die Persönlichkeitsrechte im Internet technisch und juristisch bestmöglich schützen. Die Bischofskonferenz hat eine „Clearingstelle Medienethik“ eingerichtet, die in Verbindung mit der Universität Mainz Projekte zur Stärkung der Medienkompetenz – etwa in der Jugendarbeit – begutachtet und Best-Practice-Modelle weitergibt. Für die kirchlichen Mitarbeiter haben wir Guidelines zum Verhalten im Netz entwickelt. Das gibt eine Richtung vor, in der wir weiter voranschreiten müssen. Das Gleiche gilt für den Kinder- und Jugendschutz im Internet. Das juristische Vorgehen gegen Betreiber bestimmter Online-Angebote ist, wie wir alle wissen, oftmals schwierig, weil sie anonym sind und ihre Server im Ausland stehen haben. Es ärgert mich immer wieder aufs Neue, dass in Deutschland antisemitische Inhalte unter dem Label „katholisch“ kursieren, ohne dass wir uns dagegen wehren können.

Wie auch? Sie haben im Netz ja keinen Kirchen-TÜV und Patentschutz auf das Label „katholisch“.

Ich sehe hier auch eine ganz wichtige Aufgabe für katholisch.de, gewissermaßen die Meinungsführerschaft bei allem zu bekommen, was unter dem Label „katholisch“ im Netz unterwegs ist. Es ist inakzeptabel, dass ein unbefangener User, der die kirchliche Situation in Deutschland womöglich nicht gut kennt, durch kriminelle, menschenverachtende und hetzerische Portale den Eindruck gewinnt, das sei die Stimme katholischer Christen. Wir dürfen solchen Portalen mit ihren inakzeptablen Inhalten und ihrer abstoßenden Sprache das Feld nicht überlassen.

Noch einmal die Frage: Wie?

Bekanntheit, hoher Traffic, ein gutes Ranking in den Suchmaschinen sind wichtig. Ich setze aber auch auf die Kraft der Unterscheidung bei den Nutzern: Sie werden am seriösen, kompetent layouteten und professionell getexteten Auftritt von katholisch.de erkennen, dass dahinter eben nicht ein kleines, anonymes Grüppchen von Extremisten steckt.

Herr Bischof, wie sehen Sie das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und den Journalisten in säkularen Medien?

Ich beobachte – nicht nur im Boulevard – einen Trend der Medien zu Aufmerksamkeit um jeden Preis. Die Mittel sind Verzicht auf Differenzierung, sind Zuspitzung und Skandalisierung. Und die katholische Kirche ist dafür ein besonders beliebtes Objekt.

Weil die Zahl von Journalisten mit persönlicher kirchlicher Bindung sinkt?

Ich sehe es eher soziologisch: Die Kirche ist eine immer noch starke Institution, die mit bestimmten Positionen gegen den Mainstream steht. Das erzeugt Reibung, Widerstand und Aggression. In Teilen sehe ich das sogar als gutes Zeichen: Beachtung finden schließlich nur Institutionen, die der Gesellschaft noch etwas bedeuten.

Reden Sie sich die Dinge damit nicht schön? Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche zum Beispiel hat zwar viel Beachtung gefunden, aber das muss Sie doch zerknirschen und nicht erfreuen?

Medial gesehen war der Missbrauchsskandal schon ein sehr eigenartiges Phänomen. Ich kann mir den Tsunami bis heute nicht wirklich erklären, der da in kürzester Zeit durch die gesamte Medienlandschaft rauschte. Schon 2002 hatte die Bischofskonferenz Richtlinien zum Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs in Kraft gesetzt. Festgeschrieben sind darin: Opferschutz statt Täterschutz, Transparenz statt Vertuschung. Und dann kommt 2010 der Pauschalvorwurf über uns, wir hätten rein gar nichts getan, wir hätten immer nur gemauert. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass da mehr im Spiel war als Aufklärungswille und Sorge um bessere Prävention.

Diskussionen über den Umgang mit der Kirche und ihren führenden Vertretern hat jüngst auch das Titelbild der „Titanic“ mit einem inkontinenten Papst ausgelöst. War es richtig, dass der Papst dagegen klagt?

