Das Handwerk der Zukunft

Die Lage ist ernst. In nachrichtlich-seriösem Tonfall beschreibt der Moderator der „Brennpunkt“-Sendung im Bayerischen Rundfunk die anscheinend ausweglose Situation: „Erst werden die Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer älter. Und jetzt auch noch das: Sie sterben einfach.“ Doch während beim Sender Ratlosigkeit herrscht angesichts des grassierenden Zuschauerschwunds, präsentiert die Sendung eine überraschende Lösung: Die Volontäre sollen jetzt den Laden retten. Enthusiastisch springen die jungen Reporter aus einer Luxuslimousine und verkünden voller Optimismus: „Wir haben schon Schlimmeres geschafft.“

Der vermeintliche „Brennpunkt“ ist natürlich nur Satire, zu sehen auf dem Youtube-Kanal des BR. Es ist der Abschiedsfilm der Volontäre des Abschlussjahrgangs 2012. Auch Intendant Ulrich Wilhelm soll herzlich über den selbstironischen Clip gelacht haben.

Dabei sagt das Video bei allem Humor auch etwas darüber aus, wie junge Journalisten den Medienwandel erleben. Dass vor allem die jüngeren Mediennutzer sich gelangweilt von Fernsehen, Radio und Zeitung abwenden, bringt sie ins Grübeln: War das jetzt die richtige Ausbildung für die mediale Zukunft?

Denn gleichzeitig wachsen die Anforderungen, vor allem was Online-Kompetenz angeht. So gehört es längst zum Standard, dass nicht nur TV-Journalisten wissen sollten, wie man Videos dreht. Die Möglichkeiten für Onlinejournalismus werden immer größer. Interaktive Karten, multimediale Reportagen, Echtzeitjournalismus via Social Media eröffnen ganz neue Dimensionen der Berichterstattung. Vorausgesetzt man weiß, wie es gemacht wird.

Immer schön flexibel bleiben!

Wolfgang Kerler ist der Moderator des Videos der BR-Volontäre. Er will den Clip nicht als Hilferuf verstanden wissen. Keinesfalls sehen er und seine Kollegen sich direkt nach ihrer Journalistenausbildung schon auf dem Abstellgleis: „Online kam in unserer Ausbildung nie zu kurz“, sagt er. „In erster Linie wollte ich aber ein guter Fernseh- und Hörfunkjournalist werden. Denn ich bin überzeugt davon, dass es gute Fernsehbeiträge immer brauchen und geben wird.“ Angst macht ihm der Medienwandel nicht: „Unser Job ist keiner, in dem man sich einfach einnisten kann. Man muss flexibel sein. Auch der BR wird in zehn Jahren völlig anders aussehen als heute“, prophezeit er.

Für ihn ist das aber eher Ansporn, diesen Wandel mitzugestalten. Auch das soll eine Botschaft des Clips sein: Wir jungen Redakteure sind die richtigen, um zeitgemäßen Fernsehjournalismus zu kreieren.

Dass junge Journalisten wie Wolfgang Kerler den Medienwandel nicht fürchten, überrascht nicht. Für seine Generation gehört das Internet wie selbstverständlich zum Alltag, beruflich wie privat. Doch man sollte nicht davon ausgehen, dass die Digital Natives wie selbstverständlich die neue Technik bedienen. Der Datenjournalist Marco Maas ist regelmäßig als Trainer in Verlagen und Journalistenakademien unterwegs und macht mitunter ernüchternde Erfahrungen mit dem Nachwuchs, der vermeintlich als Web-Experte aufgewachsen ist: „Das Verständnis für grundlegende Funktionsweisen des Internets fehlt bei vielen.“

Das macht sie nicht unbedingt zu schlechteren Journalisten. Aber sie könnten besser sein. Denn die guten Geschichten findet man heutzutage nicht nur auf der Straße, sondern auch auf den verschlungenen Pfades des Internets. Man muss aber wissen, wie man all die Daten nutzbar macht, die im Netz gesammelt sind. Der Journalist Julius Tröger von der „Berliner Morgenpost“ stellt auf seinem Blog „Digitaler Wandel“ gar die Frage in den Raum, ob Journalisten heute nicht am besten gleich Kenntnisse in HTML, Javascript oder anderen Computersprachen mitbringen sollten.

