Riskante Gemeinschaft

Zwei Zeitungen kollabieren, und schon regnen Pech und Schwefel über die gesamte Branche. Der Jammer ist groß, die Sorgen noch größer. Wen trifft es morgen? Auch Niederlagen haben viele Väter, aber wer mag am offenen Grabe darüber reden? Die Zeitungen haben wenig gemeinsam, aber eines doch: Sie suchten neben den üblichen Sparmaßnahmen die Rettung in Redaktionsgemeinschaften, wollten jeweils in einem Pool die verbliebenen Kräfte bündeln, also mit weniger Redakteuren Niveau und Anspruch halten. Nun, das hat nicht geklappt. Das berührt einen heiklen Punkt, denn in vielen Verlagshäusern werden diese Pool-Strukturen schon praktiziert oder entstehen gerade. Ein Irrweg?

Die „Financial Times Deutschland“ fiel in ein anderes Loch. Gegründet in einer Zeit, als die Börsen das Paradies auf Erden versprachen und jederman dabei sein wollte. Der Rausch verflog. Die Freizeit-Börsianer wendeten sich verschreckt ab. Die wirklichen Finanzexperten leben ohnehin längst in der Jetzt-Welt des Internets. Die „Frankfurter Rundschau“ wiederum wollte durch den Pool mit der „Berliner Zeitung“ einen überregionalen Anspruch halten, den sie aber schon lange nicht mehr hatte. Das war durchaus ehrenvoll, selbst wenn es scheiterte.

Also: Pools oder Redaktionsgemeinschaften helfen einem wirklich Kranken nicht auf die Beine. Das Konzept muss stimmen. Wer einen Pool nur als Rationalisierung sieht, verschiebt seine Probleme um ein oder zwei Jahre und steht dann vor einem viel größeren Berg an ungelösten Fragen. Eigentlich betrifft dieses Thema nur die Regionalverlage. Die meisten Häuser besitzen heute mehrere Zeitungen, und die Konzentration ist noch längst nicht abgeschlossen. Dadurch entstanden völlig neue Herausforderungen und Chancen. Madsack, DuMont oder die „Rheinische Post“ regieren heute über ein Imperium, das vor 20 Jahren undenkbar war. Über diesen Trend muss sich keiner beunruhigen. Die Häuser wissen, wie man die jeweilige regionale Kompetenz erhält, und durch ihre neue Größe können sie die Investitionen im IT-Bereich besser stemmen. Über die Zusammenlegung im technischen Bereich oder im Finanzwesen müssen wir hier nicht reden. Auf jeden Fall können sie höchst effektiv sein und geben eine solide Chance für die Zukunft der Branche. In den Redaktionen ist das schon schwieriger, da die Unabhängigkeit der verschiedenen Blätter und ihre regionale Kompetenz berührt wird. Was geht, und wovon sollte man lieber die Finger lassen?

Pro & Contra Pool-Lösungen

Hier ein paar positive Beispiele: Als DuMont den Berliner Verlag kaufte, wurden bei den drei regionalen Boulevard-Zeitungen in Berlin („Kurier“), Köln („Express“) und Hamburg („Morgenpost“) mehrere Bereiche zusammengelegt. So produziert die meisten Servicethemen Berlin, die Internetseiten steuert Köln und das Vermischte wird von Berlin komplett nach Hamburg geliefert. Jede der drei Zeitungen wäre für sich zu klein, um diese wichtigen Ressorts selbst zu gestalten. Die Chefredakteure können sich stärker auf die regionale Berichterstattung konzentrieren – da, wo die Musik spielt.

Die Umstellung war anfangs nicht einfach. Wer lässt sich gern die Hoheit über das eigene Blatt einschränken? Die Abstimmung geschieht täglich in einer Telefonkonferenz. Was beim Start oft noch irritierend war, läuft heute routiniert. Die Kompetenz nahm deutlich zu. Die Zeitungen kommen leichter an Interviews heran, da sie eine größere Reichweite bieten. Das funktioniert aber nur, wenn die Chefredakteure in ihrer eigenen Region nicht an Pool-Lösungen gebunden sind.

Auch der Pool der WAZ-Gruppe hat sich bewährt, die Einführung war überfällig. Die Region hat eine gemeinsame Identität und die Menschen, also die Leser, nehmen die Angebote von Sport, Freizeit oder Kultur im Zeitalter der Mobilität längst in der ganzen Region wahr. Sträflich, wenn die Medien diesen Trend nicht berücksichtigen würden.

Schwieriger wird es, wenn Zeitungen mit unterschiedlichem Charakter verbunden werden. Mag sein, dass der schwierige Berliner Markt solche Notlösung erfordert. Die Zusammenlegung der Welt-Gruppe mit der „Berliner Morgenpost“ jedoch schaffte mehr Irritationen als Vorteile – zumindest für den Leser. Wer beide Zeitungen liest, liest viele Artikel doppelt. Das ärgert, vor allem, weil die „Morgenpost“-Leser aus einer anderen Schicht kommen als die „Welt“-Leser. Noch weniger lässt sich nachvollziehen, warum in diesen Pool nun auch das „Hamburger Abendblatt“ einbezogen wird. Hamburg gilt heute als ein wirtschaftliches Kraftfeld mit eigenem Rhythmus und dem Stolz einer hanseatischen Stadt. Sind die Rationalisierungseffekte wirklich so groß, um die anderen Risiken in Kauf zu nehmen? Die meisten Medienhäuser werden in nächster Zeit auch die Berichterstattung aus der Hauptstadt in einen Pool einbringen. Auf den ersten Blick klingt das vernünftig. In einer größeren Einheit können sich die Korrespondenten besser vertreten, vielleicht entsteht auch eine größere Kompetenz. Misstrauen ist angebracht. Schon heute liegt die Routine der politischen Berichte oft wie Meltau auf den Blättern, lädt zur Langeweile ein. Da wirkt oft frischer, was die Agenturen kurz und knapp berichten.

Die Medienlandschaft verändert sich. So entsteht auch Neues. Wunderbar. Denn davon lebt die Branche – nicht vom Zaudern und Jammern.

Claus Larass (69)

ist Publizist und lebt in Berlin. Er war u. a. Chefredakteur von „Bild“, Vorstand bei Axel Springer AG und ProSieben AG und hat als Aufsichtsratsmitglied mehrere Jahre den Verlag DuMont Schauberg beraten.

Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 26 bis 26 Autor/en: Claus Larass. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.