Der Lerchenberg brennt

Peter Frey muss wieder einreißen, was er als ZDF-Chefredakteur mit seinen Kollegen in den vergangenen Jahren mühevoll aufgebaut hat: das vielleicht vielfältigste Informationsprogramm, das der Mainzer Sender je zu bieten hatte.

„Einstellungsstopp, Frühverrentungsprogramm, Kürzungen bei den freien Mitarbeitern – wir müssen massiv Personal abbauen“, sagt Frey im ausführlichen Gespräch mit dem „medium magazin“. Er spricht von einem „Kulturwandel in der Geschichte unseres Senders.“

Sei es mit ihren Rundfunkstaatsverträgen oder als Mitglied der Rundfunkgremien: Die Politik hat jahrelang einen massiven Ausbau des ZDF-Angebots goutiert. Die Kosten für die nötige Technik und das Personal waren für viele offensichtlich bloß Randnotizen. Protest blieb aus. Und nicht zuletzt hat auch der Sender, allen voran der frühere Intendant Markus Schächter, die Dinge laufen lassen – in der Hoffnung, dass das alles schon so groß bleiben kann. Eine Portion Größenwahn war im Spiel.

So wuchs der Sender in den vergangenen zwei Jahren vor allem mit seinen Digitalkanälen kräftig: ZDFneo, ZDFinfo und ZDF-kultur begannen, ihr eigenes Programm zu produzieren, sogar mit Erfolg. Die Ableger gewannen mehr Publikum dazu, als der Hauptsender verlor, beteuern jedenfalls die Programmmacher.

Die Gebührenkommission KEF aber, die weitgehend unabhängig von den Ländern agiert, hob schließlich im vergangenen Jahr ihr Stoppschild. 75 Millionen Euro muss das ZDF seither aus seinen Etats wegstreichen, ausnahmslos beim Personal.

Anfangs ging der Sender noch davon aus, 300 Stellen abbauen zu müssen. Inzwischen ist von bis zu 400 „Vollzeitäquivalenten“ die Rede. Das zieht einen Rückbau nach sich, der sich nicht zuletzt auch deutlich im Programm niederschlägt.

„Das Jahr 2012 hat das ZDF auf eine Achterbahn geschickt“, sagt Frey. Das Programm sei so beliebt wie seit den neunziger Jahren nicht mehr, in weiten Teilen modernisiert und ziehe insbesondere im Digitalen auch wieder mehr junge Zuschauer an. Aber dann seien da die KEF-Forderungen, die „allen schwer zu schaffen“ machten.

Chefredakteur Frey und Programmdirektor Norbert Himmler haben erste Konsequenzen gezogen. Dazu gehören auch sichtbare Kürzungen. Im Sommer nahmen sie das Popkulturmagazin „Der Marker“ bei ZDFkultur vom Schirm. Im Zweiten fielen das „Nachtstudio“ und das Ländermagazin „Blickpunkt“ weg. Außerdem ging gerade auch das „Wochen-Journal“ ein letztes Mal auf Sendung. Frey wiederum zieht zu Jahresbeginn auch bei einigen Formaten seines Ablegers ZDFinfo die Reißleine, mal teilweise, mal auch ganz.

Frey kürzt beispielsweise „Wiso plus“ ein. Der bislang werktäglich ausgestrahlte Ableger des etablierten Wirtschaftsmagazins muss sich nun auf ein bis zwei neue Ausgaben pro Woche beschränken. Das Magazin sei zwar durchaus innovativ, doch „Aufwand und Ertrag standen für eine Produktion in einem Digitalkanal nicht mehr im nötigen Verhältnis“, urteilt der Chefredakteur. „Wiso“-Chef Michael Opoczynski wiederum bedauert, dass er dadurch drei „junge, kreative, engagierte“ Kolleginnen verloren hat. Seine Mitarbeiterinnen hätten „weggekündigt“ werden müssen, sagt Opoczynski.

Während sein junges Wirtschaftsmagazin nur beschnitten wird, fällt anderes vollständig weg. „Besonders leid tut es mir um ‚Europa plus‘“, sagt Frey, schließlich habe er sich so ein frisches Europamagazin für vor allem jüngere und mobilere Zuschauer selbst gewünscht. „Ich musste aber auf die Frage reagieren, wie die Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen das Bundestagswahljahr 2013 schaffen kann. Dafür mussten wir auch etwas sein lassen.“ 2014, im Jahr der Europawahl, wolle er dieses Magazin allerdings, „wenn es irgend geht“, möglichst schon wiederbeleben.

Freys größtes Problem ist, dass die KEF-Forderungen in erster Linie journalistische Mitarbeiter bedrohen. Denn das ZDF will auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten. Mitarbeiter, die fest oder mit Zeitverträgen an das Haus gebunden sind, sollen daher möglichst verschont werden. Einzig die Frühverrentung und ein Verzicht bei Nachbesetzungen frei werdender Stellen sind hier eine Option. Also treffen die Sparbemühungen vor allem freie und damit viele junge Mitarbeiter. Die arbeiten eher selten in den Lizenzabteilungen, im Personalbüro und in der Buchhaltung, sondern in erster Linie in Redaktion und Produktion.

