App jetzt wird gezahlt

So schnell kann’s gehen im Internet: 70 Freunde futsch, an nur einem einzigen Tag. Es war der 13. August 2012, als Alexander Houben, Chef vom Dienst beim „Trierischen Volksfreund“ (TV), mit einem Eintrag bei Facebook den Lesern erklärte: „Guter Lokaljournalismus kostet Geld, denn die Nachrichten müssen recherchiert, aufbereitet und produziert werden. Als wirtschaftlich arbeitendes Unternehmen müssen wir diese Kosten zumindest decken.“ Der TV hatte eine Paywall eingeführt, woraufhin spontan ein paar der rund 10.000 „Volksfreund“-Anhänger ihre virtuelle Freundschaft mit der Regionalzeitung beendeten: „Volksfreund müsste anders heißen“, kommentierte eine verärgerte Leserin den Facebook-Eintrag.

Doch zwischen die vielen kritischen bis wütenden Kommentare mischte sich auch Verständnis und Zustimmung. Immerhin 21 Leute klickten „Gefällt mir“, „Schade, aber man kann’s verstehen“, schrieb eine, die wohl „Volksfreundin“ geblieben ist. Nach ein paar Tagen war die Diskussion schließlich beendet. Die ganz große Aufregung blieb aus, ein „Mini-Shitstörmchen“ nennt Houben die Leser-Reaktionen rückblickend.

Noch vor wenigen Jahren hätte das vermutlich anders ausgesehen. Mitte der Nuller-Jahre wurden Medien schon gesteinigt, wenn sie nur einen vorsichtigen Gedanken in Richtung bezahlter Online-Inhalte geäußert haben. Das ist drei iPad-Generationen später anders.

Im Jahr 2012 geben bereits mehr als zwei Dutzend Zeitungen in Deutschland Teile ihrer Online-Inhalte nur noch gegen Bezahlung ab (siehe Übersicht Seite 36). Der Wind hat sich noch nicht gedreht, aber er bläst weniger stürmisch. 2013 könnte das Jahr der Paywalls werden, prophezeien nicht wenige Zeitungsmacher; ein bisschen dürfte da auch der Wunsch Vater des Gedankens sein. Doch es wird kaum noch einen Verlag in Deutschland geben, der nicht eine oder mehrere Schubladen voll mit Plänen für Bezahlinhalte hat. Die Titel der Axel Springer AG sowieso, auch FAZ und „Süddeutsche“ haben Bezahlinhalte angekündigt. Beim Regional-Verlag Madsack in Hannover werden im nächsten Jahr wohl die letzten vier Titel hinter der Paywall landen. Und in Köln betont Patrick Wölke, Geschäftsführer von „DuMont Net“, dass Bezahlinhalte im Netz für den Verlag einen hohen Stellenwert haben: „Ich glaube fest an das Zwei-Säulen-Modell, in der analogen wie in der digitalen Welt.“

Trommeln für die Paywall

Solche Aussagen wird Springer-Chef Matthias Döpfner gerne hören. Er trommelt derzeit, wo er nur kann, für Bezahlinhalte. Bei seinen Regionaltiteln „Berliner Morgenpost“ und „Hamburger Abendblatt“ hat Springer bereits Ende 2009 erste Bezahlschranken heruntergelassen. Seitdem können nur Bezieher der gedruckten Ausgaben Nachrichten aus dem Großraum Berlin beziehungsweise Hamburg frei lesen – oder die, die ein Online-Abo lösen, das ab fünf Euro pro Monat zu haben ist. Zeitgleich stellte die hauseigene „Welt“ ihre langjährige Praxis ein, regionale Nachrichten aus den beiden Regionen im Netz kostenfrei zu veröffentlichen.

