Content Marketing wird zum Tsunami

Herr Kircher, die „Financial Times Deutschland“ ist tot, die „Frankfurter Rundschau“ kämpft gegen die Insolvenz – geht 2012 in die Mediengeschichte als das Jahr ein, in dem die Zeitungen ihre Funktion als Leitmedium für die Werbewirtschaft verloren haben?

Lukas Kircher: Das ist natürlich eine Killerfrage.

Warum?

Es ist klar, dass die destruktive Kurve für die Zeitungen weiter nach unten zeigen wird. Einige sind bereits aufgeschlagen, andere werden noch folgen.

Stirbt damit der Journalismus?

Die traurige Entwicklung richtet sich nicht gegen den Journalismus, sondern gegen das bisherige Geschäftsmodell der Verlage, wie wir es seit 100 Jahren kennen. Die wirtschaftlichen Bedingungen für dieses Geschäftsmodell werden sich auch 2013 weiter verschlechtern.

Warum wenden sich die Werbekunden vom Medium Zeitung zunehmend ab?

Das Skurrile an dieser sogenannten Krise ist, dass im Internetzeitalter durch die Suchmaschinen ausgerechnet gut gemachte Inhalte für Werbetreibende wichtiger denn je geworden sind. Dennoch können diejenigen, die über Jahrzehnte mit gedruckten Inhalten ihr Geld verdient haben, daraus kein Kapital schlagen. Das Problem ist, dass viele Führungskräfte in den Verlagen nicht früh genug darüber nachgedacht haben, wie mit der Digitalisierung nachhaltig Geld zu verdienen ist.

Was haben die Verlagsmanager verschlafen?

Wir befinden uns in einem Zeitalter der Messbarkeit. Durch die Digitalisierung werden Kampagnen exakt messbar. Deshalb überlegen Werbetreibende zweimal, ob sie ihr Geld noch für eine ganzseitige Anzeige ausgeben.

Nun versuchen Markenartikler über ganz neue Werbeformen ihre Botschaft in den Markt zu drücken. In den USA boomt gerade das Content Marketing (s. Kasten). Wie verändert das den Medienmarkt, auch hierzulande?

Ich bin davon überzeugt, dass Content Marketing in Deutschland in den nächsten Jahren eine sehr große Rolle spielen wird. Da steht ein Tsunami vor der Tür.

Was macht Sie denn so sicher?

Content Marketing ist die Kombination aus gut gemachten Inhalten und der zunehmenden Messbarkeit von Kommunikationsmaßnahmen. Werbetreibende wissen sehr genau: Ohne Inhalte funktioniert in der digitalen Medienwelt gar nichts. Gleichzeitig wollen sie aber auch genau wissen, wie ihre Werbebotschaften funktionieren.

Gibt es hierzulande schon Beispiele dafür?

Eines ist die enge Zusammenarbeit zwischen Schwarzkopf und dem Zeitschriftenverlag Condé Nast. Die Menschen suchen nicht nach Produkten, sondern nach Antworten auf Lösungen. Deshalb sind gut gemachte Inhalte so wichtig. Wie lang hält meine Tönung? Was mache ich bei Haarspliss? Wenn der User die Frage auf Google eingibt, findet er bei Schwarzkopf eine journalistische Antwort auf seine Probleme. Darauf kommt es an.

Welche Rolle spielt denn noch journalistische Qualität?

Wenn der Kunde auf die Schwarzkopf-Webseite gelockt wird und merkt, hier finde ich keine guten Antworten, wird er sich für immer abwenden. Deshalb spielt journalistische Qualität beim Content Marketing eine zentrale Rolle.

Ist CM auch eine Chance für die Verlage?

Die Medienhäuser haben jetzt die Möglichkeiten, zum Kommunikationsdienstleister aufzusteigen. Noch tun sich die meisten Verlage sehr schwer mit Umbau. Dabei besteht derzeit die Chance, die Werbeagenturen auszubremsen, die mit dem Durchreichen von neuen Werbeformen bislang viel Geld verdient haben. Die Werbe- und Media-Agenturen sollten unser gemeinsamer Feind sein. Verlage sollten sich als umfassende Strategie- und Marketingberater für ihre Kunden aufstellen und deren Probleme lösen. Zum Beispiel ASMI bei Axel Springer: Dieser Vermarkter fängt damit an, in die richtige Richtung zu denken. Oder schauen Sie sich den internationalen Benchmark Meredith an. Dieses Medienhaus berät und löst alle Kommunikationsprobleme aus einer Hand.

Wird CM auch Journalisten nutzen?

Die Nachfrage nach journalistischen Inhalten für Unternehmen steigt enorm. Das ist eine großartige Chance in einem ansonsten angespannten Arbeitsmarkt. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Anforderungen an inhaltliche Qualität weiter steigen werden. Gute Inhalte können nur von professionellen Autoren geschaffen werden.

Wer macht das große Geschäft mit CM?

