Geschichten modern erzahlen

1. Texte und Themen kleinteiliger angehen.

Die „Bild am Sonntag“ hat am Morgen nach der ersten „Wetten, dass …?“-Sendung mit Markus Lanz dem Thema eine Doppelseite gewidmet. Die Seite besteht ganz überwiegend aus Statements von Prominenten, die ihre Meinung zum neuen Moderator äußern. Ein weiteres Beispiel ist die Doppelseite über Bettina Wulff. Es ist eine Magazin-Doppelseite entstanden, die neben opulenter Optik aus sehr vielen Meinungen anderer Medien über ihr Buch aufgebaut wird. Die Meinung ist für Leser immer wieder interessant. Das können Prominente sein, aber auch einfach nur Mitbürger.

2. Die lange Reportage hat durchaus Leser. Exklusivität ist ein Vorteil.

Zeitungen wandeln sich zu täglichen Wochenzeitungen, die mehr Hintergrund und Orientierung bieten. Schon seit einigen Jahren ist beim European Newspaper Award zu beobachten, dass es einen Trend zur vertieften, seriösen Berichterstattung gibt. Die Schnelligkeit und Kürze findet man im Internet und in kostenlosen Zeitungen, vertiefte und exklusive Berichte sind in der Tageszeitung zu finden. Der Wandel der Tageszeitung zu einer täglichen Wochenzeitung oder zu einem täglichen Magazin geht nicht sprunghaft, sondern in kleinen Schritten vonstatten. Bei meiner jüngsten Neugestaltung, dem „GrenzEcho“ in Eupen (Belgien), wurde vor einigen Wochen eine tägliche Reportage-Seite eingeführt. Jeden Tag wird ein Thema seitenfüllend präsentiert. Dabei spielen neben exklusiven Themen aus dem Lokalen und der Region herausragende Pressefotografien eine wichtige Rolle. Tests, die ich vorab mit einer Blickaufzeichnungs-Kamera gemacht habe, zeigten, dass längere Texte durchaus gut gelesen werden.

3. Gliederungen mit Zahlen machen Inhalte verständlich.

Gerade im Zeitschriftenbereich sieht man, dass man viele Themen nicht als geschlossenen Text schreibt, sondern von vornherein in einer bestimmten Gliederung präsentiert. Das wirkt faktisch und ist für den Leser sehr übersichtlich. Beispielsweise kann man Yoga-Übungen durch Zahlen in einer exakten Reihenfolge präsentieren. Aber auch politische Themen lassen sich so präsentieren: Die „Stuttgarter Nachrichten“ erklären in elf Fragen und Antworten die Euro-Krise. Bei der Blickaufzeichnung zu diesem Artikel zeigte sich, dass er nicht in der Reihenfolge der Zahlen gelesen wurde, die im Uhrzeigersinn angeordnet waren. Die Leser folgten im Prinzip den Zahlen, haben die Antwort aber nur gelesen, wenn sie die Frage interessant fanden. Das Gleiche sieht man übrigens auch bei Interviews: Viele Leser machen es von der Frage abhängig, ob sie die Antwort überhaupt lesen.

4. Leserfreundlich schreiben: Große Themen in logische Stücke gliedern.

In der Hektik des Nachrichtengeschäfts kommt man oft nicht zum Nachdenken oder verfällt in Routine. Das führt dann zu langen, ungegliederten Texten. Wenn wir schon den erheblichen Aufwand betreiben, Papier zu bedrucken, die Zeitungen auf Lastwagen zu laden und durch Zusteller in die Briefkästen zu bringen, dann sollten wir auch die Inhalte so optimal wie möglich präsentieren. Man sollte bei komplexen Themen das Thema klar vor Augen haben, bevor man überhaupt die erste Zeile schreibt, und es in einer entsprechenden thematischen Untergliederung präsentieren. Die schwedische Zeitung „Nerikes Allehanda“ hat es zum Beispiel beim Arabischen Frühling so gehandhabt. Durch die vorgegebene Form wird dem Leser sofort klar, wie die Situation in jedem einzelnen Land ist.

5. Die logische Reihenfolge: der Live-Ticker.

Bei vielen Großereignissen gibt es auf Zeitungs-Newssites Live-Ticker. Die User können in Echtzeit verfolgen, was geschieht. Diese Idee lässt sich problemlos auf die gedruckte Zeitung übertragen. Bei einer Abstimmung über den Stuttgarter Bahnhof nutzten die „Stuttgarter Nachrichten“ eine Untergliederung nach Uhrzeiten, weil die Spannung des Geschehens dadurch auch im Print sehr gut übermittelt werden konnte.

6. Die Cloud: Viele Fakten locker arrangiert.

Die Vorstellung, Daten in einer Wolke irgendwo zu speichern, ist ganz reizvoll. Wenn man diese Idee auf Print überträgt, dann braucht man als Aufhänger eine Überschrift und einen einleitenden Text. Die Abbildungen kann man wie in einer Wolke locker darum herum arrangieren. Die „Stuttgarter Nachrichten“ nutzen diese Methode und zeigen die Trikots der deutschen Bundesliga, die mit kurzen Kommentaren versehen werden.

7. Zahlen übersichtlich arrangieren.

Im Wirtschaftsteil, im Politikteil, aber auch im Lokalen kann man immer wieder Texte finden, in denen Zahlen nur so herumschwirren. Man kann es auch übersichtlicher haben, indem man die klassische Ergänzungsbox mit Zahlen anreichert. Die „Kärntner Wirtschaft“ hat es sehr gut geschafft.

8. Tabellen machen Inhalte übersichtlich.

Natürlich kann man einen fertigen Text nicht mehr nachträglich in eine völlig andere Form, wie zum Beispiel in eine Tabelle, umändern. Das Denken an die richtige Präsentationsform des Textes muss vor der ersten Zeile geschehen.

Besonders serviceorientiert ist die Zeitschrift „My Way“: Von oben nach unten werden vier verschiedene Nuss-Sorten vorgestellt. „Da kommen sie her“, „das können sie“ und „so lecker in …“ heißt dann die Unterteilung.

Erwähnenswert ist noch, dass die Texte nicht gleich lang sein müssen. Der eine oder andere Text dürfte auch kürzer sein.

9. Leserfreundlich arbeiten heißt stärker visuell denken.

Von der ganzen Ausbildung her sind Journalisten eher textorientiert. Sie denken eher in Buchstaben und weniger in Bildern. Journalisten müssen in Zukunft noch stärker das Visuelle für sich erobern. Es müssen in allen Ressorts Bildarchive, Fotos, Infografiken besser zugänglich gemacht werden. Das Beispiel aus den „Stuttgarter Nachrichten“ macht es deutlich: Man kann eine neue Bibliothek in einem Text beschreiben. Die Schnittzeichnung durch das Gebäude ist aber schneller zu verstehen und für den Leser einfacher aufzunehmen.

Erschienen in Ausgabe 01-02/202013 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 60 bis 65. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.