Wie gut der Verlag drei Jahre später mit diesem Modell fährt, bleibt im Ungewissen: Springer veröffentlicht zu diesen beiden Bezahlschranken keine frischen Zahlen, sondern verweist auf offizielle Daten, die gut ein Jahr alt sind. Damals, im August 2011, teilte der Verlag mit: Täglich verkauft das „Hamburger Abendblatt“ mehr als 3.100 digitale Ausgaben, also Apps, E-Paper und Online-Zugänge, die „Berliner Morgenpost“ 1.000.

Vor kurzem hat Döpfner in einem Reuters-Interview angekündigt, dass auch der Onlineauftritt der „Welt“ eine Paywall, nach Vorbild der „New York Times“ (s. a. Tabelle Seite 37), bekommen werde. Kommen soll sie zum Jahresende 2012. Ob der ehrgeizige technische Fahrplan allerdings eingehalten wird, ist nicht sicher.

Auf bild.de wird es voraussichtlich Mitte 2013 die ersten kostenpflichtigen Angebote geben – rund um die Internetrechte für die Fußball-Bundesliga, die Springer von der nächsten Saison an exklusiv nutzen darf. Das Projekt heißt intern „Bild Plus“ und soll letztlich alle Ressorts einschließen, nicht allein den Sport (s. a. „medium magazin“ 10/2012).

Spätestens dann wird die breite Masse der Webnutzer damit konfrontiert werden, dass auf deutschen Nachrichtenseiten häufiger für Inhalte gezahlt werden muss. Wie erfolgreich das ist, wird davon abhängen, wie viele Medien mitmachen.

Auch deshalb geht Springer in die Offensive: „Wenn die anderen sich eins feixen, auch wenn sie sich damit ihr eigenes Grab schaufeln, wird es natürlich schwierig“, argwöhnte Döpfner im „Manager Magazin“. Möglicherweise eine Spitze in Richtung „Spiegel Online“, nach bild.de die reichweitenstärkste Nachrichtenseite in Deutschland – und genau wie ihr Konkurrent schon jetzt ohne Bezahlinhalte profitabel. Weil die Marke „SpOn“ sich eben über ihre Reichweitenstärke finanziert, wird sie weiterhin kostenfrei bleiben, bekräftigte Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron Ende Oktober auf den Münchner Medientagen.

Hinzu kommt: Bezahlmodelle lassen sich nicht in Monatsfristen etablieren. „Bis wir bei Bezahlinhalten im Netz auf das Niveau kommen, das wir heute in Print haben, wird es noch zehn Jahre dauern“, warnte bei den Medientagen FAZ-Geschäftsführer Tobias Trevisan entsprechend vor allzu hochfliegenden Erwartungen. Mit einem ähnlichen Zeithorizont plant auch die „Süddeutsche Zeitung“. Verlagsgeschäftsführer Detlef Haaks geht davon aus, dass die SZ in zehn Jahren mehrheitlich nicht mehr gedruckt gelesen werde. Er wolle deshalb die digitale SZ „auf alle Tablet-Computer da draußen“ ausweiten, kündigte er bei den Medientagen an. Mutig stimme das bereits Erreichte: Im laufenden Jahr habe die SZ bereits 10.000 vollwertige Digitalabos verkauft. Bei knapp 30 Euro pro Abo und Monat dürfte sich der zusätzliche Jahresumsatz aus dem Digitalen also auf mehr als drei Millionen Euro summieren.

Seine Redaktion arbeitet nun daran, SZ.de mit der digitalen Ausgabe und ihren täglich etwa 120 Texten zu verknüpfen. Dafür ist eine sogenannte Web-App in der Mache, die der „Spiegel“ bereits einsetzt. Dort ist zu sehen: Aus dem frei zugänglichen Bereich der Internetseiten verlinken die Redakteure gezielt auf einzelne Texte in der digitalen Ausgabe des Printprodukts – direkt zugänglich für Abonnenten oder auch als Einzelkauf für Vorbeisurfende.