Ich begrüße die Rüge dieses Titels durch den Presserat. Sie zeigt, dass hier auch im Selbstverständnis der Medien Grenzen überschritten worden sind. Das juristische Vorgehen der Betroffenen hat doch immer zwei Seiten. Wer klagt, erhöht die Aufmerksamkeit für das Objekt des Anstoßes. Wer nichts tut, wirkt gleichgültig. Die Rechtslage in Fällen von Blasphemie ist da in Deutschland schon sehr merkwürdig: Das Strafrecht greift nur, wenn der öffentliche Friede gefährdet ist. Das könnte ja geradezu als Einladung an jene empfunden werden, die sich in
ihrem religiösen Empfinden verletzt fühlen, erheblich aggressiv vorzugehen. Denn ohne eine solche Störung des öffentlichen Friedens kommt nach der geltenden Rechtslage eine Strafverfolgung wegen Beschimpfung von Bekenntnissen nicht in Betracht.

Sie raten Christen zu Wut-Demos und Aufruhr?

Nein. Ich mache nur auf das rechtliche Dilemma aufmerksam. Eigentlich plädiere ich im Gegenteil für mehr Gelassenheit. Nur: Wenn einer Gesellschaft das Gefühl für Anstand und Respekt verloren geht, holen Sie diesen Verlust durch kein Gesetz dieser Welt mehr ein.

Haben die Bischöfe im Fall „Titanic“ den Klageweg empfohlen, weil sie vor der Öffentlichkeit nicht so dastehen wollten, als bedeutete ihnen die Ehre des Papstes nichts?

Solche Vorwürfe wären sicher gekommen. Aber das sollte letztlich nicht unser Handeln bestimmen, weil wir sonst zu Getriebenen werden. Nein, es geht darum, die Gefühle von Menschen nicht wegzuwischen, die sich von Angriffen auf ihre Religion oder auf deren Vertreter tief verletzt fühlen.

Musste dann die Rücknahme der Klage in letzter Minute nicht erst recht irritierend wirken?

Ich war in das juristische Prozedere nicht involviert. Von außen gesehen denke ich mir: Vielleicht war es besser, eine wenig aussichtsreiche Klage fallen zu lassen, als vor Gericht damit zu scheitern.

Haben Sie als Medienbischof einen Masterplan für die Medienarbeit der katholischen Kirche in Deutschland?

Ich hielte es für problematisch, den Ortskirchen von oben herab etwas vorzugeben, was dann alle einzuhalten haben. Dagegen liegt mir schon daran, die stark fragmentierte, zersplitterte Medienarbeit besser zu bündeln. Nur so können wir die Stärken unserer dezentralen Arbeit auch untereinander nutzbar machen. Also: statt eines Master- einen Landschaftsplan, mit dem wir das Terrain besser modellieren und gestalten können.

Das setzt die Kooperationsbereitschaft der einzelnen Landschaftsgärtner – sprich: der Ortsbischöfe – voraus. Herrscht da nicht eher Kleinstaaterei und Schrebergartendenken vor – jeder werkelt allein vor sich hin?

Ortskirche ist Ortskirche. Und jeder Bischof beansprucht zu Recht, seine Vorstellungen von Seelsorge und kirchlichem Leben zu verwirklichen. Da gibt es Unterschiede, die nicht mehr deutlich würden, wenn allein eine gemeinsame Öffentlichkeits- und Medienarbeit übergestülpt würde.

Kann dann ein Angebot wie katholisch.de mehr sein als nur der kleinste gemeinsame Nenner?

Aber sicher! Schon die Medienarbeit jedes Bistums hat in sich eine gewisse Pluralität, ist keine reine Verlautbarungsmaschinerie des Bischofs. Und bei der Vielschichtigkeit von katholisch.de mit all seinen Subportalen und Verlinkungen wird das Gesamtbild, das so entsteht, ein klarer Mehrwert gegenüber bloß punktuellen Zugängen sein. Daran arbeiten wir. Bei kleineren Bistümern gibt es noch gewisse Sorgen, genügend Beachtung zu finden. Da muss Vertrauen wachsen.

Was lassen Sie sich katholisch.de kosten?

Alles in allem zwei Millionen Euro pro Jahr aus Mitteln der Bischofskonferenz.

Wem nehmen Sie dieses Geld weg?

In der ersten Hälfte des Jahres 2012 haben wir schrittweise diverse Einrichtungen in unserem Bonner „Medienhaus“ zusammengelegt. Das spart Kosten, etwa in der Technik, und hebt Synergien. Katholisch.de kann überhaupt nur so funktionieren, dass zum Beispiel die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) Texte zuliefert, KNA-Bild das Foto- und Video-Material. Und wir setzen – auch das eine Neuerung – auf die Kooperation mit den Internet-Plattformen unserer 27 Bistümer.