Müssen junge Journalisten heute also zu Programmierern geschult werden? Marco Maas beantwortet die Frage so: „Man muss kein Programmierer sein. Aber man sollte wissen, wie einer denkt.“ Echte Online-Kompetenz definiert sich schließlich nicht allein über die Zahl der Follower bei Twitter. Die wahren Schätze aus der Fundgrube Internet hebt man erst, wenn man sich an komplexere Werkzeuge traut.

Nur Print reicht nicht mehr

Wie das aussehen kann, zeigt das Projekt „Schäl Klick“, das Maas gemeinsam mit Stipendiaten der Journalistenakademie der Konrad-Adenauer-Stiftung verwirklichte. Zehn Tage lang erkundeten die Journalistenschüler die rechtsrheinische Seite der Stadt Köln – die sogenannte „Schäl Sick“. Am Ende stand eine hyperlokale Seite, die Datenjournalismus und multimediales Erzählen verbindet. Mit einer umfangreichen Statistiksammlung wurden Stadtteile wie Deutz, Poll und Kalk in Diagramme und Grafiken zerlegt, Audioslideshows zeigten die Menschen hinter den Zahlen.

Derartig umfangreiche Multimedia-Einheiten kommen in vielen Volontariaten zu kurz, findet Maas. „Seminare für Volontäre sind ja Druckbetankung. In einem oder zwei Tagen kann man bestenfalls anfüttern.“ Er würde sich mehr Kurse nach dem Vorbild von „Schäl Klick“ wünschen: „Für Reportageseminare wird ja auch ohne weiteres eine ganze Woche oder mehr investiert“.

Natürlich hat es sich längst rumgesprochen, dass es nicht mehr reicht, junge Journalisten nur für ein einziges Medium fit zu machen. Beim BR wird es laut Ausbildungsleiterin Anja Miller demnächst Schulungen geben, in denen die Volos lernen, wie man mit dem Smartphone fertige Beiträge produzieren kann – nur ein Baustein von vielen, um die Rundfunkvolontäre noch stärker trimedial auszubilden. Und Bernd Mathieu, Chefredakteur von „Aachener Zeitung“ und „Aachener Nachrichten“, sagt: „Man tut jungen Leuten keinen Gefallen, wenn man sie nur für Print ausbildet.“

Deshalb dürfen die Volontäre in Aachen künftig beim WDR ein paar Wochen Fernsehluft schnuppern. An der RTL-Journalistenschule in Köln lernen sie Videojournalismus, beim Aachener Lokalradio Antenne AC dürfen sie Hörfunk machen. Mit insgesamt zehn Partnern kooperiert der Zeitungsverlag Aachen für das Multimediavolontariat, das von den üblichen 24 Monaten auf 30 verlängert wurde, um den ganzen Stoff unterzukriegen. Dabei soll es natürlich nicht passieren, dass die Volontäre sich nach ihrer Ausbildung direkt für einen Arbeitsplatz bei einem der spannenden Partner entscheiden. „Wir wollen für unser Haus ausbilden“, sagt Mathieu und weiß, dass es für einen Verlag nicht ausreicht, nur in der Ausbildung multimedial zu sein. „Man muss auch danach noch die Möglichkeiten bieten, zum Beispiel mit Bewegtbild zu arbeiten. Nach der Ausbildung ausschließlich wieder zurück zur gedruckten Zeitung, das geht nicht.“

HTML schadet nie

Tatsächlich dürfte der journalistische Alltag in vielen Onlineredaktionen der größte Feind vieler junger Journalisten sein, die liebend gern ihre digitalen Fähigkeiten zur Anwendung bringen würden. Wenn sie denn nachgefragt würden. Multimedia, das heißt auf deutschen Nachrichtenseiten meistens immer noch Text plus Fotostrecke plus Video – wenn zufällig eins gedreht wurde.

