Zeit für Selbstkritik

Grabesreden klingen oftmals hohl, schließlich soll man über Tote nichts Schlechtes sagen. Bisweilen wirken sie auch verzweifelt, wenn die Grabredner spüren, das Siechtum habe auch sie erfasst.

Das hört man den Berichten über die sterbenden Printtitel derzeit an, egal ob bei der „Frankfurter Rundschau“, insolvent und wohl bald eingestellt, oder bei der „Financial Times Deutschland“ (FTD), für die Gruner+Jahr das Sterbeglöcklein läutete.

Jetzt kullern also die Krokodilstränen. Gabor Steingart, Chefredakteur des „Handelsblatt“, sieht mit dem Verlust der beiden Zeitungen die „publizistische Vielfalt schwinden“. Wirklich überzeugend ist sein Lamento nicht, war doch die FTD sein bissigster Wettbewerber. Dabei strotzt das „Handelsblatt“ auch nicht unbedingt vor Kraft – es leidet wie alle anderen Blätter unter kostenlosen Internetnachrichten und Anzeigenschwund.

Das Verschenken von Informationen und Nachrichten haben die Verleger selbst zu verantworten. Und für die missliche Lage beim Anzeigengeschäft sieht Steingart tatsächlich die Wirtschaft in der Pflicht: „Wir sollten mit den Verantwortlichen in den Unternehmen darüber reden, auch in ihrem Interesse.“ Gefolgt vom üblichen Satz über die Pressevielfalt, ohne die es keine Demokratie gebe.

Selbstkritischer ist da schon Giovanni di Lorenzo, der die „lustvolle und unheilvolle“ Selbstdemontage der Branche beklagt. Verleger und Journalisten gefielen sich in ihrer Rolle, die gedruckte Zeitung madig zu machen und das digitale Medium zu preisen. Den zahlenden Lesern signalisierten sie damit, dass ihr Obolus für die Papierzeitung einem Auslaufmodell gelte.

Die Analyse des „Zeit“-Chefredakteurs ist fraglos richtig, wenn auch hinlänglich bekannt; verändert hat sie das Verhalten der Zeitungsleute trotzdem nicht. Steingarts Appelle an die Bürgerpflicht der Unternehmer dagegen sind ein Verzweiflungsakt: Noch nie haben Firmen Anzeigen geschaltet, weil sie damit die Demokratie stützen wollten.

Selbstzweifel? Fehlanzeige

Nein, der Königsweg muss eine andere Richtung nehmen. Vielleicht fragen sich die Chefredakteure und ihre angestellten Journalisten einmal ernsthaft, ob sie noch den Nerv einer nach Orientierung suchenden Gesellschaft treffen und damit ihre Leser erreichen. Greift nicht schon längst Verdruss über die abstoßende Boulevardisierung der Zeitungen um sich? Liegt nicht in unzulässigen Zuspitzungen von an sich „gewöhnlichen“ Ereignissen bereits der Keim für die wachsende Distanziertheit gegenüber den Medien?

Leser haben ein sehr sensibles Gespür für Übertreibungen, die allein der Skandalisierung dienen. Wenn die Wortwahl mit den Fakten nicht korrespondiert, stirbt die Glaubwürdigkeit zuerst. Und die FTD hat gerne zugespitzt, messerscharf und zuweilen verletzend geurteilt, auch vorverurteilt. Sie hat, wie viele andere Blätter, einen moralischen Rigorismus an den Tag gelegt, der sich in der Lebenswirklichkeit nicht abbildete.

Journalisten neigen dazu, sich als unfehlbare Richter auszugeben. Das sind sie aber nicht – und diese Fehlbarkeit vermitteln sie dem Leser nicht. Selbstzweifel ist keine Tugend in den Redaktionsstuben, Überheblichkeit schon eher.

Wenn Zeitungen in demokratischen Gesellschaften eine unverzichtbare Rolle beanspruchen, dann müssen sie dieses Versprechen einlösen. Mit sensationslüsterner Skandalisierung brechen sie diese Vereinbarung. Der fragwürdige Scoop hat für den Leser nicht annähernd die gleiche Bedeutung wie für den Journalisten. Ein Scoop ernährt vielleicht den Schreiber, aber seine Zeitung wird davon nicht satt. Die Forderung von Steingart nach einem „Gesellschaftsvertrag“ mit den „Verantwortlichen in den Unternehmen“ verwechselt jedenfalls Ursache und Wirkung.

Die FTD wollte frischen Wind in die Wirtschaftspresse bringen. Das tat sie – und ist gescheitert. Ihr aggressives Konzept wird jetzt beerdigt. Ein Verlust? Ja, aber keine Katastrophe. Das „Handelsblatt“ war erfolgreich, als es noch „bräsig“ daherkam. „Bräsig“ stand für langweiligen, aber glaubwürdigen, informativen Journalismus.

Vermutlich ist das doch eher die Kost, die Leser schätzen: Journalismus ohne permanente Ritualschlachtungen, ohne mahnende Zeigefinger und ohne anmaßende Belehrungen.

Besserwisser sind Nervensägen. Publizistische Besserwisser allemal. Und für Nervensägen zahlt man nicht auch noch.

Anton Hunger (64)

ist Journalist und war 17 Jahre lang Kommunikationschef der Porsche AG. Heute betreibt er das Kommunikationsbüro „publicitas“ in Starnberg. Er ist außerdem Mitgesellschafter des Wirtschaftsmagazin „brand eins“ und schreibt die „Hunger-Kolumne“ für „medium magazin“.

Erschienen in Ausgabe 12/202012 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 28 bis 28 Autor/en: Anton Hunger. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.