Kollateralschäden

Am Vorabend zum Tag der „Deutschen Einheit“ platzte die Bombe – und wäre es nicht so bitter, könnte man jenen „Einheits“-Zeitpunkt als Ironie der Geschichte bezeichnen. „Berliner dapd nachrichtenagentur und dapd nachrichten melden Insolvenz in Eigenverwaltung an“, tickerte die Agentur in eigener Sache am Dienstag, 2. Oktober, gegen 17 Uhr. Und setzte so etwas wie eine Schockwelle in Gang, die die eigenen Mitarbeiter bis in die Leitungsebene kalt überrollte und in die ganze Branche spülte.

Hätten die Mitarbeiter, hätte die Branche gewarnt sein müssen? Hätte die rasante Expansion der Eigentümer Peter Löw und Martin Vorderwülbecke in nur knapp zwei Jahren mehr Fragen aufwerfen müssen, als sie gestellt wurden? Vielleicht, aber die Antworten und Informationen sind selbst heute nicht befriedigend genug, um zu erklären, was da hinter den Kulissen bei dapd oder besser gesagt bei den Investoren Löw und Vorderwülbecke in den letzten Wochen tatsächlich passiert ist und zur Insolvenzentscheidung geführt hat.

Was war das noch für ein Auftritt Mitte September in Berlin, dapd hatte zum Empfang geladen, ein großer Bahnhof für Polit- und Branchenprominenz. Es wurde gelacht, getrunken und Erfolge gefeiert: dapd sah sich schon auf gleicher Stufe dpa angekommen. Das Auswärtige Amt als Kunden mit gewonnen und damit dpa rausgekickt – ein Scoop, der den Konkurrenten hart traf. Wohlwollende Gespräche u. a. mit Madsack, Testläufe als Vorstufe zu größeren Paketen, Neugründungen wie die Promi-Agentur „spot on news“ gerade erst im September.

Die vorläufige Bilanz nun Mitte Oktober: ein riesengroßer Scherbenhaufen, den Insolvenzverwalter Wolf von der Fecht nun bis November zu kitten versucht (s. Seite 26 f.). Als wäre das nicht schon schlimm genug.

Der Schaden, den die dapd-Insolvenz anrichtet, geht aber weit über den Agenturmarkt hinaus. Man könnte über die beiden Eigentümer Löw und Vorderwülbecke viel Hämisches sagen, zu laut, zu aggressiv, zu selbstgefällig – kurzum mit einem Parvenügehabe, das in der deutschen Medienbranche bis dato ohne Beispiel war. Doch auch das gehört zum Bild von dapd der letzten beiden Jahre: Ein Unternehmen, das den Aufbruch trotz widriger Umstände wagte, das mit Lust und Schwung die strukturkonservative Branche aufmischte, dass den Konkurrenten Hören und Sehen verging. Ohne dapd – das sagen nicht wenige der vielen dpa-Kunden – wäre die Erneuerungswelle in der altehrwürdigen Deutschen Presse-Agentur sicher nicht so schnell vorangeschritten. Ein Motivationsschub war das ohne Frage, das sagen selbst die dpa-Mitarbeiter.

Doch die Modernisierung von dpa allein dem Konkurrenzdruck zu zu schreiben, wäre wiederum zu kurz argumentiert. Man lese nur mal in der „Antrittserklärung“ von Wolfgang Büchner nach, die er den Mitarbeitern kurz nach seinem Einstieg als Chefredakteur Anfang 2010 gab. Vieles von dem, was dpa heute anbietet und ausprobiert (wie z. B. dpa news, demnächst „dpa agenda“), war damals schon im Plan, als von der dapd-Expansion noch keine Rede war. Die Kundenorientierung hat sich erheblich verbessert, so dass selbst Zeitungskunden wie die HNA – 2009 noch in Konfrontation zu dpa – heute neue Formen der Kooperation mit dpa ausprobieren (s. Seite 30f.).

Und doch: Ohne dapd, das wird sicher niemand bestreiten, wäre auch bei dpa vieles nicht so schnell vorangekommen. Selbst wenn manche dapd wegen „schwankener Qualität“ kritisierten: Ihr Verdienst bleibt es, ein Signal des Aufbruchs gesetzt, Mut zu Expansion und Experimenten gezeigt zu haben. Es wäre wünschenswert, dass dieses Signal jetzt nicht allein zum schrillen Ton verkommt. Denn der Schaden, den die branchenfremden Investoren mit ihrem unseriösen Vorgehen angerichtet haben, gibt womöglich auch den Falschen recht – den Beharrenden, den Zauderern, den „Ja, aber …“-Sagern.

Immerhin: dass Expansion auch in anderem Stil funktioniert, führt gerade die „Rheinische Post“ vor. Fast lautlos tütete Verleger Karl Hans Arnold mit der Mehrheitsübernahme in Saarbrücken die größte Aquisition der RP-Unternehmensgeschichte ein. Doch auch er sagt: „Wir brauchen mehr Mut und mehr Bereitschaft zum Experimentieren, als das bislang der Fall war in unserer Branche.“ (s. Titelgespräch Seite 22 f.) .

Dazu gehört auch: Die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen, Scheitern als Chance zum Neubeginn zu nutzen. Möge das der dapd gelingen.

In eigener Sache:

Daniel Bouhs gehört seit 1. Oktober wieder zum Redaktionsteam von „medium magazin“ – wie schon von 2008 bis Ende 2010. Seither hatte er als festangestellter Redakteur für dapd gearbeitet – zuletzt als Leiter „Netzwelt“. Seine Entscheidung, die Agentur zu verlassen, fiel bereits im Sommer 2012, weil er wieder als freier Autor arbeiten wollte. Als solcher wird er auch weiter für dapd tätig sein – und sich bei „medium magazin“ daher nicht wie früher um Agenturthemen kümmern.

Annette Milz ist Chefredakteurin von „medium magazin“.

Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 3 bis 4 Autor/en: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.