Capitale Fehler

1. Das Management

Vor 40 Jahren, als Bertelsmann das Kommando über G+J übernahm, sagte mir Manfred Fischer, der neue Chef: Journalisten gehören hier nicht rein. Mit „hier“ meinte er „in den Vorstand“. Heute haben in den Verlagen die Kaufleute das Sagen. Und sie kennen alle nur ein Ziel: Rendite.

Redaktionskosten schmälern diese. Was liegt da näher, als daran zu sparen. Nun gut. Erst kommt das Druckpapier dran (dünner), dann die Werbekosten, schließlich die freien Autoren, zuletzt auch angestellte Redakteure. Hauptsache, die Kasse stimmt, die Budgetzahlen werden erreicht. Wenn nicht, kommt der Beschluss : Schluss. So geschehen am Buß- und Bettag in Hamburg. Sic transit.

2. Das Internet

Als das Internet drohte, lud G+J-Chef Schulte-Hillen zu einem Brainstorming. Geladen waren seine Chefredakteure. Die hatten nur eins im Sinn: Ihre Marke zu erhalten, nicht zu verwässern. Sie fragten nicht: Was kann das Internet anders, besser als Print? Und was kann Print besser? Internet ist schneller, kälter, kostenlos und fungibel. Print ist aufwendig, intelligent, ästhetisch und teuer. Wie stellte man sich darauf ein? Nicht allen war klar: Print darf nicht so aussehen wie online und umgekehrt.

Was aber geschah? Die Wortjournalisten versuchten sich im Internet so zu präsentieren wie ihr Objekt. Dabei ist Internet ein ganz anderes Medium als z. B. eine Zeitung. Es ersetzt gewisse Funktionen, aber nicht die Presse schlechthin. Die großen IT-Firmen heißen Google, Amazon, Ebay, Facebook – allesamt keine Verlage. Zuckerberg ist kreativ, aber kein Journalist. Und der ehrliche Mathias Döpfner bekannte neulich: Uns ist da noch nichts eingefallen. Also kauft er Branchenfremdes ein (Immobilieninfos). So auch Burda (Hundefutter).

3. Der Lebenszyklus

Jeder ordentliche Kreditgeber fragt nach der Lebensdauer des geldsuchenden Produkts. Nach wie viel Jahren muss man eine Zeitung, eine Zeitschrift abschreiben? „Capital“ ist 50 Jahre alt, „Impulse“ 32, „Börse Online“ 25 und die FTD gute zwölf.

Der Youngster hat viel gekostet. Mit „Capital“ aber hat der Verlag jahrelang sehr, sehr ordentlich verdient, mit „Börse Online“ unverschämt viel, wenn auch nur kurz. „Impulse“ war vergleichsweise bescheiden.

Wäre es da nicht klug gewesen, Geld zurückzulegen für härtere Zeiten? Alle drei Zeitschriften könnten mit den Tugenden eines vorausschauenden Kaufmanns problemlos weiterleben. Die FTD hatte da keine Chance. Sie kostete nur.

4. Die Gier

Es war das gleiche Verhalten, das bei „Capital“ damals zu der Verdoppelung der Erscheinungsweise führte. Der Grund: Die Umfänge waren nicht mehr handelbar, die Anzeigen quollen über und man stand vor der Frage: ablehnen oder neuen Raum schaffen. Man entschied sich für das Letztere.

Das kann man machen, wenn man auch ein anderes Redaktionskonzept macht. Denn eine Halbmonatsschrift ist etwas anderes als eine Monatszeitschrift. Das Gleiche lediglich zu verdoppeln ist kein Konzept, sondern ein Höhepunkt unjournalistischen Handelns. Ein Indiz für Presseferne. Die Quittung kam prompt. „Capital“ erschien doppelt so oft und die Auflage halbierte sich.

5. Die Gemeinschaftsredaktion

Der mehr als „capitale“ Fehler wurde 2008 gemacht: alle vier Objekte gemeinsam zu gestalten. Eine Absage an Originalität und das Engagement der Redakteure. Print vom Fließband – das spürt der Leser. Im Redaktionskollektiv kann man allenfalls Fernsehzeitschriften machen, die ja so eine Art Fahrplan sind. Aber eben nicht Zeitschriften, die von einer Idee, einer Message leben. Man mag mich als idealistischen Journalisten belächeln. Doch ich bin davon überzeugt, dass die Presse mehr transportiert als nur Informationen. Gute Zeitschriften und Zeitungen haben Haltung, transportieren eine Botschaft. Bei „Capital“ stand sie sogar im Impressum: Das Wirtschaftliche menschlich und das Menschliche wirtschaftlich sehen.

Wie man hört, hat der G+J-Aufsichtsrat moniert, bei „Capital“ gebe es kein klares Konzept. Aber kann, wie jetzt geplant, eine Rumpfredaktion das ändern? Hilft da Berlin als neuer Standort? Arbeitsrechtlich mag das clever sein. Aber tut das auch dem Blatt gut?

6. Die Kommunikation

Steffen Klusmann, der Chefredakteur, leitete vier Objekte. Um seinen Job war er nicht zu beneiden. Erst recht nicht jetzt. Der Verlag gab ihm zwar Hinweise auf kommende schlimme Zeiten, aber keine genaueren Informationen. Fair gab Steffen Klusmann die Warnung an seine Redaktion und auch an die Leser weiter.

Wer Genaueres wissen wollte, musste die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ lesen. Dort wurde der vorbereitete Beschluss des Aufsichtsrates tags zuvor hingeschoben.

Nicht jedoch an den Chefredakteur. Man wollte wohl die Stimmung nicht anheizen. Und so geschah es, dass 330 Mitarbeiter – davon 250 Redakteure – entlassen werden sollten, was diese, nach altem Brauch, aus der Presse erfuhren.

Womit deren Unersetzlichkeit mal wieder bewiesen ist.

Adolf Theobald (82)

war Chefredakteur von „twen“, „Capital“, „natur“, „Geo“ und außerdem in der Geschäftsleitung von G+J, Ringier und dem Spiegel-Verlag.

Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 27 bis 27 Autor/en: Adolf Theobald. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.