Stimmt’s, …?

01. … dass Christoph Schwennicke bei „Cicero“ den besseren „Spiegel“ macht?

Es war am letzten Sonntag im September, zwei Tage, nachdem offiziell bekannt geworden war, dass Peer Steinbrück Kanzlerkandidat der SPD wird. Das Thema sollte nicht nur die folgende Woche dominieren, es wird die Nation bis Herbst nächsten Jahres beschäftigen. Bis zur Bundestagswahl, mindestens. Doch womit machte der „Spiegel“ an jenem Wochenende auf? Mit dem Phänomen, in Extremleistungen den Kick zu suchen. „Am Limit – Was Menschen über sich hinauswachsen lässt“. Wie frisch wirkte dagegen das zu diesem Zeitpunkt mehr als eine Woche zuvor erschienene Monatsmagazin „Cicero“ aus der Berliner Zweigstelle des Zürcher Ringier-Verlags. Auf dem Cover, eingefärbt in einem Rot, das dem der Schweizer Flagge, der SPD und des „Spiegel“ sehr nahe kommt, prangte Steinbrück als Kavallerist, daneben die Zeilen: „Ritt gegen Merkel – sein langer Weg zur Kandidatur: Peer Steinbrück fordert die Kanzlerin heraus“.

Indizien, Informationen und Instinkt hatten Schwennicke am Freitag, dem 14. September, dazu gebracht, die ursprüngliche Heftplanung über den Haufen zu werfen. Der USA-Schwerpunkt flog nicht aus dem Heft, wohl aber vom Titel. Mit dem Verlag handelte er einen späteren Andrucktermin aus. Am Sonnabend fuhr er dann zum Zukunftskongress, wo morgens Frank-Walter Steinmeier, um 13 Uhr Steinbrück und zum Abschluss Sigmar Gabriel reden sollten. Am Sonntag schrieb Schwennicke die Geschichte auf, am Mittwoch um 12 Uhr machte die Redaktion das Blatt zu. Trotz späterem Andruck schaffte es der Ringier-Verlag, wie vereinbart die ersten Hefte an ausgewählten Orten in Berlin zuzustellen. Es hätte ja sein können, dass ihm der „Spiegel“ zuvorkommt, das wollte Schwennicke nicht riskieren.

Doch der „Spiegel“ dachte offensichtlich gar nicht daran, sich des Themas anzunehmen – obwohl er es doch war, der Steinbrück als erstes Medium überhaupt zum Kanzlerkandidaten ausgerufen hatte. Ende August 2010 war das, wie Schwennicke in „Cicero“ korrekt schrieb. Klar doch, er arbeitete damals ja noch beim „Spiegel“ im Hauptstadtbüro und er hatte das selbst geschrieben. Hätte sich der „Spiegel“ seines frühen politischen Gespürs gerühmt, hätte er sich also mit den Federn eines Abtrünnigen geschmückt.

Auf diese Weise darf sich nun „Cicero“ Urheber der Steinbrück-Kandidatur nennen. „Schwennicke und, Cicero‘ waren schneller als alle anderen. Und mutiger. Das muss einfach mal gesagt werden“, schrieb Nico Fried – nicht in seinem Artikel in der „Süddeutschen“, wohl aber bei Facebook.

Ging man an jenem letzten Sonntag im September zum Kiosk, gab es noch mehr Anlass, sich zu wundern. In einer Teilauflage erschien der „Spiegel“ mit einer Klappe ummantelt. Darauf war nur ein kleines Foto gedruckt, dazu die Zeile: „Steinbrück gegen Merkel: Wer wird Kanzlerin?“ Immerhin hatte der „Spiegel“ das Thema auf diese Weise doch noch aufs Cover gerettet. Aber warum mit diesem Kalauer, noch dazu einem abgehangenen, geklaut vom „Focus“ der Woche zuvor? Da stand auch schon unter ein Steinbrück-Foto geschrieben: „Kann er Kanzlerin?“

So viel Wunderliches an einem Tag wäre ausreichend. Aber dann lag da noch die „Welt am Sonntag“ am Kiosk. „Das Gespräch“ prangte in stolzen Lettern auf Seite 1, daneben ein dramatisch dreinblickender Steinbrück. Ausgerechnet die „Welt am Sonntag“ hatte also das erste Interview mit Steinbrück ergattert – so schien es zumindest. Man las den Aufmacher auf der ersten Seite, man las das Editorial auf der zweiten Seite und erfuhr, dass die Veröffentlichung des Gesprächs fast daran gescheitert wäre, dass die Autorisierung zunächst zurückgezogen worden war. Noch gespannter las man die Seiten drei und vier. Als auch die gelesen waren, fragte man sich: Wo ist denn nun das Gespräch mit Steinbrück? Es stellte sich heraus: Die Erwartung eines großen Interviews war der plakativen Verpackung geschuldet. Tatsächlich gab es nur die paar im Fließtext eingestreuten Steinbrück-Zitate zu Griechenland und dem Euro. „Das Gespräch“ folgte erst am Montag, nach der einstimmigen Nominierung Steinbrücks, und zwar im Fernsehen. Erst im Zweiten, danach im Ersten.