Wir beobachten derzeit, dass sich alle möglichen Wettbewerber sternförmig aus allen Richtungen auf dieses Thema zubewegen. Die klassischen Werbeagenturen merken, dass sie aus ihrem traditionellen Geschäft herauskommen müssen, weil es immer schlechter funktioniert. Die Corporate Publisher sind ein Stück schon in dem Markt. Die Verlage haben das Thema für sich entdeckt, auch wenn der Anzeigenleiter schimpft, dass man mit der Herstellung von Inhalten für Unternehmen das traditionelle Anzeigengeschäft beschädigt. Keine Gattung in der Kommunikationsindus-trie wird es sich leisten können, abseits zu stehen.

Kommt der unabhängige Journalismus unter die Räder?

Die Gefahr besteht zweifellos. Aber Content Marketing wird nicht unabhängige Zeitungen und Zeitschriften ersetzen. Es geht darum, Verlagen neue Erlösmodelle zu ermöglichen und damit Qualitätsjournalismus querzufinanzieren. Die Frage ist, wie Verlage mit Inhalten neue Werbemöglichkeiten entwickeln können. Das geht nicht über Beilagen, die in der Vergangenheit zu platt und zu PR-lastig waren. Es geht darum, den Vermarktungsapparat von Verlagen endlich zu modernisieren.

Werden Kundenmagazine in Zeiten von Content Marketing verschwinden?

Gutes Content Marketing braucht gut gemachte Kundenmagazine oder Kundenzeitungen, die eng mit der gesamten Kommunikationsstrategie verzahnt werden müssen. Es kommen aber die Kundenmagazine unter Druck, die nicht auf das Markenimage oder auf den Kaufentscheidungsprozess einzahlen.

Vorreiter des Content Marketing hierzulande ist Red Bull. Der Getränkehersteller hat den Stratosphärensprung von Felix Baumgartner weltweit erfolgreich vermarktet. Ist dieser Weg ein Modell für die Branche?

Red Bull ist ein grandioses Beispiel für CM. Der Konzern inszeniert Ereignisse und vermarktet diese Inhalte über alle eigenen Kommunikationskanäle. Einzelne Highlights sind dann so dramatisch, dass auch alle klassischen Medien nicht an diesem Event vorbeikommen. Das Großartige an Red Bull ist, wie herrlich unaufdringlich das alles funktioniert. Felix Baumgartner springt aus dem Orbit zur Erde, da steht auf dem Anzug nicht hinten und vorne „Red Bull“. Dennoch profitieren die Marke und der Verkauf weltweit davon.

Kann man sagen, dass der Zusammenhang von Inhalten das entscheidende Kriterium für Erfolg ist?

Das ist sicher richtig. Content ohne Kontext kann es nicht geben. Ein Beispiel: Natürlich kann ein Fachverlag wie Wolters Kluwer ein Rechtslexikon für 500 Euro verkaufen. Wenn Wolters Kluwer aber den entscheidenden Inhalt des Gesetzes mit den richtigen Grundsatzurteilen und der entsprechenden Auslegung direkt auf den Blackberry des Anwalts schicken kann in dem entscheidenden Moment, in dem er diese Information benötigt, ist die Information vielleicht 1.000 Euro wert. Content ohne Kontext hat noch nie funktioniert.

Coca-Cola hat seine Website „Coca-Cola Journey“ mit qualitativ anspruchsvollen Inhalten gestartet. Ist das die Blaupause für Content Marketing?

Das glaube ich nicht, denn die Website ist doch sehr brav geworden. Die Verzahnung zwischen Inhalt und Marketing ist noch nicht optimal. Vor rund einem Jahr hatte Coca-Cola ein Manifest präsentiert, wie neue inhaltsorientierte Werbeformen das klassische Marketing ersetzen werden, die Website „Coca-Cola Journey“ ist aber erst ein bescheidener Anfang. Doch Coca-Cola ist der Door-Opener, der erste Konzern, der sich weltweit auf Content Marketing konzentriert. Das hilft der gesamten Kommunikationsbranche.

Haben Sie für Ihr Unternehmen bereits Kunden für Content Marketing gewonnen?

Ja, Volkswagen und Allianz.

Können Sie zur Kommunikationss
trategie etwas sagen?

Da kann man öffentlich noch nichts verraten. Nur so viel: Für Volkswagen entwickeln wir eine internationale Digital- und Print-Plattform, die von qualitativen Inhalten geprägt sein wird. Die Allianz will sich kundenzentrierter aufstellen mit Inhalten, die eher an den konkreten Lebenswelten der Kunden, als an den eigenen Produkten orientiert sind.

Gut ein Viertel Ihrer Beschäftigten sind Journalisten. Werden das künftig mehr?

Bei uns steigt der Bedarf. Wir sind gerade dabei, gute Leute von der „Financial Times Deutschland“ zu gewinnen.

Erschienen in Ausgabe 01-02/202013 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 46 bis 46 Autor/en: Interview: Hans-Peter Siebenhaar. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.