„Ich selbst muss immer wieder jungen Kolleginnen und Kollegen sagen: wir können ihnen bis auf weiteres keine Zukunft im ZDF bieten“, sagt Frey. „Das tut verdammt weh und da kommt natürlich auch viel Groll bei mir an.“

Auch Intendant Thomas Bellut warnte im Dezember nach einem Treffen mit seinem Fernsehrat vor der „eindeutigen Gefahr“, dass ausgerechnet viele der Kollegen gehen müssten, die eigentlich das Programm beleben sollten. Weitere Sendungen sollen vorerst aber nicht mehr dem Rotstift zum Opfer fallen. „Wir haben die erste Welle gemeistert“, sagte Bellut. „Jetzt geht es um die Strukturen.“

Im ZDF haben die Verantwortlichen längst begonnen, Redaktionsgrenzen einzureißen. Einige Entscheidungen waren ohnehin längst überfällig. Bereits im Vorfeld traf es die zuvor eigenständigen Redaktionen für Außen- und Innenpolitik. Aus ihnen wurde die „Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen“. Theo Koll, der die Superredaktion seit ihrem Beginn vor zwei Jahren leitet, hält das Zusammenwachsen in diesem Fall sowieso für geboten: „Es ist eine Binse, dass Außenpolitik auch zunehmend Innenpolitik ist und umgekehrt – und Europa längst beides.“

Gleich im ersten Jahr nach der Zusammenlegung lieferte Koll 62 Sondersendungen ab – vom Arabischen Frühling über die „Affäre Guttenberg“ bis hin zur Doppelkatastrophe in Japan, die wiederum die Innenpolitik prägte. „Das hätten wir in der alten Organisationsstruktur nicht geschafft – und schon gar nicht nach den massiven Personalkürzungen durch die KEF-Vorgaben“, bekräftigt Koll. Der hatte sich von der Fusion auch neue Ressourcen erhofft, doch der neuerliche Sparzwang habe mögliche Freiräume „leider sofort wieder aufgebraucht“, bedauert Koll.

In der Aktualität wiederum wurde für die boulevardesken Magazine „drehscheibe“ und „Hallo Deutschland“ nach Jahren des luxuriösen gebührenfinanzierten Parallelbetriebs ein gemeinsamer Reporterpool geschaffen. In Berlin wiederum werden künftig bislang getrennte Redaktionen und Korrespondentenbüros für „Aspekte“, die vom ZDF produzierte 3sat-„Kulturzeit“ und für ZDFkultur gemeinsame Sache machen. Auch bei den Nachrichten ist ein Miteinander geplant: Online- und Fernsehredakteure der „heute“-Abteilung sollen – endlich – zusammenrücken.

„Ich habe meinen Leuten schon immer gesagt, dass wir mit immer weniger finanziellem und personellem Aufwand immer mehr leisten müssen“, sagt Frey zu solchen Synergien. Seine Mitarbeiter fürchten daher um ihre Gesundheit, wie sie Mitte Dezember in eigener Sache mitteilten. In ihrer Resolution an die KEF ist von „schmerzhaften Einschnitten in die Personalstruktur“ die Rede, vom „Know-how-Verlust durch das vorzeitige Ausscheiden erfahrener Kolleginnen und Kollegen“ und von „unzumutbaren Ausmaßen“ der Arbeitsverdichtung. Der Betriebsfrieden sei gefährdet, mahnen die Mitarbeiter des Mainzer Senders in ihrem Hilferuf.

„Neben Mehrbelastungen, zu denen ich stehe, müssen wir auch Entlastungen bieten“, mahnt Frey. Dazu gehöre eben auch, bewusst ganz auf Sendungen zu verzichten, denn: „Neues werden wir künftig n
ur noch machen können, wenn Altes wegfällt.“ So sei auch die Dokureihe „Zoom“, die sich tatsächlich als Erfolg entpuppte, nur möglich gewesen, weil dafür vor knapp zwei Jahren die ebenfalls wöchentliche Magazinreihe „ZDF-Reporter“ ihr Ende fand.

„Ich bin mir darüber im Klaren, dass der Begriff von den Synergien oft überstrapaziert wird“, sagt Frey. „Ich glaube aber auch, dass wir viele Möglichkeiten intensiver Zusammenarbeit noch gar nicht ausgeschöpft haben.“ So werde noch immer vielfach parallel zu einem Thema geplant. Vernetzung könne „viel Doppelarbeit“ verhindern.

Freys Wirtschaftschef Opoczynski ließ dafür im Herbst schon mal einen Testballon steigen. Erstmals haben seine Leute auch andere Sendungen mit Verbraucherberichten beliefert, vom „Morgenmagazin“ über das Hausfrauenmagazin „Volle Kanne“ bis hin zu den aktuellen Sendungen am Abend. „Da steckt eine Menge Sparpotenzial drin“, sagt Frey, „aber auch die Gefahr, dass das Programm durch zu viele durchlaufende Beiträge zu eintönig wird.“ Dennoch denkt er bereits über weitere dieser „Kompetenzteams“ nach, wie er die zentralen Einheiten nennt. Die Finanzberichterstattung biete sich als nächstes Thema an.

