Brüsseler Spitze

Kaffee brüht Rolf-Dieter Krause seinen Besuchern selbst. Dass die Maschine auf seinem Schreibtisch nicht immer so will wie er und manchmal nur Plörre ausspuckt, entschleunigt das Hamsterrad, das die Euro-Krise aus dem Brüsseler ARD-Studio gemacht hat:

Montag Friedensnobelpreis in Oslo, Mittwoch Treffen der Euro-Finanzminister, ab Donnerstag EU-Gipfel, dazwischen Kamingespräch mit der Kanzlerin. „Eine Hammerwoche“, sagt Krause.

In der Planungskonferenz sitzt ein knappes Dutzend Leute – neben Studioleiter Krause und seiner Stellvertreterin Marion von Haaren die Producerin, Kameraleute, der Aufnahmeleiter, ein Cutter, die Techniker und ein Archivar. „Jede Woche ein Gipfel, das kann sich doch keiner mehr angucken“, schimpft der Cutter. „Du willst doch nur, dass Berlusconi zurückkommt, damit mal wieder was los ist“, kontert Krause.

Der Gesprächston ist locker, es wird sogar getratscht über Europas Akteure. „Ich sage euch: Merkel und Hollande – das wird wieder die ganz große Liebe“, prophezeit Krause. Wenn einer wie er das sagt, der (mit einer Unterbrechung) seit 1990 aus Brüssel berichtet, dann kann man Wetten darauf abschließen, dass er recht behält.

Nun aber will der Gipfel aufbereitet werden. „Wer ist da die Hauptfigur?“, fragt Marion von Haaren. Krause schlägt Martin Schulz vor, den Präsidenten des EU-Parlaments. Der hielt zwar bei der Verleihung des Friedensnobelpreises keine Rede, doch bei seiner Pressekonferenz am Vortag hatte er Krause beeindruckt: Buchhändler Schulz zitierte Manns Buddenbrooks, sprach von einer Gründer-, einer Verwalter- und einer Zerstörergeneration und betonte, in der EU nicht zur dritten gehören zu wollen.

Krause will das auch nicht. Er ist „zutiefst überzeugt“ von Europa und der EU, die Gründung der „Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ 1951 („Die EU ist genau so alt wie ich“) war für ihn „ein großherziger Akt der Franzosen gegenüber ihrem Nachbarn, der sie zweimal mit Krieg überzogen hatte“.

Dabei gilt Krause als EU-Skeptiker, seit er vor 20 Jahren in seinem Buch „Europa auf der Kippe“ „14 Argumente gegen den Vertrag von Maastricht“ vortrug. „Bei den Verhandlungen über die Währungsunion habe ich mich heftig mit dem damaligen Staatssekretär im Finanzministerium gestritten“ – einem gewissen Horst Köhler.

„Im Wesentlichen hat er recht behalten“, sagt sein Kollege Werner Mussler von der FAZ. „Andere wären seither wahrscheinlich zynisch geworden, er kann sich immer noch herrlich aufregen – und zugleich begeistern für Europa.“

Das klingt dann so: „Seit der Gründung der Montanunion haben die Europäer nicht mehr so übereinander geredet wie heute. Die Sitten sind verludert, als der Kalte Krieg endete – wenn der Wolf heult, stehen die Rehe dicht beieinander. Heute tragen alle ihre Eitelkeiten zu Markte, das hat mit den Kaczyńskis angefangen. In diesem Sinne ist Frau Merkel tatsächlich eine Lichtgestalt.“

Um im „Raumschiff Brüssel“ nicht den Anschluss an die Zuschauer zu verlieren, diskutiert er in seinem Büro regelmäßig mit deutschen Besuchergruppen, die auf halber Strecke zwischen Kommission und Parlament im Studio vorbeischauen. Die blicken dann auf einen Merkel-Hampelmann und einen ganzen Strauß EU-Badges („Ohne die ist man in Brüssel ein Nichts“) hinter Krauses Schreibtisch – und schimpfen auf den Euro und das europäische Durcheinander.

Dennoch, dass die Brüsseler Besucher und die Zuschauer daheim mitreden können, ist auch sein Verdienst. Chefredakteur Jörg Schönenborn nennt ihn „das Wertvollste, was es für uns im Informationsfernsehen gibt: ein Gesicht, dem das Publikum vertraut“. Und er bescheinigt ihm „auch nach vielen Jahren“ einen „unverstellten und freien Blick“.

Krause lasse sich „weder beeindrucken noch einseifen“, sagt seine Stellvertreterin Marion von Haaren. Sie lobt seine „Übersetzungsarbeit“ für die Zuschauer, „wenn Brüsseler Eurokraten politischen Zündstoff hinter vermeintlich harmlosen Formulierungen verstecken“.

