Gutes Geld für die Seele

„Was besonders schmerzte, sollte der Zeitungsjournalismus untergehen, wäre der Verlust der journalistischen Seele“, sagt Patrice Schneider. Der Franzose hat als Reporter aus Asien berichtet, war Europachef von Netscape und Berater beim World Economic Forum. Er war auch Direktor der World Association of Newspapers in Paris. Weil er die Medien aus vielen Perspektiven kennt, wird er deutlich: Diese Seele sei „die einmalige Verbindung aus Recherche, Geduld, Gründlichkeit,Unab- hängigkeit und Vielseitigkeit“ – sie existiere nur in Zeitungsredaktionen! „Früher wurde das Besondere üppig durch Werbung finanziert und der Zeitung beigemischt. Ohne das alte Zeitungsmodell lässt sich das nicht refinanzieren“, konstatierte Schneider im November auf einer Konferenz im belgischen Gent.

Die deutsche BMW-Stiftung Herbert Quandt hatte gemeinsam mit dem „Future Media Lab“ eingeladen zum Austausch über alternative Finanzierungen wie Crowdfunding (s. S. 44 f.) und mäzenatisches Verlegertum („Philanthropy Publishing“). „Wir sehen interessante Modelle im Ausland und würden gerne davon lernen“, sagte Barbara Müller, die Kommunikationsleiterin der BMW-Stiftung. Die Gretchenfrage: Können Stiftungen, reiche Personen oder Unternehmen den Qualitätsjournalismus retten?

Investments in neue Ideen

Größter Wohltäter ist die US-amerikanische John S. and James L. Knight Foundation. Sie geht gewissermaßen mit einer Fackel voran und kann jedes Jahr bis zu 50 Millionen Euro zur Förderung des Qualitätsjournalismus einsetzen. „Besonders gerne investieren wir in neue Ideen, die an unterschiedlichen Orten funktionieren könnten“, erklärte Vizepresident Michael Maness.

Eines von Maness’ vielen Projekten ist texastribune.org, eine liberale Redaktion, die sich in Texas abhebt und mit ihren Themen auch einen festen Platz in der „New York Times“ hat. Ähnliche Medien sollen in anderen US-Bundesstaaten aufgebaut werden.

Patrice Schneider ist heute Fonds-Manager in der Schweiz – und ein leidenschaftlicher Sponsor des Journalismus. Für die Bank Vontobel organisiert er „Press Freedom“-Anleihen mit einer Verzinsung von einem Prozent. Anleger verzichten auf Renditen, die sie anderswo erzielen könnten. Das macht sie nicht zu Mäzenen, aber es zeichnet sie aus: Einen kleinen Teil ihrer Einlagen stellen sie für den Aufbau von Redaktionen in gefährdeten Demokratien zur Verfügung. Mit dem Überschuss aus dem größeren Teil wird die Verzinsung erreicht. Bislang wurden 90 Millionen Euro gesammelt, 5,15 Millionen Euro davon an 85 Redaktionen in 27 Ländern ausgezahlt. Eine neue Tranche soll weitere 4,1 Millionen Euro für den Journalismus einbringen. „Wir würden das Modell gerne demnächst auch in Europa testen“, sagt Schneider.

Stiftungsaufgaben

Kleinere Organisationen könnten von solchen Spenden auch in Europa gut leben. Wie etwa das 2009 in London gegründete „Bureau of Investigative Journalism“. Es hatte von der Familienstiftung des Ehepaares Elaine und David Potter 2,3 Millionen Euro erhalten. Mit knapp 100.000 Euro, die es pro Jahr verwenden kann, entstanden im vergangenen Jahr 15 Reportagen, die von der Presse und sogar der BBC veröffentlicht wurden. Das große Vorbild für das Bureau ist das 2007 gegründete und durch einen Pulitzer Price berühmte amerikanische Recherchebüro „Pro Publica“. Ihm stellt das Ehepaar Herbert und Marion Sandler jedes Jahr ein Budget von zehn Millionen Dollar zur Verfügung.

Mit Blick auf Deutschland rät Mark Speich, Geschäftsführer der Vodafone-Stiftung und früher Strategiechef der CDU/CSU im Bundestag: „Stiftungen sollten sich mit der gesellschaftlichen Aufgabe auseinandersetzen, wie hochwertiger Journalismus weiter bestehen kann, wenn sich keine tragfähigen Geschäftsmodelle herausbilden.“

Barbara Müller von der BMW-Stiftung berichtet: „Wie groß die Krise ist, erkennen wir an den vielen Förderanträgen von Journalisten.“ Immer wieder würden auch neue Redaktionskonzepte an sie herangetragen – und sie verweist auf das Magazin „enorm – Wirtschaft für den Menschen“, dessen Gründung die Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik unterstützt hat; oder auf die Stuttgarter Wochenzeitung „Kontext“, die heute vom früheren Daimler-Chef Edzard Reuter finanziert wird – und die der „taz“ im Südwesten beiliegt.

