Das Fremde und das Eigene

Lohnt es überhaupt noch, über „Denglisch“ zu reden? Denglisch ist ein „Kofferwort“, sagen Sprachwissenschaftler, eine Zusammenziehung von Deutsch und Englisch. Falsch. Denglisch ist das Kurzwort für Dämlichkeits-Englisch. Also für Anglizismen, die keine sind, für total bescheuerte Verwurstelungen von zwei nicht verstandenen Sprachen. Es geht also nicht um „Coffee to go“ oder den „Meeting Point“ oder das „Jobcenter“ – darüber ist genug gejammert worden. Anglizismen mag man mehr oder weniger schön finden: Aber sie tun nicht wirklich weh. Internet, Computer, Server und alles, was damit zusammenhängt – das kann man aushalten. Aber „downloaden“ und „uploaden“ ist einfach nur albern; und wenn „downgeloadet“ oder „gedownloadet“ wird, wird’s bitter.

Straight gecancelt

Fremdsprachen heißen Fremdsprachen, weil sie nicht die eigene Sprache sind. Ist das banal? Oh nein. Denn wer das Fremde in das Eigene derart einbaut, dass er es wie das Eigene dekliniert und konjugiert, der hat beides nicht verstanden.

Der Flug wurde „gecancelt“? Ach, wie schön. „Angela Merkel ist für mich eine wahnsinnig beeindruckende, straighte Frau“, schreibt Bettina Wulff in ihrem Buch zur Präsidenten-Affäre. Ja, gut, mag sie „straight“ als deutsches Adjektiv behandeln. Es ist keins. „Ich finde“, schreibt sie weiter, „sie strahlt so eine ganz eigene Coolness aus, die ich an ihr bewundere.“ Ein schönes Beispiel für Sprachlosigkeit: Der Einsatz von Fremdsprache zeigt, dass irgendetwas ausgedrückt werden soll, wofür die Autorin kein deutsches Wort findet. Das englische Wort muss nicht unbedingt passen. Es muss nur klingen.

Geschnatter von auswärts

Es macht weiter nichts, wenn Bettina Wulff so plappert. Auch nicht, wenn die Rezeptionsdame im Hotel mir strahlend eröffnet, dass sie ein „Upgrade“ für mich hat, oder wenn ich am Telefon erfahre, dass das „Call Center“ der „Airline“ gerade „off duty“ ist – ja, gut, wenn’s den Jungs und Mädels Spaß macht, sollen sie doch. Und wenn der Karstadt-Konzern einen „Mid-Season Sale“ ankündigt, habe ich was zu lachen. Und muss nicht leiden.

Aber bei Journalisten werde ich ehrpusselig. Ein Bild aus einem Film heißt „Standbild“. Einfach so. Im Englischen heißt das „still“. Auch gut. Aber muss die „taz“-Kulturredaktion unter Standbilder unbedingt „Still“ schreiben, nur um zu zeigen, was sie alles weiß?

Was ist ein „must have“? Ein modischer Blödsinn, den man nicht nur in Lockenwickler-Postillen lesen kann. Auch die „To-do-Liste“ hat den seriösen Journalismus schon eingeholt, und „In- und-Out-Listen“ sollen sogar in Medien-Magazinen anzutreffen sein. Von „Relaunch“ reden inzwischen nicht nur Marketing-Leute und auch der „Scoop“ ist längst Teil des Journalisten-Geplappers – wohl weil „Knüller“ so „uncool“ klingt. Und als ich kürzlich von einer WDR-Moderatorin aufgefordert wurde, ein bestimmtes Datum in meinem Kalender zu „markern“, da reichte es mir dann. Denn von Kultursendungen war ich derlei bisher nicht gewöhnt.

Die Kolleg(inn)en Sportjournalisten sind da schon länger ziemlich schmerzfrei. Im Rennsport zum Beispiel gibt es keine Qualifikation mehr, es muss „Qualifying“ heißen. Was uns aufs Angenehmste darüber hinwegtröstet, dass kein Mensch wirklich weiß, warum der vorderste Startplatz „Pole Position“ heißen muss. Oder der Superriesenslalom im Skirennsport unbedingt „Super G“. Hauptsache Geschnatter, das irgendwie auswärts klingt. Mithin modern. Anderes zählt nicht.

Da mag man von subtileren Dummheiten kaum noch reden. Oder sagen wir: Sprachunverständnis. Wissen Sie, was ein Analyst ist? Ein sprachlicher Einwanderer. Ein Mensch, der analysiert, heißt bei uns Analytiker. Im Englischen „analyst“. Und über die angloamerikanische Börsensprache ist der Analyst zu uns gekommen. Das soll auch so sein. Aber wenn ich im Feuilleton einer großen Zeitung von einem Literatur-„Analysten“ lese, dann wird mir doch ganz anders.

Die Sprache als Waffe

Technik heißt auf Englisch „technology“. Über den angloamerikanischen Umweg ist auch bei uns „Technologie“ vielerorts zum Ersatzwort für Technik geworden. Technologie ist aber die Wissenschaft von der Technik, nicht die Anwendung selbst. So wie Psychologie die Lehre von der Seele ist, weshalb fast immer, wenn von psychologischen Problemen die Rede ist, eigentlich psychische gemeint sind. Alles gar nicht mal so schlimm, wenn’s im Alltagspalaver vorkommt. Aber Journalistensprache ist kein Alltagspalaver. „Die Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf!“, meinte Kurt Tucholsky. Ja, eben.

Peter Zudeick

ist freier Journalist und politischer Korrespondent für mehrere ARD- Hörfunkprogramme.

p.zudeick@t-online.de

Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 66 bis 66. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.