Das Digitalteam der SZ um Johannes Boie und Fabian Heckenberger arbeitet zudem daran, in der App einerseits die Zeitung „in all ihren Facetten adäquat im Digitalen“ umzusetzen, andererseits wollen sie bei besonderen Ereignissen aktuelle Geschichten der SZ-Autoren in der App veröffentlichen – so geschehen mit einer Sonderausgabe am Morgen nach der US-Wahl. „Inzwischen bieten erste Redakteure von sich aus eine Aktualisierung ihrer Geschichten für die digitale Ausgabe an“, sagen Boie und Heckenberger. „Dass nach einem Jahr gestandene Redakteure hier mitdenken, ist für uns ein Zeichen, dass sich die Akzeptanz von digitalem Qualitätsjournalismus im Haus durchgesetzt hat.“

SZ-Geschäftsführer Haaks wiederum hofft, dass sich nicht zu viele angestammte Abonnenten nur noch auf das Digitale einlassen möchten: „Ich habe es nicht gerne, wenn angestammte Zeitungsabonnenten zur Digitalausgabe wechseln.“ Schließlich gelte es auch, eine Druckerei auszulasten. Digitalabos sollten also bestenfalls nur Neukunden ordern. Ideen für Bezahlinhalte gibt es demnach genug. Was sich am Markt schließlich durchsetzen wird, ist schwer zu sagen. Die Experimentierphase in München hat gerade erst begonnen.

Modell Madsack

Ein bissch
en weiter ist man bei Madsack schon. Bei dem dort praktizierten Freemium-Modell entscheiden die Redakteure selbst, was hinter die Paywall kommt. Ein Freikontingent gibt es nicht, allerdings werden die Artikel nach 48 Stunden wieder offen zugänglich gemacht. Exklusivität gilt als entscheidendes Kriterium für die Entscheidung, was hinter die Paywall muss. Dabei helfen bei Madsack die Vergleichsmöglichkeiten zwischen den vielen verschiedenen Medien des Hauses, berichtet Martina Lenk, Geschäftsführerin von Madsack Online: „Gerade bei den Zeitungen in Konkurrenzgebieten wurde von Anfang an sehr viel feingliedriger sortiert, was exklusiv ist und was nicht. Bei Monopolstandorten landete zu Beginn schon mal pauschal jeder lokale Text hinter der Paywall.“

Genau so soll es aber nicht sein. Nicht jede lokale Nachricht ist automatisch exklusiv, nur weil man die einzige Zeitung am Platz ist. Im Gegenzug ist so manche gute Info aus dem Berliner Büro nicht per se frei zugänglich. Solche Lernprozesse haben bei der „Feinjustierung des Modells“ (Lenk) sehr geholfen.

Auch beim Umgang mit Social-Media-Zugriffen, zurzeit ebenfalls geblockt, lernt man noch dazu. „Wir arbeiten an einer Weiterentwicklung des Modells, um mit Social-Media-Links besser umgehen zu können“, sagt Martina Lenk. Schließlich sind Leser, die über Freundesempfehlungen auf die Madsack-Seiten kommen, potenzielle Neukunden. Sie direkt vor eine Wand zu stellen, ist da nicht hilfreich. Dabei weist die Strategie des hannoverschen Medienhauses wie auch bei der SZ schon über Bezahlinhalte auf den Webseiten hinaus. Nach Zahlen des Bundesverbands Digitale Wirtschaft gehen inzwischen 13,7 Millionen Deutsche per Smartphone ins Internet, 8,2 Millionen nutzen Tablets dafür. Und – Steve Jobs sei Dank – Nutzer mobiler Geräte sind daran gewöhnt, für Anwendungen auf ihren Geräten Geld zu bezahlen.

