Die Medien in der wilden 13

Was für ein Jahr! Europa steht am Rande des Abgrunds – und die Medien gleich daneben. Zum Jahresende hagelte es derart viele Einschläge und Hiobsbotschaften, dass der Blick auf die Gesamtlage zwangsläufig getrübt wird. Das liegt nicht nur am tränenreichen Abschied von der FTD, die mit einer grandiosen Selbstinszenierung Abschied vom Zeitungsmarkt nahm. Ein Untergang mit Stil! Chapeau! Aber ob das Ende der FTD als Synonym für ein generelles Zeitungssterben herhalten kann? „Man muss klar sehen: Im Zeitraum 2008 bis 2012 sind neben der FTD nur wenige Zeitungen verschwunden. Das ist alles nicht so dramatisch im Vergleich zu dem, was sich vor 50, 60 Jahren auf dem Pressemarkt tat“, sagt Walter J. Schütz, der seit 58 Jahren regelmäßig den Zeitungsmarkt Deutschlands statistisch ermittelt (Seite 36 f.).

Zugleich hängt nach wie vor das Schreckgespenst der Insolvenz über der „Frankfurter Rundschau“: Ihr Überlebenskampf der letzten Wochen verdient allen Respekt (am 31.1. ist Stichtag) – ebenso wie der der schwerst gebeutelten dapd. Noch ist ungewiss, wie es dort weitergehen kann, am 21. Dezember trat der neue dapd-Investor Ulrich Ende erst offiziell an.

Fakt ist, dass die Konkurrenz den Modernisierungsprozess des Marktführers dpa mindestens beschleunigt hat. Doch ohne ein eigenes schlüssiges Konzept wäre das nicht gelungen. So aber verdient Wolfgang Büchner von dpa zu Recht den Ehrentitel „Chefredakteur des Jahres“ (Seite 20 f.), denn seine Arbeit in den vergangenen zwei Jahren gegen etliche Widerstände trägt bemerkenswerte Früchte. Manche davon mögen der Niederlage des Konkurrenten geschuldet sein. Doch sicher ist: dpa hat sich nicht auf Kosten des Wettbewerbs saniert.

Andere haben da noch ein gutes Stück Arbeit vor sich. Das betrifft allein schon das Auftreten mancher Zeitungen:

„Deutschsprachige Zeitungen sind visuell oft langweilig. Dabei gibt es so viele Möglichkeiten, die Leser auch über die Aufmachung für sich zu begeistern“, sagt Norbert Küpper und zeigt, wie das funktionieren kann (Seite 61 f. und Werkstatt „Zeitungs-Trends 2013“, die dieser Ausgabe exklusiv für Abonnenten beiliegt). Er erläutert unter anderem das Rezept der „Zeit“, die zum „European Weekly Newspaper 2012“ gekürt wurde. Ihr Erfolg bestätigt einen Trend: Das Bedürfnis nach Entschleunigung wird zum Gesellschaftsphänomen. Darin liegt eine große Chance für uns Medien. Die Menschen werden des Immer-schneller-immer-mehr müde.

Das beweist auch der sensationelle Erfolg der „Landlust“, die 2012 die Grenze der Millionenauflage geknackt hat. Der Verlag startet übrigens 2013 ein neues Projekt namens „himmelblau“, und man darf sehr gespannt sein, ob und wie ein solcher Erfolg wie „Landlust“ zu wiederholen ist. (Seite 44 f.). Dass sich auch jenseits des Eskapismus dank der Technik neue, noch gar nicht ausgeschöpfte Medien-Möglichkeiten eröffnen, zeigt die Arbeit von Datenjournalist Lorenz Matzat (Seite 50 f.), der übrigens auf Platz zwei der „Newcomer des Jahres“ gewählt wurde (Seite 26).

Gar nicht pessimistisch sieht auch Lukas Kircher die Entwicklung – allerdings mit folgender Begründung: „Die Nachfrage nach journalistischen Inhalten für Unternehmen steigt enorm. Das ist eine großartige Chance in einem ansonsten angespannten Arbeitsmarkt“ (Seite 46 f.).

Wie angespannt der Markt tatsächlich ist, wollten wir wissen und haben uns in Häusern aller Medienbranchen umgehört, wie die redaktionellen Budget- und Stellenplanungen für 2013 aussehen. Die Antworten sind bemerkenswert unterschiedlich. Darunter auch diese, die es doppelt zu unterstreichen gilt: „Wir planen keine Stellenstreichungen, denn wir finden es wichtig, in redaktionelle Qualität zu investieren“, sagt Hans-Dieter Hillmoth, Chef des Radiosenders FFH (Seite 34ff).

Redaktionelle Qualität ist allerdings ein ebenso weiter wie dauerhaft diskutierter Begriff. Joachim Braun, Chefredakteur des „Nordbayerischen Kurier“, definiert das so: „Inhalte, Neugierde, Leidenschaft, Haltung, Gemeinschaft, Bereitschaft zur Veränderung – Zeitungen, die sich an diesen Qualitäten orientieren, also wörtlich genommen Qualitätsjournalismus treiben, haben eine Perspektive für die Zukunft“(Seite 42 f. – übrigens ein Beitrag, der lange vor seiner Wahl zum „regionalen Chefredakteur des Jahres“ entstand). Und er sagt zu Recht auch das: „Geschäftsführungen und Chefredaktionen müssen sich den Problemen offensiv stellen. Denn der Fisch stinkt immer vom Kopf. 2013 wird dafür ein entscheidendes Jahr.“

PS: Franziska Augstein antwortet in unserem Fragebogen (Seite 82) auf die Frage „Was macht Sie wütend oder ungeduldig?“: „Redakteure werden dazu angehalten, soziale Netzwerke zu bedienen. Dabei haben sie oft nicht einmal die Zeit, auf sachliche Mails und Angebote von Autoren zu antworten.“ Ein wichtiger Kritikpunkt, den ich mir in eigener Sache auch zu Herzen nehme für 2013. Wenn’s trotzdem mal nicht gleich klappt, liebe Leser & liebe Autoren: Vielleicht sind wir dann tatsächlich gerade am Twittern, auf Facebook oder am Heftmachen. Oder beim Entschleunigen. In diesem Sinne ein gutes, glückliches, gesundes und widerstandsfähiges Jahr 2013!

Erschienen in Ausgabe 01-02/202013 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 4 Autor/en: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.