Was hat Sie dazu bewogen, Ihr neues Buch nicht in einem traditionellen Verlag, sondern nutzerfinanziert selbst zu verlegen?
Dirk von Gehlen: Das Buch handelt davon, wie die Digitalisierung unsere Vorstellung von Kunst und Kultur verändert. Es will beschreiben, wie sie verflüssigt wird, wie nicht nur das Endergebnis, sondern auch der Entstehungsprozess Bedeutung erlangt. Das will ich nicht nur beschreiben, sondern selber zeigen. Deshalb erschien es mir konsequent, „Eine neue Version ist verfügbar“ ganz auf eigene Faust zu starten. Auch, weil ich so am meisten aus diesem Experiment lernen kann.
Erfolgreich crowdfinanzierte Projekte von Journalisten sind noch selten. Woran liegt das?
Ich habe das an mir selbst bemerkt: Man kennt Crowdfunding schon lange, aber man denkt nicht, dass man es selber nutzen könnte. Ich bin erst durch die Idee zu dem Buch darauf gekommen, es auszuprobieren. Vielleicht mangelt es den Journalisten an dem Mut zum Experiment? Vielleicht haben Verlage noch nicht bemerkt, dass darin auch für sie eine Chance liegen kann? Ich weiß es nicht.
Ich weiß aber, dass Crowdfunding immer auch mit der sehr unschönen Option des Scheiterns verbunden ist. Wenn ein Manuskript bei einem Verlag durchfällt, bemerkt das öffentlich niemand. Man sucht sich einen neuen Verlag. Wenn ein Crowdfunding-Projekt scheitert, geschieht das auf offener Bühne. Das wird dann schnell als Fehler oder Schwäche interpretiert.
Ich habe mich vor meinem Experiment auch damit befasst und glaube, dass wir das Experimentieren an sich viel höher gewichten sollten. Auch wenn etwas nicht klappt, kann es unfassbar lehrreich sein. Wir erleben gerade eine grundlegende Veränderung durch die Digitalisierung, jeder Versuch, diese zu gestalten, bringt uns weiter – selbst wenn er scheitert.
Wie erklären Sie sich, dass „Eine neue Version ist verfügbar“ schon in wenigen Tagen die erforderliche Mindestsumme von Unterstützern erreicht hatte?
Es ist eine Sammlung unterschiedlicher Gründe: Zum einen hat es damit zu tun, dass ich schon zu dem Thema publiziert habe. Ich schreibe in der SZ über die Digitalisierung und habe 2011 bei Suhrkamp das Buch „Mashup“ veröffentlicht. Zudem gibt es Menschen, die mir auf Twitter folgen und mein Blog lesen. Das allein hätte aber nicht gereicht. Wichtig war, dass relativ schnell eine Gruppe an Menschen erkennbar war, die das Projekt unterstützen. Diese Gruppe war der entscheidende, der soziale Faktor bei dem Projekt. Jeder, der überlegt, ob er mitmachen soll, kann auf der Unterstützer-Seite nachlesen, wer schon dabei ist. Das ist ein bisschen wie bei einem Konzert: Wenn man sieht, dass da sympathische Leute vor der Bühne stehen, stellt man sich dazu – und dabei ist fast egal, wer dann auf der Bühne steht. Und ein Grund ist – so hoffe ich als derjenige, der auf der Bühne steht, jedenfalls –, dass das Thema interessiert. Wir diskutieren die Digitalisierung meist aus einer Abwehrhaltung heraus. Ich möchte mit „Eine neue Version ist verfügbar“ auch ergründen, welche Chancen für Kreative darin liegen, dass Inhalte von ihrem Datenträger gelöst werden und leicht verbreitet werden können.
Im Begleitvideo zum Buchprojekt betonen Sie, dass Ihre Unterstützer regelmäßig Rohversionen Ihres Buches zu sehen bekommen werden. Wie wichtig ist diese Offenheit gegenüber den Nutzern für den Erfolg?