Paywalls sind für Lenk deshalb ein wichtiges Instrument, um das Geschäft mit mobilen Anwendungen zu stützen: „Wenn ich über unsere Paywalls rede, schaue ich immer auch auf die mehr als 50 Apps, die Madsack inzwischen auf dem Markt hat“, sagt Lenk. „Die zu monetarisieren geht nur, wenn nebenan nicht alles kostenlos zu haben ist.“ Für sich betrachtet, „verdienen wir uns mit den Paywalls keine goldene Nase“, sagt sie. Aber den vermeintlichen Geburtsfehler aus den frühen Internetjahren, auf Online-Nachrichtenseiten alles kostenlos bereitzustellen, wollen die Verlage beim Mobilgeschäft nicht wiederholen. Auch bei DuMont macht man diese Erfahrung, sagt Patrick Wölke: „Die Zahlungsbereitschaft für Apps ist nahezu genauso gelernt und Teil unserer DNA wie die Zahlungsbereitschaft für unsere klassischen, analogen Produkte. Und es funktioniert: Die Apps unserer regionalen Produkte erreichen vierstellige Verkäufe, Tag für Tag.“

Erfahrungswerte

Die große Angst vor Reichweiteneinbrüchen muss man jedenfalls nicht haben, sagen die, die schon Erfahrungen mit Paywalls haben. Beim „Trierischen Volksfreund“ gab es zwar im September, einen Monat nach Einführung der Paywall, einen merklichen Rückgang bei den Nutzerzahlen. Die Delle hatte man aber schon im Oktober wieder ausgebeult. Houben hat genauer auf die Zahlen geschaut: „Die Rückgänge waren gar nicht bei den jetzt kostenpflichtigen lokalen Seiten, sondern vor allem bei den frei zugänglichen Nachrichten.“ Mögliche Erklärung: Es blieben vor allem die fern, die den „Volksfreund“ als allgemeine Nachrichtenseite genutzt hatten. Sie wurden von der Paywall entweder abgeschreckt oder blieben zunächst aus Verärgerung fern. Aber wie viele Nutzer zahlen wirklich?

15 Artikel hat jeder Nutzer auf volksfreund.de im Monat frei, bevor die Paywall greift (fünf komplett, zehn weitere nach einer Registrierung). Mit diesem Freikontingent kommt der Großteil der Nutzer wahrscheinlich schon über die Runden. Zudem müssen nur originäre Inhalte der Redaktion bezahlt werden. Agenturmaterial bleibt kostenlos, darunter fallen klickstarke Rubriken wie Promi-News. Da Print-Abonnenten sowieso weiter freien Zugang zum Portal haben, ist der potenzielle Käuferkreis von digitalen Zugängen schon deutlich kleiner. 342 Tageszugänge für je einen Euro hat der „Volksfreund“ in den ersten beiden Paywall-Monaten verkauft, iPad-Zugänge inklusive. Digitale Neu-Abonnenten gab es im gleichen Zeitraum 41. Sie bekommen für 15,90 Euro im Monat freien Zugang zu volksfreund.de und einer E-Paper-Lokalausgabe. Houben ist noch vorsichtig mit einer Bewertung: „Langfristig reicht eine Paywall alleine sicher nicht, Online zu finanzieren. Es muss eine Mischform mit Anzeigen geben.“

Hoffnung machen könnten den Trierern die Erfahrungen aus Hannover. Mit konkreten Zahlen will Martina Lenk nicht um sich werfen. In den Auswertungen der Madsack-Paywalls sieht sie aber einen Trend. „Wer sich für einen Zugang zu unseren digitalen Angeboten entscheidet, wählt meist direkt ein Zwei-Jahres-Abo, weil er dort den größten Preisvorteil hat. Die verkaufen sich am besten, vor den Jahres- und den Monatszugängen.“

Tagespässe verkaufen sich dagegen im Bereich von einigen Hundert pro Monat, bei einem Preis von einem Euro. Fazit: Allzu viel sollte man von einer Paywall gerade am Anfang und auf kleinen, regionalen Märkten nicht erwarten. Aber zumindest ein kleiner Leserkreis zahlt online für Zeitungsinhalte.

