Herr Ginzel, während das Urteil am Landgericht Dresden gesprochen wurde, verschickten Sie die SMS: „Urteil im Journalistenprozess: Freispruch. LG AG“. Wie erleichtert waren Sie?
Ginzel: Um ehrlich zu sein, hatte ich zwei SMS-Nachrichten vorbereitet. Nur zur Sicherheit.
Ende November hatte der Richter seine vorläufige Auffassung zu Protokoll gegeben, dass das Verfahren wohl mit einem Freispruch ende. Hatte Ihnen das nicht Sicherheit gegeben?
Datt: Bis zuletzt haben die Staatsanwälte immer wieder neue Beweisanträge eingereicht. Darauf mussten dann unsere Anwälte reagieren, da bei einer Revision …
… zu der es vor dem OLG Dresden wohl kommen wird, wobei die Begründung bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht vorlag …
Datt: … bei einer Revision auch ein Urteil nach Aktenlage möglich ist. Wir mussten also entsprechend vorbereitet sein. Erst ganz am Ende lehnte der Richter weitere Beweisanträge ab.
Ginzel: Für mich war die zweite Instanz aufwühlender als die erste. Mich hat so wütend gemacht, dass der Staatsanwalt immer wieder das Gleiche wiederholt hat. Wie eine tibetanische Gebetsmühle. Immer wieder behauptete er, wir hätten dieses oder jenes geschrieben, was nicht der Fall war. Das war purer Starrsinn, gegen den man mit Argumenten einfach nicht ankommt.
Datt: Am Ende hat der Richter sämtliche Argumentationen unserer Anwälte in seinem Urteil eins zu eins übernommen: Dass man als Journalist Staatsanwälte kritisieren darf, dass man in einem Artikel Fragen stellen darf, dass im Fall einer Verdachtsberichterstattung die für den Beklagten positive Interpretation anzunehmen ist.
Selbstverständlichkeiten.
Ginzel: Das Komische ist: Irgendwann bei so einem Prozess fängt man selbst an, Selbstverständlichkeiten in Zweifel zu ziehen.
Viereinhalb Jahre lagen zwischen Erscheinen des Artikels und dem Urteil. Wie belastend war die Zeit?
Ginzel: In so einem Verfahren sitzt du ja eigentlich nur rum und hast körperlich nichts zu tun. Als das aber alles plötzlich vorbei und die ganze Anspannung weg war, da hast du das richtig körperlich gespürt. Ausgelaugt und ausgesaugt von all dem Druck und all der Kraft, die das gekostet hat.
Können Sie abschätzen, wie viele Einbußen Sie durch entgangene Aufträge erlitten haben?
Datt: Unser dritter Kollege hier im Büro, der das Finanzielle im Blick hat, sagt, dass uns allein durch das Verfahren in zweiter Instanz einige tausend Euro entgangen sind. Wir haben ja durch beide Prozesse viel Arbeitszeit verloren. Immerhin waren es insgesamt 19 Verhandlungstage, von der aufwendigen Vor- und Nachbereitung ganz zu schweigen.
Hätten Sie die Chance, das einzuklagen?
Ginzel: Unser Bedarf an Prozessen ist ehrlich gesagt gedeckt.
Datt: Über finanzielle Einbußen haben wir ehrlich gesagt nie wirklich nachgedacht, weil uns persönlich viel zu viel daran liegt, die Sache auszufechten.
Haben Sie in all der Zeit über den „Sachsensumpf“ berichten können?
Ginzel: Die ganzen Jahre seit 2008 nicht wirklich. Lediglich für das Leipziger Stadtmagazin „Kreuzer“ haben wir zum Prozessauftakt der beiden Frauen berichtet …
… die als minderjährige Zwangsprostituierte auf Fotos Justizbeamte als ehemalige Freier erkannt haben wollen …
Ginzel: … natürlich transparent mit dem Hinweis, dass wir da selbst strafrechtlich verfolgt werden.
Und künftig?
Ginzel: Wir sind da emotional schon sehr verstrickt. Aber es gibt eine ganze Reihe objektiver Belege, über die man sachlich berichten kann und muss.
Das Netzwerk Recherche und die Journalistenverbände haben Sie unterstützt. Von Anfang an?
Datt: DJV, Netzwerk Recherche und vor allem Reporter ohne Grenzen haben uns die gesamte Zeit unterstützt. Ohne sie hätte das Verfahren nie diese Öffentlichkeit bekommen.
Und die Redaktionen? Der Redakteur von „Spiegel Online“, dem Sie zugearbeitet hatten, hat ja schnell eine Geldstrafe akzeptiert.
Datt: Die „Spiegel“-Juristen haben das Ganze anfangs unterschätzt. Aber der Verlag hat sich unsere Anwaltskosten mit der „Zeit“ geteilt und uns das notfalls bis zur höchsten Instanz zugesichert. Dafür sind wir sehr dankbar. Eine Verurteilung hätte ja weitreichende Folgen für den gesamten Journalismus. Wenn schon eine kritische Frage eine Straftat wäre …
Bei aller Belastung: Sie beide sind durch dieses Verfahren bekannt geworden. So hat die Jury des „medium magazin“ Sie 2010 als „Journalisten des Jahres“ ausgezeichnet. Überwiegt der Schaden oder der Nutzen?
Datt: Langfristig zehren wir von dem Erkenntnisgewinn, wie so ein Verfahren ablaufen kann. Außerdem konnten wir zusätzliche Einsicht in Akten gewinnen. Dadurch ist uns erst in vollem Umfang klar geworden, wie skandalös die Ermittlungen waren, vor allem im Fall der beiden Frauen.
Ginzel: Ich kann mir schwer vorstellen, dass eine Staatsanwaltschaft außerhalb Sachsens vermeintlich beleidigte Leute auffordert, Anzeige zu erstatten.
Übrigens: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat gegen den Freispruch der beiden Leipziger Journalisten nun Revision eingelegt. Damit komme das Verfahren ans Oberlandesgericht Dresden (OLG), so Thomas Datt.
Erschienen in Ausgabe 01-02/202013 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 10 bis 11 Autor/en: Interview: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.