Es ist die Grundidee des Buches: dass der Entstehungsprozess Bestandteil des Produkts ist, dass ich als Konsument nachvollziehen kann, wie ein Kulturprodukt entsteht. Ich weiß nicht, wie dieses Angebot angenommen wird. Ich weiß nicht, ob das für die Leser und für mich toll oder eher anstrengend ist. Ich weiß aber, dass es durch die Digitalisierung erstmals in der Menschheitsgeschichte möglich ist, den Entstehungsprozess von Kultur quasi live zu dokumentieren und auch zu diskutieren. Und diese Möglichkeit möchte ich nutzen, weil ich glaube, dass wir daraus lernen können.
Sind Autoren, die sich so früh nicht so gern über die Schultern schauen lassen wollen, bei dieser Form des Veröffentlichens chancenlos?
Diese Form des Veröffentlichens basiert ja genau auf der Transparenz der eigenen Arbeit, schon im Betastadium. Wer das nicht mag, sollte es vielleicht eher lassen. Grundsätzlich denke ich, dass es zunächst entscheidend ist, ob jemand eine gute Autorin oder ein guter Autor ist. Die Frage jedoch, was gut ist, wird sich je nach Leserschaft verändern. Vielleicht gibt es in naher Zukunft Leserinnen und Leser, die es zu schätzen wissen, dass ein Autor seinen Schreibprozess offenlegt. Vielleicht wird es Fans geben, die dafür bezahlen, dass eine Band einen Einblick in ihr Studio gewährt. Ich weiß es nicht.
Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass noch sehr lange auch die ganz klassischen Modelle funktionieren werden. Das macht es ja so schwierig. Wir haben eine Situation, in der unterschiedliche Modelle parallel funktionieren. Deshalb sollte man sich hüten, das eine für richtig und das andere für falsch zu halten.
Ist es einfacher, Unterstützung für ein bekanntes und in sich abgeschlossenes Format wie ein Buch zu bekommen als für ein noch unbekanntes und fortlaufendes Projekt, z. B. eine neue journalistische Plattform?
So wie ich das Buch zu interpretieren versuche, ist es auch ein fortlaufendes Projekt. Es hat einen Endpunkt (hoffentlich im Mai 2013), aber bis dahin wird es prozesshaft dargestellt. Wichtig ist aber, dass es einen Endpunkt hat – in dem Fall ein gedrucktes Buch, das sogar in einer limitierten Edition mit individualisierten Covers erscheint. Das ist eine Besonderheit, die dem Projekt einen Wert verleiht. Ich glaube auch fortlaufende journalistische Projekte sollten sich daran orientieren, Ziele zu definieren und greifbare Produkte zu schaffen. Diese können helfen, die Kraft der Gruppe, die ich oben beschrieben habe, zu stärken.
Kann Crowdfinanzierung eine wichtige Säule für anspruchsvollen Journalismus werden?
Vielleicht. Ich kann es nicht bzw. noch nicht beurteilen. Ich weiß aber, dass sich quasi unter unseren Füßen gerade ganz viel verändert. Dass die klassischen Finanzierungsmodelle von Journalismus sich verschieben. Auch deshalb habe ich das Experiment gestartet. Weil ich glaube, dass wir zunächst die Denkmodelle von digitaler Kultur verstehen müssen, um darauf Geschäftsmodelle aufbauen zu können.
Wenn die Digitalisierung Kultur zu Software macht, müssen wir sie vielleicht auch so denken – eben auch in der Finanzierung. Da kann dann Crowdfunding eine Rolle spielen, wenn auch zunächst nur eine kleine. Man kann daraus aber in jedem Fall lernen, warum Menschen bereit sind zu zahlen.
Das ist ja immer ein Argument gegen das Netz, dass dort eine Umsonst-Mentalität herrsche. Mich ärgert das stets ein wenig, weil ich glaube, dass es kein Mentalitätsproblem ist, sondern eine veränderte technische Realität, die auch eine Veränderung unseres Auftretens nach sich zieht. Vielleicht müssen Journalisten allgemein klarer machen, wofür man sie bezahlen soll.
Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 46 bis 46 Autor/en: Interview: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.