Nutzungsfallen

Paywall-Kritiker halten die Übertragung der Abo-Logik aus der Printwelt auf die Netzwelt ohnehin für anachronistisch. Der Blogger und BR-Moderator Richard Gutjahr etwa wünscht sich in einem Blogbeitrag zur Insolvenz der „Frankfurter Rundschau“ die Möglichkeit, einzelne Artikel kaufen zu können. „Wieso muss ich die gesamte Ausgabe kaufen, wenn mich doch höchstens 2-3 Artikel interessieren? Bei einer gedruckten Zeitung lässt sich das logisch/logistisch schnell erklären. Wie aber rechtfertigt man diese Zwangsbündelung im Digitalzeitalter (vgl. Musikmarkt und LP)?“, schreibt Gutjahr.

Der oft bemühte Vergleich mit Apples iTunes-Store, in dem es möglich ist, statt eines ganzen Albums einzelne Songs daraus zu erwerben, taugt allerdings nur bedingt. Einen Song kann und will der Kunde hundertmal anhören. Einen Zeitungsartikel hingegen liest man in der Regel nur einmal und dann nie wieder.

Hier stößt man außerdem auf ein grundsätzliches Problem: Es fehlt an brauchbaren Bezahlmodellen für einzelne Artikel. Eine Tageszeitung kostet zwischen einem und zwei Euro und ist dafür mit gut und gerne hundert Texten vollgestopft. Das ist auch den Lesern bewusst. Einen Preis für einzelne Artikel, der über niedrigen zweistelligen Cent-Beträgen liegt, wird man nur schwer vermitteln können. Bei Micro-Payment-Dienstleistern wie Click&Buy oder Paypal sind die Provisionen für derartige Beträge aber viel zu hoch, als dass sich solches „Nano Payment“ rechnen würde.

Die neue „Pay“-Aufforderung der „taz“, die auf freiwillige und flexible Zahlungsbereitschaft der Leser setzt, zeigt das jetzt schon: Bei weniger als einem Euro ist der Zahlmodus Paypal gar nicht möglich. Außerdem hat nicht jeder Nutzer ein Konto bei diesen Anbietern. Bezahlvorgänge per Überweisung oder Handyrechnung gelten als zu umständlich.

Vielleicht ist eine komplizierte Einzelabrechnung aber gar nicht nötig. Einzelartikel mögen Einwegprodukte sein, doch das Medium dahinter verspricht einen dauerhaften Gegenwert, sagt Zeitungsberater Joachim Blum: „Die Marke Zeitung ist ja immer noch glaubwürdig und seriös. Die Leser sind bereit, ihr einen Vertrauensvorschuss zu gewähren.“ Sprich: Das Abo-Modell kann im Netz funktionieren. Es dürfe nur nicht so starr sein wie in der Offline-Welt, sagt Blum: „Es braucht viel mehr Möglichkeiten zu personalisieren. Der Leser muss selbst entscheiden dürfen, welche Themen und welche Ressorts er regelmäßig lesen möc
hte – und für wie lange. Den Verlegern mögen unkündbare Jahres-Abos gefallen, kundenfreundlich sind sie nicht.“

Die Ideallösung wäre wahrscheinlich eine Art iTunes der deutschen Verlage; ein Portal, in dem möglichst viele Medien zusammengeschlossen sind, auf die der Nutzer dann mit nur einem einzigen Konto Zugriff hat und sich seine Inhalte nach Wunsch zusammenstellen kann. Ob sich die unterschiedlichen deutschen Verlage zu einer solchen Kraftanstrengung aufraffen können, ist offen. Funktionieren kann es aber.

Das zeigt das Unternehmen Piano Media in der Slowakei. Dort sind die Angebote von mehreren Zeitungsverlagen im Bezahl-Portal von Piano Media gebündelt. Inzwischen ist das Unternehmen auch in Polen aktiv und hat seine Fühler bereits nach Deutschland ausgestreckt (s. Seite 40f.).