Der Kommunikationspolitik der EU-Kommission gibt Krause eine Mitschuld an ihrem schlechten Ruf. Die gerade einmal 30 Kommissionssprecher – bei 27 Kommissaren – antworten allenfalls privilegierten „Triple-A-Medien“ (Krause) wie der ARD. Und der kommissionseigene Bilderdienst, das European Broadcasting System (EBS), liefert Sendern und Zeitungen kostenlose Bilder – ein willkommenes Argument für klamme Medienhäuser, auf teure Korrespondenten und freie Fotografen zu verzichten (s. a. das Interview in „medium magazin“ 04+05/2012, http://bit.ly/WmDDW2).

Die wirklich interessanten Dinge erfährt Krause ohnehin aus den Tiefen des EU-Apparats – und das meist beim Essen. „Bei Vorspeise und Hauptgang plaudert man über Familie oder Urlaub“, erzählt er. „Erst kurz vorm Dessert sagt der Beamte: Ach, Sie wollten doch etwas wissen zur Verkehrspolitik.“ Mit den in Brüssel allgegenwärtigen Lobbyisten trifft er sich hingegen nur dann, wenn er etwas von ihnen wissen will.

Unter EU-Korrespondenten gilt die Faustregel: Pro Jahr in Brüssel nimmt man drei Kilo zu. Krause hat die Regel durchbrochen und gut zehn Kilo abgenommen, er radelt häufiger ins Studio. Im Lunchlokal „Attica“ um die Ecke gibt es extra für ihn den „Salat Rolf“ – mit Rucola, Tomaten und Bifteki, aber ohne Weißbrot. Die griechische Inhaberin spricht mit Krause Französisch, den nächsten Kunden bedient sie auf Flämisch, auch Deutsch und Englisch versteht sie. Krause selbst spricht fließend Englisch und Niederländisch, mit Französisch „kann ich arbeiten“, sagt er. „Die Internationalität liebe ich so an Brüssel: Die Leute kommen aus ganz Europa – das dehnt zwangsläufig den eigenen Horizont.“

Als Schüler schrieb Krause nebenbei für die „Braunschweiger Zeitung“, wo auch sein Vater arbeitete. „Für den Sportteil habe ich die Tabellen der Kreisliga noch von Hand ausgerechnet.“ Er volontierte bei der „Landeszeitung für die Lüneburger Heide“ und arbeitete als Lokalredakteur der WAZ in Kamen, wo ihm die basisdemokratische Arbeitsweise, die hitzigen Debatten und das Wir-Gefühl imponierten. Den damaligen Lokalchef Udo Heinze nennt er bis heute einen „Lehrer“. Die 68er haben Krause geprägt: „Wir wollten die Gesellschaft dieses engherzigen, moralinsauren Landes gerechter und toleranter machen. Vieles davon ist auch gelungen.“ Nach Stationen in Unna und Hamm und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse ging er 1979 als Junior-Landtagskorrespondent für die WAZ nach Düsseldorf – die strich nach zwei Jahren seine Stelle. Doch da war er schon aufgefallen in Düsseldorf: Der WDR holte ihn als Berichterstatter, Intendant Friedrich Nowottny – noch ein „Lehrer“ – schickte ihn später nach Bonn und 1990 erstmals nach Brüssel. Nachfolger Fritz Pleitgen holte ihn 1995 zurück nach Bonn, machte ihn später zum WDR-Programmchef. „Ein interessanter Job – aber nichts für mich“, sagt Krause. 2001 ließ Pleitgen ihn in sein geliebtes Brüssel zurückkehren.

Dass er privilegiert ist, weiß Krause: „Ich bin fest angestellt, habe den besten Arbeitsplatz und eine starke Intendanz im Rücken.“ Das sei etwas ganz anderes, als sich frei durchzuschlagen, „auf der Basis der täglich möglichen Kündigung“. Einem jungen Menschen würde er heute nicht mehr empfehlen, Journalist zu werden – „es sei denn, er will es unbedingt und bringt die Kraft auf, viele Härten auszuhalten.“ So wie seine älte
re Tochter. Wo die – frei – arbeitet, will er nicht erzählen, sie will und soll ihren Weg unabhängig von ihrem bekannten Vater machen.

Die Planungskonferenz diskutiert noch, ob ein ARD-Team auch über Nacht beim Gipfel bleibt und ob sie Liegestühle mitnehmen sollen. „Manchmal sind die Knitterbilder aus der Nacht einfach besser“, sagt Krause. Doch „selbst wenn die sich an irgendwas festbeißen: Samstag früh muss ich weg.“ Dann wird seine Mutter 90 – und das ist auch dem zutiefst überzeugten Europäer wichtiger.

Erschienen in Ausgabe 01-02/202013 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 28 bis 29 Autor/en: Daniel Kastner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.