„Letztlich geht es darum, herauszufinden, welche Sendungen eigene Redaktionen und Reporter brauchen, damit sie ihren Charakter behalten und ihre Strahlkraft im Markt, und wo wir Schnittmengen in zentralisierten Strukturen zusammenlegen können“, erklärt Frey. Er wolle einzelne Inhalte günstiger produzieren. Auch Superredaktionsleiter Koll weiß von der „stetig zu justierenden Gratwanderung“ zwischen einem riesigen Reporter- und Ideenpool einerseits und andererseits der „identifikationsstiftenden Zugehörigkeit zu einer festen Redaktion“ zu berichten.

Das Sendezentrum auf dem Mainzer Lerchenberg wartet unterdessen mit diversen Parallelstrukturen auf. Im Sender rechnen beispielsweise viele damit, dass Intendant Bellut sich für die nächste Zündstufe des laufenden Sparprogramms die auf den Sender verteilten Redaktionen für Dokumentationen und Reportagen vorknöpft. Ob das neue „ZDF Zoom“, die junge, aber bereits kriselnde „ZDF Zeit“, das etablierte „37 Grad“ oder auch die Produktionen für die Partnerkanäle Phoenix und 3sat: noch sind alle weitgehend eigenständig.

Manch einer im Sender kritisiert zudem, dass das Magazin „Frontal 21“ in Berlin nach wie vor zum großen Teil selbstständig agieren darf, direkt angedockt an die Chefredaktion. Zwar hat „Zoom“ dort eine Art Verbindungsredakteur sitzen, doch bereits vor einigen Jahren hatte sich Freys Stellvertreter Elmar Theveßen, der Terror-Experte des Senders und zugleich Leiter der Aktualität ist, eine übergreifende Rechercheeinheit gewünscht – vergebens.

Interessant ist auch die Beobachtung, dass Frey einerseits ein Europamagazin abschafft, andererseits aber das Gefäß „Life & Style“ auf seinem Infokanal weiterhin von seinen Korrespondenten mit eher belanglosen Berichten befüllen lässt. So staut sich auch bei Freys Leuten zunehmend Frust auf – bei allem Verständnis für den Lieferdruck, unter dem der erste Journalist der öffentlich-rechtlichen Anstalt steht.

Natürlich aber jammert das ZDF zugleich auf hohem Niveau. Etwa 6.000 Arbeitsplätze bietet der Sender bislang, darunter zuletzt allein 3.624 für fest angestellte Mitarbeiter (siehe Kasten). Und Licht am Ende des Tunnels ist ebenfalls in Sicht. Intendant Bellut kündigte bereits an, im April des neuen Jahres den Einstellungsstopp aufzuheben, um den „Krisenmodus“ wieder zu verlassen und zu normalen Verhältnissen zurückzukehren zu können. Zumindest vereinzelt sollen seine Leute dann wieder in der Lage sein, frisches Personal ins Haus zu holen.

„Ich hoffe sehr, dass sich die Zeiten wieder ändern“, sagt Chefredakteur Frey. „Wer junges Programm machen will, braucht dafür auch junge Mitarbeiter.“

Die haben in ihrer Resolution die Gebührenkommission gar aufgefordert, Milde walten zu lassen und die Personalkürzungen zumindest etwas zurückzuschrauben. Dass das klappt, daran glaubt allerdings auf dem Lerchenberg niemand ernsthaft.

Peter Frey rät unterdessen dazu, von realistischen Vorstellungen auszugehen, von einem „engeren personellen und finanziellen Rahmen“, wie er sagt. „Da müssen wir uns jetzt durchbeißen.“

Personal-Tableau des ZDF

3.600 fest Angestellte

257,50 Stellen: Intendanz (mit Pressestelle, Phoenix, Justiziariat, Revision)

560,75 Stellen: Programm (mit Shows, Unterhaltung, Kultur, ZDFneo)

130,75 Stellen: Europäische Satellitenprogramme (mit ZDFkultur und 3sat)

913,00 Stellen: Chefredaktion (u. a. 86,75 für Aktuelles; 431,50 für Studios im In- und 42,75 im Ausland; 63,75 für Magazine und Dokus; 31,25 für Wirtschaft, Recht, Soziales und Umwelt, 41,50 für Sport; 54,25 für Online; 14,75 für ZDFinfo)

734,75 Stellen: Verwaltung (mit Buchhaltung, Personal, Lizenzen, Archiv, Gebäude)

1.027,5 Stellen: Produktion (mit IT, Sendetechnik, Beitragsproduktion, Studios und Außenübertragungen)

3.624,25 Stellen insgesamt zum April 2012 (nur fest angestellte Mitarbeiter)

Erschienen in Ausgabe 01-02/202013 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 30 bis 33 Autor/en: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.