02. … dass sich die Hessen-CDU nach einem neuen Intendanten umschaut?

Als 2001 beim ZDF ein Nachfolger für Dieter Stolte gesucht wurde, wuchs sich das parteipolitische Ränkespiel zu einem Debakel aus. Wer nicht bei drei auf dem Baum war, wurde als künftiger Intendant ins Spiel gebracht – der eine vom roten, der andere vom schwarzen Freundeskreis. Beim Hessischen Rundfunk sind die Verhältnisse eindeutig. Die CDU hat die Oberhand, und das kommt nicht von ungefähr. Die gerade noch ausreichende Mehrheit, um Helmut Reitze 2002 ins Amt zu wählen, kam auch deshalb zustande, weil der Rundfunkrat zuvor entsprechend um Konservative erweitert und neu zusammengesetzt worden war. Und da Intendanten, die für eine weitere Amtszeit antreten, ihrer Wiederwahl gemeinhin sicher sein können, blieb Reitze Intendant und würde dies regulär bis Anfang 2015 bleiben. Die Betonung liegt auf „würde“.

Zehn Jahre später heißt der hessische Ministerpräsident nicht mehr Roland Koch, sondern Volker Bouffier. Voraussichtlich Ende kommenden Jahres werden in Hessen Landtagswahlen stattfinden. Der jetzige Zeitpunkt, Reitzes Nachfolge zu regeln, wäre also der richtige – unter der Voraussetzung, dass Reitze sein Amt freiwillig zur Verfügung stellt. Er selbst äußert sich auf Anfrage des „medium magazin“ dazu nicht. Angeblich, heißt es, sei der Sechzigjährige aus gesundheitlichen Gründen aber nicht abgeneigt, vorzeitig abzutreten.

Dabei fallen auch erste Namen, etwa der von Bernhard Nellessen. Nellessens Wurzeln reichen wie die des früheren „heute-journal“-Moderators Reitze ins ZDF. Wie Reitze hat sich auch der katholisch-konservative Nellessen damals für die Stolte-Nachfolge interessiert – und später, 2006, für die von Peter Voß beim Südwestrundfunk. Ende Oktober wird der 53-Jährige als Fernsehchef des SWR ausscheiden – ohne dass kommuniziert wurde, was er dann vorhat. Übermäßige Programmerfolge, die ihm seinen Posten erhalten hätten, hat er kaum vorzuweisen. Am fehlenden Geld dürfte das nicht liegen, da rangiert der SWR gleichauf mit dem NDR. Trotzdem liegt das SWR-Programm ganz hinten, nicht nur nach Quote bemessen. Entsprechend provoziert der Name Nellessen bei der Frage, wer HR-Intendant werden könnte, unter ARD-Kollegen Häme. Nellessen bittet auf entsprechende Fragen nach seinen beruflichen Plänen ab November und mögliche Ambitionen beim HR um Verständnis für seine Haltung, nämlich: „Kein Kommentar“.

03. … dass Intendant Peter Boudgoust keine beleidigte Leberwurst ist?

Peter Boudgoust hätte sich freuen können. Beim diesjährigen Deutschen Radiopreis hat SWR 2 in der Kategorie „Beste Reportage“ gewonnen. Doch das reichte dem Intendanten des SWR nicht. Was war geschehen? Mit RPR1 hatte ausgerechnet ein Privatsender den Sieg in der Kategorie „Beste Information“ nach Hause getragen. Ein Privatsender! Bei einem Preis, den der öffentlich-rechtliche Rundfunk initiiert hat!! Und das auch noch in einer Kategorie, die ureigenes Terrain der Öffentlich-Rechtlichen ist!!! Information!!!!

Nicht nur die Jury – gleich den Deutschen Radiopreis in seiner Gesamtheit stellte Boudgoust in Frage, wie mehrere Zeugen bestätigen. Der Intendant musste an die Unabhängigkeit der Jury und deren substanzielle Begründung erinnert werden. Entsprechend zügig wurde das Thema vom Beirat des Radiopreises unter den Tisch gekehrt. Sollen
bestimmte Kategorien etwa nur Privaten, andere nur Öffentlich-Rechtlichen vorbehalten sein? Das wäre ein Erbhofdenken, das einiges über die innere Haltung in Teilen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aussagt.

Boudgoust will sich dazu nicht äußern und schickt seinen Sprecher vor. Der weicht aus: Seinem Intendanten sei es darum gegangen, den Radiopreis nicht mehr im Radio zu übertragen, da so eine Gala im Fernsehen viel besser rüberkomme. Das zeugt von wenig Vertrauen in die Fähigkeit von Hörfunkmoderatoren. Nach mehrfachem Nachhaken kehrt das Gespräch zum Ursprung zurück. Stimmt es, dass Boudgoust erwartet, dass die Jury des Radiopreises bei bestimmten Kategorien ausschließlich öffentlich-rechtliche Sender gewinnen lässt? Kann schon sein, dass da der eine oder andere Satz gefallen sei, räumt der Sprecher ein. Die beleidigte Leberwurst zu spielen, das sei Boudgousts Art aber nun wirklich nicht.

Ulrike Simon

ist freie Medienjournalistin in Berlin.

autor@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 16 bis 17. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.