Tauschen als Selbsthilfe

Ausgerechnet die HNA brachte den Stein ins Rollen – die Zeitung also, die noch vor drei Jahren den Versuch startete: „Sechs Wochen ohne dpa“. Nun hat die HNA ein Projekt initiiert, das auf einer Kooperation mit dpa und sechs weiteren hessische Regionalzeitungen basiert. Ein Schritt zur „Selbsthilfe“, wie Chefredakteur Horst Seidenfaden sagt (s. Interviewkasten). Und die soll so ausehen:

Die beteiligten Zeitungen – HNA, „Wetzlarer Neue Zeitung“, „Oberhessische Presse“, „Fuldaer Zeitung“, „Darmstädter Echo“, „Gießener Anzeiger“, „Offenbach Post“ und als Interessent der „Hanauer Anzeiger“ – wollen zunächst für ein halbes Jahr untereinander Beiträge austauschen und so den regionalen Input steigern. Alle Teilnehmer haben sich verpflichtet für diesen Zeitraum täglich mindestens „drei Komponenten“ (Texte/Fotos) aus ihrem jeweiligen Verbreitungsgebiet den anderen zur Verfügung zu stellen.

Das gesamte Verbreitungsgebiet in der Summe der beteiligten Zeitungen umfasst nahezu ganz Hessen und reicht sogar darüber hinaus, so im Norden bis nach Südniedersachsen (HNA) oder im Osten bis ins angrenzende Bayern („Fuldaer Zeitung“) (s. a. Karte).

Beiträge, die gegebenenfalls wie beim „Darmstädter Echo“ online hinter einer Paywall stehen, werden von den anderen Zeitungen ausschließlich für die Printausgaben genutzt – so die Vereinbarung im Testlauf –, weitere Regelungen und Sondervereinbarungen nicht ausgeschlossen.

Nun sind Kooperationen zwischen Regionalzeitungen eigentlich keine Besonderheit mehr. Die „Oberhessische Presse“, die zu Madsack gehört, tauscht sich beispielsweise regelmäßig sowohl mit den Titeln im eigenen Konzern als auch Nachbarverlagen wie der Zeitungsgruppe Lahn-Dill aus. „In letzterem Fall in erster Linie im Sinne eines Artikelaustauschs bei Terminberichterstattung“, sagt Chefredakteur Christoph Linne.

Das „Darmstädter Echo“ wiederum ist Teil einer Gruppe von 14 Regionalzeitungen, die seit Jahren unter dem Kürzel „G14“ gegenseitig Sportbeiträge bereitstellen und bei internationalen Großereignissen kooperieren. Das Tauschverfahren funktioniert simpel via E-Mail.

Dennoch sagt Michael Tillmann, Chef der „Fuldaer Zeitung“: „Die angestrebte Art der Zusammenarbeit ist einzigartig und insofern nicht vergleichbar mit anderen Kooperationen.“ Denn die technische Plattform für den hessenweiten Austausch stellt dpa bereit. Es handelt sich dabei um die gleiche Plattform wie „dpa news“ – ein tägliches Schaufenster, das den Agenturkunden die Möglichkeit gibt, angebotene Themen zu kommentieren oder eigene Wünsche zu platzieren.

Alle beteiligten Zeitungen verzichten im Testlauf auf gegenseitige Honorarzahlungen (ausgenommen: die Rechte freier Mitarbeiter), um das Verfahren nicht zu verkomplizieren.

dpa wiederum betrachtet das halbe Jahr als „friendly user phase“, berechnet dementsprechend keine Kosten für die Nutzung der Plattform.

Am 1. Dezember soll die Testphase beginnen. Ob später technische Schnittstellen in den beteiligten Verlagen eingerichtet werden (was einen finanziellen Mehraufwand bedeuten würde), hängt auch vom Erfolg des Testlaufs ab.

Das gemeinsame Ziel: Der Austausch soll in Qualität und Masse dazu führen, „weiße Flecken“ in der hessischen Regionalberichtertattung zu schließen. Auch dpa räumt ein, dass es an der Abdeckung durch den eigenen Landesdienst in der hessischen Fläche hapert.

Im Idealfall könnte das zu einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten führen: „Regionalzeitungen haben lokalen und sublokalen Content, den eine Nachrichtenagentur gar nicht haben kann, insofern kann sich da ein spannender Austausch entwickeln“, sagt dpa-Chefredakteur Wolfgang Büchner. Außerdem könnte sich aus dem Test ein Modell entwickeln, denn: „Auch für den Contentaustausch zwischen den Zeitungen einer größeren Verlagsgruppe oder zwischen den Sendern einer Sendergruppe kann diese Austauschplattform interessant sein.“

Während in Hessen in den kommenden Wochen noch an den Details gefeilt wird, ist Mitte Oktober bereits ein anderes Projekt in den Testlauf gegangen: „agenda“ heisst das Tool, das den Kunden Einsicht in die Terminplanung von dpa gibt. Die Betaphase läuft mit einem eingeschränkten Nutzerkreis, im Frühjahr 2013 soll „dpa agenda“ dann in den Regelbetrieb gehen. „Der spannendste Ansatz könnte darin liegen, dass Verlage und Sender ihre redaktionelle Planung untereinander und mit der dpa abstimmen. Dadurch könnte die Arbeitsteilung zwischen der Agentur und ihren Kunden perfektioniert werden“, meint Wolfgang Büchner. Und: „Daraus könnten sich langfristig sehr interessante Formen der Zusammenarbeit entwickeln.“ Kommt nur auf den Preis an, der zu zahlen ist.

Hessische-Niedersächsische Allgemeine (HNA), Kassel CR: Horst Seidenfaden, Auflage: 218.500

Oberhessische Presse, Marburg, CR Christoph Linne Auflage: 28.000

Giessener Anzeiger, Giessen, CRin Astrid Knöss, Auflage: 27.500

Fuldaer Zeitung, Fulda, CR Michael Tillmann, Auflage: 46.200

Zeitungsgruppe Lahn-Dill, Wetzlar, CR Uwe Röndings, Auflage: 65.500

Offenbach-Post, Offenbach, CR Frank Pröse, Auflage: 39.400

Hanauer Anzeiger, Hanau, CR Dieter Schreier, Auflage: 16.289*

Echo-Zeitungen, Darmstadt, CR Jörg Riebartsch, Auflage: 83.000

Annette Milz

ist Chefredakteurin der „medium magazin“-Redaktion.

annette.milz@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 30 bis 30 Autor/en: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.