Jörg Sadrozinski, Leiter der Deutschen Journalisten-Schule (DJS) in München, kennt das von seinen Schülern: „Wenn die in Onlineredaktionen kommen, sitzen sie meistens am Newsdesk und machen Nachrichten. Da wird nicht gefragt, ob die auch Audioslideshows können.“ Gleichwohl wird an der DJS Online längst verstärkt gelehrt: „Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausbildung“, sagt Sadrozinski. Zu jedem Projekt müssen die Schüler sich ein Online-Konzept überlegen, zum Beispiel, wie sich ein Thema auch als App darstellen lässt. Dennoch hält er es für wichtig, dass das klassische Journalistenhandwerk vorgeht. „Es schadet natürlich nicht, wenn jemand HTML kann. Aber nach wie vor muss ein Journalist h
eute Orientierung bieten, Dinge einordnen und kommentieren können.“

Und es sind nicht nur die älteren und alten Hasen, die betonen, wie wichtig die Grundlagen sind. So erfüllte sich für die 22-jährige Maximiliane Rüggeberg ein Traum, als sie die Zusage für ein Volontariat beim „Nordbayerischen Kurier“ in Bayreuth bekam. „Ich bin Volontärin! Hurra!!!!“, twitterte sie am 21. August an ihre Follower. Dem freudigen Tweet ging ein weniger fröhlicher Blogeintrag voraus: Darin regte sie sich über ausbeuterische Volo-Verträge auf, die sie auf einige ihrer Bewerbungen angeboten bekommen hatte: „Niemand, der einen universitären Abschluss hat, sollte es nötig haben, für 1000 Euro Brutto arbeiten zu müssen, selbst als Berufseinsteiger“, schrieb sie. „Wenn wir immer nur, Ja‘ sagen und den Mund halten, wird sich nichts ändern.“

Ihr wütendes Posting verbreitete sich über Blogs, Twitter und Facebook bundesweit und erreichte schließlich auch Joachim Braun, Chefredakteur des „Nordbayerischen Kuriers“. „Mir hat imponiert, dass sie sich dem Konflikt gestellt hat“, begründet Braun, der viele Volontariatsbewerber für „zu angepasst“ hält. Er kontaktierte Rüggeberg, lud sie zum Vorstellungsgespräch ein.

Das Herz hängt an Print

Wenig später stand für Rüggeberg fest: Sie wird aus dem pulsierenden Ruhrgebiet ins beschauliche Bayreuth ziehen und fortan bei einer kleinen Regionalzeitung, Auflage 36.000, das journalistische Handwerk lernen. Genau der richtige Schritt, findet Rüggeberg: „An Print hängt mein Herz“, sagt sie. „Für alles, was online im Journalismus passiert, interessiere ich mich sowieso. Mir ging es darum, dass ich das klassische Handwerk lerne. Ich hätte das Volontariat auch angenommen, wenn Multimedia nicht so sehr im Fokus gestanden hätte.“ Dass sie nun zur Offlinerin umgepolt wird, steht allerdings nicht zu befürchten. Auch Joachim Braun ist es wichtig, dass seine Volos auf allen Kanälen zu Hause sind. Das spiegelt sich auch in der Ausbildung, in der etwa Videoschulungen zum Programm gehören.

Smartphone-Schulungen beim Fernsehen, Multimedia-Ausbildung in Aachen, ein Volontariatsplatz für einen mutigen Blogpost: Alles Zeichen dafür, dass sich die Grenzen zwischen den Medienwelten auflösen. Doch wird ein Printvolontär automatisch zum Netz-Virtuosen, wenn er auch Videos drehen kann und zwei Monate länger als andere am Online-Desk saß? Ist ein Fernseh-Volo schon ein Netz-Experte, wenn er zu einer Sendung mal vier Wochen lang den Twitter-Account betreut hat?

Ja, mit derartigen Maßnahmen werden wichtige Grundlagen gelegt, die heute genauso zum Handwerk gehören wie das Schreiben eines fundierten Kommentars oder das fehlerfreie Sprechen einer Moderation. Der entscheidende Schritt wird aber sein, das multimediale Feuerwerk in der Ausbildung auch im journalistischen Alltag weiter leuchten zu lassen.

Erschienen in Ausgabe 01-02/202013 in der Rubrik „Special“ auf Seite 54 bis 56 Autor/en: Moritz Meyer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.