Luxusrecherchen im Wirtschaftsressort

Dürfen sich Journalisten von Unternehmen und Verbänden einladen lassen – zu Reisen in Firmenjets, zu Übernachtungen in Fünf-Sterne-Hotels, gar in einer Luxus-Lodge in einem Nationalpark, all das bloß für Hintergrundgespräche oder die rasche Besichtigung eines Firmenprojekts? Sind Einladungen überhaupt mit unabhängigem Journalismus in Einklang zu bringen? Seit die „Welt“ Mitte November über hochpreisige Reisen von ThyssenKrupp mit Journalisten berichtet und etwa die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Frankfurter Allgemeine“ benannt hat, diskutiert die Branche, was geht – und was nicht.

„In der ersten Klasse zu reisen ist nicht in Ordnung“, sagt Carsten Knop, der die Unternehmensberichterstattung leitet, und betont: „Das ist aber auch keinesfalls üblich.“ Die Redaktion habe dennoch entschieden: „Künftig werden wir zu Reisen, zu denen wir eingeladen wurden, Transparenz schaffen.“

Los ging es damit offensichtlich, als die Redaktion die Anfrage der „Welt“ ereilte. Bereits Anfang November fanden sich Hinweise unter den Texten, zunächst in Klammern, etwa: „(Diese Reise wurde von der KfW finanziert.)“, nach wenigen Tagen aber direkt im Quellenhinweis des Fließtextes. Diese Hinweise lesen sich nicht wie eine hässliche Pflichtmitteilung.

In einem Bericht über den Plan des Reisekonzerns TUI, in Zukunft vermehrt auf exklusive Hotels zu setzen, hieß es noch im ersten Absatz unmittelbar nach dem in Dubai verorteten Zitat eines TUI-Managers: „In dieses Emirat hatte das Unternehmen eingeladen, um sein Sommerprogramm 2013 vorzustellen.“ Im zweiten Absatz einer Geschichte über den Versuch, im Kaukasus Skigebiete zu etablieren, hieß es wiederum: „Um potentiellen Investoren und Gästen im Ausland die Zweifel zu nehmen, hat NCR deshalb eine Gruppe von Journalisten zu einem Ortsbesuch eingeladen.“

Ressortleiter Knop betont, dass diese Formulierungen keine Feigenblätter seien. „Das ist nichts Vorübergehendes, sondern ein neuer Standard“, sagt er. „So bleibt das jetzt.“ Überdies gehe er nicht davon aus, dass diese Hinweise die Geschichten schwächen: „Sie stärken unsere Berichte sogar. Wir machen damit schließlich auch zum Thema, warum einem Unternehmen an einer Berichterstattung gelegen ist und es deshalb überhaupt Journalisten einlädt.“

Dazu passt auch eine neue pauschale Notiz auf den Technikseiten von FAZ und der „Sonntagszeitung“: Ein Redaktionshinweis klärt dort seit Mitte November darüber auf, dass „ein Teil der in Technik und Motor besprochenen Produkte der Redaktion von den Unternehmen zu Testzwecken zur Verfügung gestellt oder auf Reisen, zu denen Journalisten eingeladen, präsentiert wurden“.

Jörg Eigendorf hat das Ganze für die „Welt“ aufgedeckt, er ist Leiter der Investigativeinheit des Blatts. Er räumt auch ein, in früheren Jahren selbst an „sehr wenigen“ Pressereisen teilgenommen zu haben – allesamt „wenig effizient verbrachte Zeit, weil man meist sowieso nur mit den Kollegen zusammen ist“. Eigendorf, der zuvor das Wirtschaftsressort der „Welt“ leitete, hatte bei seinem Bericht bewusst auf die Namen der luxusreisenden Autoren verzichtet. „Das ist ein Thema, das unsere ganze Branche angeht“, erklärt er. „Da wäre es aus meiner Sicht nicht fair, einzelne Kollegen ins Rampenlicht zu ziehen, auch wenn man da durchaus anderer Meinung sein kann.“

Er selbst sehe zudem einen Spielraum für Journalistenreisen, die nicht die Medienhäuser bezahlen, sondern die Einladenden. „Wenn ein Unternehmen Journalisten eine wichtige Produktionsstätte zehn Flugstunden entfernt zeigen will, dann meinetwegen“, sagt Eigendorf, der auch Mitglied der Chefredaktion ist. „Aber es sollte nicht Erste Klasse sein und auch nicht die Singita Lebombo Lodge am Kruger National Park.“

Eigendorf fordert zudem Transparenz, wie sie die FAZ nun eingeführt hat: „Das steht ja übrigens auch im Pressekodex, den einige renommierte Zeitungen offenbar Tag für Tag verletzen“, sagt der Enthüllungsjournalist, dessen Verlag diese Transparenz nicht zuletzt auch arbeitsrechtlich einfordert: Die „Journalistischen Leitlinien der Axel Springer AG“ fordern von den Mitarbeitern, „dass alle Kosten (Reisekosten, Bewirtungen etc.), die im Zusammenhang mit Recherchen entstehen, grundsätzlich durch die Redaktion übernommen werden“. Ausnahmen müssen genehmigt und kenntlich gemacht werden.

Wie sieht das beispielsweise bei der SZ aus, die mit im Zentrum von Eigendorfs Kritik stand? Wirtschaftschef Marc Beise hatte der „Welt“ dazu mitgeteilt, dass die Reise in der ersten Klasse „völlig unangemessen“ war. Will sie künftig Transparenz als Standard? Beise und auch seine Chefredaktion antworten auch auf wiederholte Anfrage nicht.

Doch was ist eigentlich, wenn die Geschichten zugeliefert werden? Eigendorf betont, externe Mitarbeiter würden auf die Leitlinien hingewiesen, seine Redaktion übernehme Kosten. Auch „Spiegel Online“ arbeitet so, erklärt Chefredakteur Rüdiger Ditz: „‚Spiegel Online‘ zahlt alle Recherchekosten selbst, also auch Reisen.“ Das gelte „gleichermaßen“ für beauftragte freie Mitarbeiter. Bei Neuen frage die Redaktion, wie Geschichten entstanden seien, bei langjährigen Freien sei ein „Vertrauensverhältnis“ gewachsen.

Und sonst? Frage an die „Weltreporter“, ein Netzwerk freischaffender Reporter im Ausland, ob Redaktionen Flüge, Bahnfahrten und Übernachtungen zahlen: „Wir stellen bei internen Gesprächen leider immer wieder fest, dass Medien vielfach nicht bereit sind, für Reisekosten aufzukommen, aber trotzdem Geschichten aus allen Ecken der Welt wollen“, sagt Clemens Bomsdorf in Dänemark. „Diese fehlende Zahlungsbereitschaft schließt erstaunlicherweise den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit ein.“

Die „Weltreporter“ verteufeln jene Pressereisen auch nicht: „Schließlich gibt es viele Reisen, die hilfreich und informativ sind und keine Werbetouren“, sagt Bomsdorf. „Selbstverständlich ist, sich nicht vorschreiben zu lassen, was und wen man fragt, und stets noch Quellen heranzuziehen, die nicht auf dem Tablett präsentiert werden.“ Daniel Bouhs

Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 11 bis 11. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.