„Auf alle Fälle ein Gewinn“

Herr Bella, wie überzeugen Sie die Verlagshäuser davon, zusammen mit der Konkurrenz unter eine gemeinsame Bezahlschranke zu gehen?

TomአBella: Das Nutzerverhalten ist einer der wichtigsten Gründe. Die Verlagschefs wissen, dass sich die Leser über die vergangenen 15 Jahre an kostenlose Inhalte im Internet gewöhnt haben. Wenn jetzt einer alleine anfängt, von den Lesern Geld zu verlangen, ist das für die Nutzerzahlen seines Mediums schlecht. In dem Moment aber, wo mehrere Spieler auf einmal eine Bezahlschranke einführen, beginnt sich das Verhalten der Leser zu ändern. Wir haben erlebt, dass viele darüber nachdenken, warum die Medien Geld verlangen – und warum es vielleicht tatsächlich gut ist, für Journalismus etwas zu bezahlen.

Jetzt machen Sie es den Lesern ja relativ leicht: Nicht einmal drei Euro kostet ein Monatsabo in der Slowakei, in Slowenien und in Polen jeweils knapp fünf Euro. Wie kommen Sie auf diese niedrigen Beträge?

Wir haben Untersuchungen dazu gemacht, wie viel die Leute bereit sind zu bezahlen. Und dann haben wir die Preise tatsächlich bewusst so niedrig angesetzt: Wir wollen damit erst einmal die Gewohnheit der Leute durchbrechen, im Netz nichts zu zahlen. Die Barriere muss also so niedrig wie möglich sein. Wir wollen zu einem Massenprodukt werden.

Bei den slowakischen Zeitungen, die bei Ihnen mitmachen, sind nur zwischen zwei und zehn Prozent der Inhalte hinter einer Bezahlschranke. Sind die Kunden wirklich bereit, ein Online-Abo zu kaufen, wenn die meisten Beiträge immer noch kostenlos sind?

Wir sind einen offenen Weg gegangen und haben jedem Verlag die Entscheidung überlassen, welche Inhalte er kostenpflichtig macht. Alle haben mit kleinen Bereichen angefangen, damit die Besucherzahlen nicht wegbrechen. Die Erfahrung in der Slowakei zeigt aber, dass die Medien die Abo-Bereiche nach und nach ausweiten.

Für wie lange binden sich denn die meisten Kunden?

Wer ein Wochenabo kauft, hat meistens Interesse an ein oder zwei konkreten Artikeln, die hinter der Paywall sind. Für diese Fälle machen wir die Zahlung so leicht wie möglich; die Kunden können per Banküberweisung bezahlen, per Kreditkarte, per Handy und auf etlichen anderen Wegen. Diese Ein-Wochen-Kunden sind aber die Minderheit. Am besten verkaufen sich Monatsabos. An diesen Kunden sehen wir übrigens auch, dass sie ein dauerhaftes Interesse haben: Die meisten kommen nach dem ersten Monat wieder.

Weil die Leser ja von einem konkreten Artikel auf Ihre Abo-Seite geleitet werden, können Sie sehr gut sehen, welche Beiträge die meisten Leser dazu bringen, in Ihr Flatrate-System einzusteigen. Was verkauft sich denn am besten – Sex, Drugs and Crime?

Sie werden sich wundern: In der Slowakei sind es bei fast allen Zeitungen die Kommentare. Wir haben aber zum Beispiel auch Wochenmagazine dabei, bei denen die People-Rubrik am gefragtesten ist. Sehen Sie, genau das ist auch ein Vorteil unseres Systems: Wir erarbeiten für jedes Medium Inhaltsanalysen, in denen wir untersuchen, wofür sich die treuesten Kunden interessieren, für welche Inhalte sie wiederkommen und so weiter.

Kommt da wirklich Überraschendes dabei heraus?

Wir haben zum Beispiel eine Tageszeitung, die dreimal in der Woche spezielle Magazine beilegt. Die waren fest überzeugt, dass genau diese Magazine im Internet am stärksten gefragt sind. In Wirklichkeit aber haben die Leser auf etwas völlig anderes geklickt. Die Medien stellen somit immer wieder fest, was die Leser eigentlich für wichtig halten. Und dank des gemeinsamen Systems können sie nach und nach die unterschiedlichsten Versuche machen, welche Inhalte sie kostenlos anbieten und welche nicht. Solche Experimente wären viel schwieriger, wenn sie ein eigenständiges System anbieten würden und der Leser jeden Tag für etwas anderes bezahlen müsste.