Ist ein Overhead-Angebot wie katholisch.de nicht der natürliche Feind der dezentralen Portale?

Die Sorge mag es in manchen Bistümern – insbesondere den kleinen – geben. Aber mit attraktiven Fenster-Lösungen, zum Beispiel interaktiven Karten, können die Bistümer mit ihren eigenen Angeboten auf katholisch.de präsent sein. Ich glaube, vom Austausch profitieren alle. Diese Zuversicht und dieses Vertrauen müssen jetzt wachsen.

In medien-pastoralen Ansprachen ist oft zu hören: Hätten Jesus oder Paulus heute gelebt, wären sie im Internet und den sozialen Netzwerken unterwegs. Sie selbst beurteilen die Chancen einer Twitter-Seelsorge eher skeptisch. Gehen Sie mit kalten Füßen und spitzen Fingern an die neuen Techniken heran?

Nein, das ist ein beherzter Angang. Die Netz-Welt ist nun einmal da und wird eine wesentliche Sphäre der Kommunikation einer wachsenden Zahl von Menschen. Für diese gilt: Wenn Gott und Kirche im Netz nicht vorkommen, gibt es sie gar nicht. Darum müssen und wollen wir die christliche Botschaft auch – ich sage mal – über diese neuen Kanäle einspeisen. Wobei ich zugebe: Auf Facebook oder bei Twitter sind wir noch nicht sehr intensiv aufgestellt. Da müssen wir experimentieren.

Haben Sie die Printmedien bereits abgeschrieben?

Keineswegs. Ich erwarte auch auf lange Sicht keine Schrumpfung auf null. Printwelten und Digitalwelten werden nebeneinander bestehen und auch koexistieren.

Die Trennung vom Traditionsblatt „Rheinischer Merkur“ vor einem Jahr hat ein anderes Signal gesandt.

Einen Titel mit geringem Wirkungsgrad durch hohe Subventionen zu erhalten, das haben wir für falsch gehalten. Das heißt aber nicht, dass wir unser Presse-Engagement aufgeben und einseitig auf das Internet setzen. Im Gegenteil: Ich habe mit dem „Programm Bistumspresse“ ein Zukunftskonzept für unsere Bistumszeitungen auf den Weg gebracht. 2013 nimmt im Medienhaus ein eigener „Koordinator“ seine Arbeit auf. Über eine Austauschplattform sollen Einzelbeiträge und ganze Module untereinander ausgetauscht werden, damit kleine Redaktionen nicht überfordert sind mit der Erstellung einer kompletten Zeitung.

Eine Art Mantel-Deskchef?

Nein. Es wird keinen gemeinsamen Mantel geben. Der Chefredakteur jedes Bistumsblatts behält die Hoheit über Gestaltung und Layout, kann aber bei allen Textformen an den überdiözesanen Angeboten partizipieren.

Joachim Frank ist Chefkorrespondent der DuMont-Mediengruppe mit „Frankfurter Rundschau“, „Berliner Zeitung“, „Kölner Stadt-Anzeiger“, „Mitteldeutscher Zeitung“.

joachim.frank@mds.de

Vita

Der „Medienbischof“

Gebhard Fürst (*1948) ist seit 2000 Bischof von Rottenburg-Stuttgart. Zuvor leitete er die katholische Akademie seines Bistums. Seit 2007 ist Fürst in der Deutschen Bischofskonferenz als Vorsitzender der „Publizistischen Kommission“ für die Medienarbeit zuständig. In Zeiten knapper Ressourcen bemühte sich Fürst um klare Schwerpunkte und verfolgte unter anderem die Idee eines katholischen Fernsehsenders. Diese Pläne scheiterten jedoch unter anderem am Finanzbedarf.

In Fürsts Verantwortung erschien 2011 die Handreichung „Virtualität und Inszenierung. Unterwegs in der digitalen Mediengesellschaft“. Das Impulspapier versteht sich als Diskussionsbeitrag zu den kommunikativen wie auch ethischen Herausforderungen im Internet-Zeitalter.

Fürst ist auch in bioethischen Fragen engagiert und vertritt hier – unter Verweis auf Dammbruch-Effekte sowie die nationalsozialistische Vergangenheit – eine restriktive Position. Interessiert am wissenschaftlichen und kulturellen Dialog mit der säkularen Gesellschaft, gilt Fürst andererseits als ein Lieblingsfeind reaktionärer katholischer und pseudo-katholischer Gruppen, die ihn auch im Internet heftig attackieren.

Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 38 bis 40 Autor/en: Interview: Joachim Frank. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.