Auch Jens Rehländer, Kommunikationschef der Volkswagenstiftung, appelliert an die Verantwortung der großen deutschen Stiftungen: „Zur Krise des Journalismus sind wir bislang eine Position schuldig geblieben.“

Rehländer, der früher Redakteur von „Geo“ war, beobachtet vor allem den Wissenschaftsjournalismus: Dieser werde immer unseriöser, vor allem in den Regionalmedien. „Zukunftsdisziplinen, wie etwa der Datenjournalismus, sind hierzulande kaum verbreitet.“ Er skizziert ein mäzenatisches Netzwerk von Stiftungen, in dem jede Partei die Förderung eines Ressorts übernehmen könnte: Außenpolitik, Wirtschaft, Wissenschaft. Doch er betont auch: „Der Weg ist noch weit. Wir großen Stiftungen reden miteinander und ich glaube, dass einige den Beispielen im Ausland, vor allem in den USA, folgen werden.“

Müller stellt unterdes klar: „Die Rettung des Journalismus kommt mit Sicherheit nicht aus unserem Sektor.“ Ein Grund dafür sei, dass strategische Beteiligungen an Unternehmen rechtlich unmöglich sind: Sie werden immer als riskant eingestuft, und Stiftungen dürfen ihr Kapital grundsätzlich nicht aufs Spiel setzen. Sie können nur Überschüsse ausschütten. Umso mehr müsse man individuelle Journalisten und neue Ideen mit Stipendien fördern – „auch, um die Ergebnisse danach wieder in die Verlage hineinzutragen“.

Das Angebot an Stipendien für deutschsprachige Journalisten ist groß. Zahlreiche Stiftungen, nicht nur die pressenahen, und auch Vereine wie Netzwerk Recherche, IJP oder „Investigate!“ bieten erstklassige Förderprogramme an. Holger Wormer, Professor an der Universität Dortmund und Co-Betreiber von mediendoktor.de, ist überzeugt, dass sie das Niveau des Journalismus schon heute stützen. Sie werden oft von Unternehmen, Stiftungen und Ministerien kofinanziert.

Vorsicht vor falschen Freunden

Das führt zur Frage der Einflussnahme: Überall, wo die Misere des Journalismus als „strategische Chance“ erkannt wird, treten PR-Strategen auf den Plan, die die Situation ausnutzen wollen. Je mehr Journalisten in die Abhängigkeit von Sponsoren geraten, desto mehr besteht die Gefahr, dass Redaktionen die Selektionshoheit über ihre Themen verlieren. Wie sehr dann Interessenpolitik eine Rolle spielt, lässt sich kaum genau einschätzen – aber es ist natürlich Vorsicht geboten, wenn etwa in Frankfurt Finanzmanager über einen Plan beraten, die FAZ zu retten, falls sie in die roten Zahlen rutscht.

Dass der Staat auch eine Rolle spielen könnte, will Marc Jan Eumann, SPD-Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen, zeigen. Im Koalitionsvertrag mit den Grünen brachte er „die Einrichtung einer Stiftung für, Vielfalt und Partizipation‘“ ein. Diese solle „Qualität, Unabhängigkeit und Vielfalt bei der Produktion von Medieninhalten in NRW sicherstellen“. Eumann will dafür Einlagen von Unternehmen und anderen Stiftungen gewinnen und unterstrich jüngst gegenüber dem „Spiegel“ „das Gebot der absoluten Staatsferne“. Unfreiwillig erinnert das an frustrierende Debatten über die Staatsferne öffentlich-rechtlicher Anstalten.

„Es ist kurios, dass ausgerechnet eine Landesregierung den freien Journalismus retten will“, kritisiert Hans-Peter Siebenhaar vom „Handelsblatt“ in Düsseldorf.

Was ausländische Beobachter an
Deutschland oft überrascht, ist die zunehmende Asymmetrie in der wirtschaftlichen Ausstattung privater und öffentlich-rechtlicher Medien – und der Zwei-Klassen-Journalismus, der daraus entsteht. Liegt nicht bei ARD und ZDF eine weitere Alternative zur Rettung – als Alternative zum Mäzenatentum? Wäre es möglich, einen neuen gesellschaftlichen Konsens für die Verwendung von acht Milliarden Euro Gebührengeldern zu erreichen, um eine Stiftung für die Produktion von gutem Journalismus zu schaffen – anstatt nur für das Senden von Fernsehen und Radio?

Patrice Schneider und Michael Maness sind skeptisch, ob Stiftungen der Herkulesaufgabe letztendlich gewachsen sind. Maness erklärt, warum: „Dem Qualitätsjournalismus in den USA stehen heute 3,5 Milliarden Dollar weniger zur Verfügung als vor zehn Jahren – dagegen sind auch wir nur Zwerge.“

Peter Littger

ist Deutschland-Direktor der internationalen Beratung Innovation Media Consulting und Journalist (früher u. a. bei „Zeit“, „Cicero“ und FTD).

littger@ innovation-mediaconsulting.com

Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 48 bis 48 Autor/en: Peter Littger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.