Wahlkampf heißt: Twittern

2. LOS ANGELES. Die Zukunft von Wahlberichterstattung und Wahlkampfstrategie liegt in den sozialen Medien. Das haben die US-Präsidentschaftswahlen endgültig bewiesen. Weltweit posteten laut Onlinemarketing-Dienst Experian Hitwise von rund 500 Millionen aktiven Facebook-Fans über 300 Millionen während der Stimmenauszählung Kommentare, Fotos und Videos. Über elf Millionen Nutzer twitterten über Prognosen und Ergebnisse. Sie brachen aus in spontane Glücks- und Rachebekundungen, als der Sieg von Barack Obama verkündet wurde. Sie machten sich lustig über die lallende ABC-Moderatorin Diane Sawyer, die müde überm Schreibtisch hängend von „President Barack“ sprach, und über den republikanischen Strategen Karl Rove, der auf Fox-News Obamas Sieg in Ohio nicht akzeptieren wollte. Durchschnittlich schickten sie in der Nacht 11.000 Tweets pro Minute in die Welt. Nach Bekanntgabe des Obama-Sieges waren es sogar 325.000.

Neben den blitzschnellen, witzigen und politisch unkorrekten Kommentaren auf Twitter und Facebook wirkten TV-Analysten übervorsichtig, konservativ und langsam, obwohl sie auf allen Kanälen mit Hilfe von Tablet-Computern Statistiken, Analysen und Grafiken mitten ins Studio zauberten, als seien sie Tom Cruise in „Mission Impossible“.

Der wiedergewählte Präsident bedankte sich folgerichtig zuerst via Twitter bei Wählern und Wahlhelfern. Obamas später hinzugefügtes Foto von ihm und der First Lady samt der Zeile „Four more years“ wurde zum beliebtesten Tweet aller Zeiten mit mehr als 800.000 Re-Tweets. Auf Facebook bekam das Foto über vier Millionen „Gefällt mir“-Klicks.

Soziale Medien sind unverzichtbare Voraussetzung für den Wahlsieg geworden. Während des Wahlkampfs müssen Kandidaten und ihr Team pausenlos online aktiv sein. Traten Strategen bei Wahlkampfdebatten früher nur davor und danach vor die Presse, tippten sie nun im Minutentakt Tweets. Bis zur Schließung der Wahllokale an der US-Westküste twitterten sie Durchhalteparolen an Wähler vor den Wahllokalen und stellten Fotos und aktuelle Informationen auf Facebook.

Bei so viel schneller Aktivität geht natürlich auch manchmal etwas schief. Der „Cincinnati Enquirer“ beispielsweise vermeldete in der Wahlnacht, Mitt Romney liege in Ohio in Führung. Die Redaktion hatte nicht bemerkt, dass sie auf einer Übungsseite für Journalisten gelandet war, die mit fiktiven Grafiken die Wahlnacht simulierte.

Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 14 bis 14. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.