Die Frage der Inhalte

Doch die Diskussion um das richtige Bezahlmodell ist müßig, wenn die Leser nicht mitziehen. Dafür müssen die Inhalte stimmen. „Für vieles, was Verlage im Netz bieten, kann man noch kein Geld verlangen“, kritisiert Joachim Blum, selbst Journalist und heute als Redaktionsberater international unterwegs. Ihm geht es jedoch nicht darum, was andere Paywall-Kritiker häufig bemängeln: Dass es im Lokalen an knallharten Recherche-Geschichten mangelt. „Es muss nicht jede Woche ein Scoop sein“, sagt Blum. „Das Lokale kann man schon verkaufen.“ Doch sollte man den Nutzer auch als solchen begreifen: Er will das Internet benutzen, um den Alltag zu gestalten. Blum: „Die Zeitung muss im Netz wie ein Baumarkt funktionieren: Egal, welches Problem ich habe, hier finde ich eine Lösung.“ Erst wenn dieses Angebot stimmt, glaubt Blum, wird die Zahlungsbereitschaft der Leser wachsen.

Wie wichtig zudem die Identifikation der Leser mit ihrem Medium ist, zeigt eine Studie zur „New York Times“. Wissenschaftler befragten deren Leser zur Paywall. Die eine Gruppe bekam vorher einen Text zu lesen, der erläuterte, dass die Paywall dem Verlag mehr Profit verschaffen solle. Die andere Gruppe las, dass die „New York Times“ ohne Paywall vom Aus bedroht sei. Letztere bewerteten die Paywall danach deutlich besser: Die Leser zahlen lieber für Qualitätsjournalismus als für das Konto der Verleger. Das klingt nur auf den ersten Blick trivial. Paywall-Strategen betonen, dass die positive Bindung zu einem Medium ein wichtiger Baustein für den Erfolg von Bezahlinhalten ist. Deshalb sind schon die nach Aussperrung klingenden Begriffe Paywall oder Bezahlschranke ungünstig gewählt.

Stefan Plöchinger, der Chef von sueddeutsche.de, würde stattdessen lieber von „Leserclubs“ sprechen (S. 30f.). Ein bezahlter Online-Zugang, der quasi die Tür zu einem illustren Kreis gleichgesinnter, an hochwertigem Journalismus interessierter Menschen öffnet. Journalismus, der im Gegenzug nur bestehen kann, weil die Leser ihn finanziell unterstützen. Christian Lindner, Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“, will deshalb bei einer RZ-Paywall schon die Zahlungsaufforderung positiv formulieren, kündigte er bei der „Besser Online“-Konferenz in Bonn an. Statt: „Wir geben erst mehr Artikel, wenn Sie uns Geld geben“, soll der Tenor lauten: „Wenn Sie, lieber Leser, uns mit Ihrem Geld unterstützen, helfen Sie, guten Lokaljournalismus an Ihrem Heimatort zu erhalten.“ Das klingt schon fast nach Crowdfunding. Dass Medien damit aber auch eine Bringschuld haben, ist Lindner bewusst und er freut sich drauf: „Darin steckt doch eine Riesenchance für eine Renaissance des Lokaljournalismus.“

Weg vom Meldungsschrubben, zurück zu ernsthafter Recherche auch im Lokalen – wenn das ein Ergebnis der Diskussionen um bezahlte Inhalte sein soll, wäre das ja schon mal Gewinn.

link:Tipps

Die Leserdebatte des „Trierischen Volksfreund“ zur Paywall: http://on.fb.me/U52g4y

Richard Gutjahr über Micro Payment:

http://gutjahr.biz/2012/11/zeitungssterben/

Aus dem „medium magazin“-Archiv:

Erfahrungen mit Bezahlmodellen bei Regionalzeitungen: http://bit.ly/TcDaj2

Moritz Meyer

ist freier Journalist in Köln.

mail@moritz-meyer.net

Daniel Bouhs

ist freier Journalist in Berlin und Mitglied der „medium magazin“-Redaktion.

post@daniel-bouhs.de

Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 34 bis 36 Autor/en: Moritz Meyer, Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.