Aber die Verlage bezahlen diese Flexibilität mit einem großen Nachteil: Sie verwässern ihre Marke, wenn sich der Kunde nicht mehr bewusst für ihre Zeitung entscheidet, sondern zugleich auch für alle Konkurrenzprodukte bezahlt.

Man muss sich vor Augen halten, dass sich das Leseverhalten ohnehin stark ändert: Die Menschen kriegen Nachrichten über Facebook mit, sie suchen sich Informationen per Google und so weiter. Dieser Trend existiert also ohnehin. Ich sage aber ganz ausdrücklich: Wir tragen dazu nicht bei. Wir sind ja keine Aggregationsseite, auf der wir die Inhalte aus unterschiedlichen Quellen zusammentragen. Die Leute gehen ja nach wie vor auf die Internetseite einer konkreten Zeitung – deren Marke bleibt also stark. Unsere Marke Piano steht dabei immer im Hintergrund.

Trotzdem: Wenn eine Zeitung sich für ein eigenes Bezahlsystem entscheidet, kann sie die Preise selbst gestalten. Sie kann ihren Lesern zum Beispiel Dossiers zu einem bestimmten Thema separat verkaufen, sie kann manche Artikel teurer machen als andere – diese Möglichkeit nehmen Sie den Verlagen.

Wir bieten tatsächlich alle Inhalte zu einem Preis an. Aber die meisten Medienhäuser machen ja genau deshalb mit: Sie wollen gemeinsam ihre Leser überzeugen, überhaupt etwas zu bezahlen. Diese Erwägung ist stärker als die Furcht, einige Optionen zur Preisgestaltung aus der Hand zu geben.

Mit welchen Gewinnvorstellungen gehen denn die Verlage in der Regel in die Verhandlungen?

Unser System ist auf alle Fälle ein Gewinn: Die Verlage generieren Einnahmen, die sie vorher nicht hatten. Sie bekommen Geld, ohne dass sie etwas investieren müssen.

Aber etwas konkretere Hoffnungen haben die Verlage wohl schon, oder?

Das ist tatsächlich von Verlag zu Verlag unterschiedlich. Es gibt diejenigen, die sagen: Wir haben 15 Jahre lang alles kostenlos zur Verfügung gestellt, also sollten wir uns jetzt schon fünf Jahre lang Zeit nehmen, um an dieser Situation etwas zu ändern. Und dann gibt es auch die anderen, die innerhalb eines Jahres deutliche Einnahmen generieren wollen. Je nach dieser Einstellung passen dann die Verlage individuell an, welche Bereiche und wie viele Inhalte kostenpflichtig sind. Aber unabhängig davon können alle nur gewinnen.

In der Slowakei läuft das System ja jetzt schon eine Weile. Wie viel erlösen denn die Verlage?

Eine der beteiligten Zeitungen erzielt im Online-Bereich durch Piano inzwischen höhere Einnahmen als aus der Werbung. Aber das ist nicht die Regel: Meistens machen die Einnahmen durch das Bezahlsystem ein paar Prozent von den Erlösen aus, manchmal auch einen zweistelligen Prozentsatz. Die Reklame überwiegt im Moment noch deutlich. Aber ich sage bewusst „im Moment“, denn unser Anteil steigt stetig.

Sie wollen in den nächsten Jahren in andere Länder expandieren. Haben Sie auch die deutschsprachigen Kunden im Blick?

Ja, wir sind konkret in Deutschland mit einigen Medien im Kontakt. Wir denken zum Beispiel an ein regionales System, weil Deutschland ja ein sehr großes Land ist: Da gibt es zum Beispiel in einer Region zwei oder drei Zeitungshäuser und die schließen sich zusammen. Dazu führen wir Gespräche, aber das ist alles noch nicht spruchreif.

Ist es für Sie bei Verhandlungen in westeuropäischen Ländern ein Nachteil, dass Ihr System ausgerechnet aus der Slowakei kommt?

Es stimmt schon, die meisten erwarten irgendwie, dass Innovationen aus Amerika stammen. Viele Beobachter haben am Anfang gedacht, Piano funktioniere nur auf kleinen Märkten wie der Slowakei mit ihren fünf Millionen Einwohnern oder Slowenien mit zwei Millionen. Aber seit wir in Polen gestartet sind – und da gibt es immerhin 40 Millionen Einwohner –, nehmen die Medienhäuser aus anderen Ländern das viel ernster. Wir merken: In je mehr Ländern unser System funktioniert, desto weniger Überzeugungsarbeit müssen wir leisten.

Kilian Kirchgeßner

ist freier Korrespondent in Prag und Mitglied der „Weltreporter“.

kirchgessner@weltreporter.net

Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ a
uf Seite 40 bis 40 Autor/en: Interview: Kilian Kirchgessner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.