Viel Candy für Claudi

In der Transparenzgesellschaft sind es Politiker gewöhnt, dass sie von allen Seiten massiv unter digitalen Beschuss genommen werden. Im Social Web kann es jedoch auch anders kommen, wie man zuletzt gesehen hat: Claudia Roth, die Parteisprecherin der Grünen, ist nach ihrem verlorenen Kampf um ihre Spitzenkandidatur für den Bundestag in einen „Candystorm“ geraten, über den zahlreiche Medien berichtet haben.

In einer Urwahl der Grünen hatte Claudia Roth mit großem Abstand gegen Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt verloren. Als unklar war, ob die Spitzengrüne dennoch weiterhin für ihr altes Amt kandidieren will, haben einige in der Grünen Partei massiv auf Twitter um und für sie geworben. In einem Anti-Shitstorm meldeten sich zahlreiche Sympathisanten, die verhindern wollten, dass sie politisch aufgibt. Roth erhielt Hunderte von positiven E-Mails sowie im Social Web zahlreiche Lobesbekundungen für ihre Arbeit. So waren allein am Abend nach Roths Niederlage gegen Göring-Eckardt mehr als 1.000 Twitterbeiträge mit den Hashtags #claudia2moreyears oder #claudiamussbleiben veröffentlicht worden.

Das blieb nicht ohne Wirkung. Claudia Roth gab kurz darauf ihre erneute Kandidatur für den Parteivorsitz bekannt. Bei ihrer Begründung verwies sie in einer Pressekonferenz auf die Twitter-Kampagne: „Besonders berührt hat mich etwas, was ich bisher nicht kannte: ein Candystorm.“ Einige ihrer Parteifreunde hatten sich am Sonntag massiv auf der Mikroblogging-Plattform für die Parteichefin eingesetzt. Der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck stellte seinen rund 26.000 Twitter-Followern die Frage: „Wie nennt man das Gegenteil eines Shitstorms?“ Dabei entschied sich Beck schnell für den #candystorm als Alternative zu einem #lovestorm oder #flauschstorm.

Letzteres hatte die Piratenpartei intensiv genutzt, um die eigene politische Streitkultur zu verbessern, die immer wieder in die Kritik geraten war. Doch die Piratenpartei ist nach Sicht des Landtagskandidaten der Bayern-Grünen Thomas Pfeiffer in letzter Zeit vor allem dadurch aufgefallen, dass sie in Shitstorms über andere herzieht und sich der Bundesvorstand gegenseitig zum Rücktritt auffordert. Er sagt: „Die positiven Seiten der sozialen Medien werden von den Piraten kaum genutzt. Mit ein paar inhaltsleeren Flausch-Tweets reißen sie das Ruder auch nicht herum.“

Der Candystorm zeigt nach Ansicht von Volker Beck auf, wie Politiker Twitter konstruktiv nutzen können. Gegenüber der Nachrichtenagentur dapd war er sich sicher: „Wir haben ein bisschen Twittergeschichte geschrieben und machen gleichzeitig Parteigeschichte.“

Sehr stark unterstützt hat diesen Candystorm der Grüne Pfeiffer. Er setzte ein Twitter-Mosaik für Roth auf, auf dem zahlreiche Avatare der Candystorm-Twitterer zu erkennen sind. Auf diese Weise ist ein Bild der alten und neuen Grünen-Bundesvorsitzenden entstanden.

Den Erfolg des Candystorms erklärt sich Pfeiffer so: „Claudia Roth ist in unserer Partei überaus beliebt. Die Urwahl war ihre Idee, jetzt ist sie tragisch daran gescheitert. Twitter ist als Medium viel schneller als Facebook. Die meisten wollen sich öffentlich positionieren und ihre Meinung laut sagen. Für virale Effekte ist die Retweet-Funktion besser geeignet als die schwerfällige, Teilen‘-Funktion bei Facebook.“

Auf Twitter zählt letztlich nur der Moment. Wer eine Aktion auf dieser Plattform zum Erfolg führen will, sollte seine Leser erstaunen, emotional berühren, einen Mehrwert bieten und auf 140 Zeichen zum Teilen oder Retweeten verführen. Wie das Beispiel Claudia Roth zeigt, kann es sich hierbei auch um positive Inhalte handeln.

Klaus Eck ist PR-Blogger und hat mit „Transparent und glaubwürdig“ ein neues Buch vorgelegt.

ke@eck-kommunikation.de

TIPPS

So geht politisches Agendasetting:

01 Täglich mehrfach twittern.

02 Eine eigene Followerschaft aufbauen.

03 Dialog mit Influencern.

04 Eindeutige Hashtags setzen.

05 Mit pointierten Ideen auf sich aufmerksam machen.

06 Texte posten, die kurz, prägnant und leicht retweetbar sind.

Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 77 bis 77 Autor/en: Klaus Eck. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.