„Wir brauchen Kantigkeit, Alternativen, Widerspruch“

Ob Praktikanten, Volontäre oder Jungredakteure: Chefredakteure, die mehr an die Zukunft ihres Medienhauses als an ihre nächste Autorenzeile denken, machen sich über sie zunehmend Gedanken. Aus guten Gründen. Und sie gestehen ihresgleichen immer öfter ein: Beim Personal, da baut sich ein Problem auf. Medienhäuser tun sich immer schwerer, den Typus von journalistischen Mitarbeitern zu finden, auszubilden und zu halten, den sie benötigen. In diesem Sinne seien drei junge Personalebenen beschrieben, die zeigen, was sich verändert hat.

Praktikanten: Langmut half Redakteuren schon immer beim Umgang mit Praktikanten. Realisten wussten schon zu goldenen Print-Zeiten: Wer ein vielversprechendes journalistisches Talent finden will, muss sich mit ungleich mehr Praktikanten beschäftigen. Eine Quote von eins zu zehn galt als Minimum. Das ist auch heute nicht anders. Eines aber hat sich gewandelt: Deutlich mehr Praktikanten als früher zählen zur Generation „Biet mir was“.

Das Programm einer Redaktion für Praktikanten ist immer gleich. Die Hospitanten aber reagieren auf dasselbe Angebot extrem unterschiedlich: Für manche war es am Ende „die beste Zeit ihres Lebens“ – deutlich mehr vermitteln offen oder unfreiwillig, dass sie „mehr erwartet“ hatten. Diese jungen Frauen und Männer können nicht verbergen, dass sie von Redaktionen eine Fortsetzung von Schule oder Studium erwarten, bitte schön aber unterhaltsam: Sie möchten etwas geboten haben, didaktisch gekonnt und leicht konsumierbar. Schon an den ersten Kletterwänden des Berufslebens aber scheitern sie: Unverkrampft grüßen hat Seltenheitswert. Morgens voller Ideen kommen und diese auch nicht für sich behalten gilt offenbar als riskant. Viele Praktikanten wirken irritierend neutral – ganz so, als hätte ihnen jemand eingetrichtert, ja nicht aufzufallen. Fragen sind ihnen offenbar peinlich, erkennbar brennen tun die wenigsten. Jung sind sie alle, trockene Schwämme der Wissbegierigkeit aber die wenigsten. Durchbeißen, Durchhalten, Drauflosstürmen: ungelehrte Tugenden. Und so verlassen zu viele Praktikanten die Verlage, ohne dort einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben. Ohne die Visitenkarte ihrer Eignung für den Beruf des Journalisten hinterlassen zu haben.

Volontäre: Kein Chefredakteur wird von Volontären verlangen, dass sie in jeder Beziehung erwachsen sind und keine Kanten mehr haben. Gute Chefs wollen das Gegenteil. Sie suchen junge Leute, die wissen: Ja, ich muss noch viel lernen. Die den oft viel zu statischen Mittelbau in Redaktionen nicht noch vergrößern, sondern vermitteln: Ich werde mich und euch immer fragen, warum wir das so und nicht mal ganz anders machen. Diese personifizierten Frischzellenkuren für Redaktionen aber werden immer rarer.

Stattdessen sind Chefredaktionen mit immer mehr Bewerbern und folglich auch mit zunehmend mehr Volontären konfrontiert, die schon in jungen Jahren vor allem eins suchen: Sicherheit. Sie waren zwar in der Schulzeit ein Jahr in Neuseeland, sie haben ein Semester im Ausland studiert, sie haben beeindruckende Arbeiten zu hochgeistigen Themen geschrieben – aber wenn du sie nach ihrem beruflichen Traum fragst, dann ist die ernüchternde Standardantwort: „Eine Festanstellung nach dem Volontariat.“ Bewerber, die das Abitur mit Einskommanochwas gemacht, Politik studiert und über die westliche Verteidigungsallianz geforscht haben, wollen dir weismachen: Eine Stelle in einer Lokalredaktion, das wär’s. Korrespondent in Washington oder Berlin will, glaubt man ihren Worten, keiner werden. Und erst recht fragt keiner den Chefredakteur, wie man auf seinen Stuhl kommt. Wir möchten ihren Traum erfahren, um einschätzen zu können, was sie antreibt und wie lange in Bewegung hält – sie halten das für eine Falle, aus der sie sich mit Taktik winden müssen.

Diese rätselhafte Selbstbescheidung paart sich zu oft mit Defiziten: Viele Bewerber haben erschreckend wenig über ihren potenziellen Arbeitgeber recherchiert. Viele stellen keine Fragen, obwohl es um eine der wichtigsten Entscheidungen ihres Lebens geht. Viele sind Digital Natives – und argumentieren bei ihrer Bewerbung nur in Print-Kategorien. Viele können nicht überzeugend begründen, warum sie den anspruchsvollen Beruf des Journalisten erlernen und leben wollen. Zwar sagt keiner „irgendwas mit Medien halt“ – aber immer mehr verraten ungewollt genau das. Und zu wenige vermitteln ihren künftigen Chefs: Ich muss Journalist werden, weil ich für eine bessere Welt schreiben will. Genau solche Typen aber suchen Chefredakteure – nicht ausschließlich, aber bitte doch auch. Weil wir wissen: Diesen harten Beruf steht der durch, in dem ein starkes Feuer brennt.

Jungredakteure: Viele von ihnen sind vielen von uns Chefredakteuren das größte Rätsel. Da erkämpfst du in nicht eben einfachen Zeiten die Möglichkeit, fertige Volontäre als Redakteure zu übernehmen – und prompt geht dir und damit uns als Branche die Mehrzahl dieser jungen Kollegen danach faktisch verloren. Variante 1: Sie arbeiten zwei, drei Jahre in ihrem vermeintlichen Traumberuf als Tageszeitungsredakteur – und wechseln dann rätselhaft früh in eine Pressestelle. Oft begründen sie das ganz offen mit dem Hinweis auf die besseren Arbeitszeiten. Und sagen damit auch: Ich war also doch kein Vollblut. Typus 2 ist noch problematischer – weil er in unseren Redaktionen bleibt: Oft hoch begabte Kollegen, die sich schnell und ohne Gegenwehr vom redaktionellen Alltag verschlucken lassen. Sie könnten mehr und dürften anders – aber sie tun es nicht. Sie bekommen schon mit 30 gleichsam graue journalistische Haare. Sie machen am liebsten nur Print statt Crossmedia. Sie lassen sich von Regularien und Ritualen eingrenzen und rundschleifen – ohne auszutesten, was passieren würde, wenn sie das nicht mit sich machen ließen. Was sie dürften, sollten, müssten. Und viel zu rasch werden sie viel zu leise.

Die abgehobene Sicht von Chefredakteuren, die „da oben leicht reden haben“? „Früher war alles besser“-Gerede? Mitarbeiter-Bashing? Nein – nichts von dem. Im Gegenteil: Für das, was der Medienbranche bevorsteht, brauchen wir leidenschaftlichere Journalisten denn je. Wir werden in unseren Redaktionen wieder viel mehr streiten, wir werden mehr unterschiedliche Typen vereinen müssen, um einem anspruchsvolleren Markt gefragte Medienprodukte bieten zu können.

Praktikanten, Volontäre, Jungredakteure: Wir brauchen eure Kantigkeit, eure Alternativen, euren Widerspruch. Und auch euren Willen, es anders als die alten Herrschaften zu machen. Gebt uns Kontra. Wir brauchen das. Chefredakteure schätzen genau das viel mehr, als ihr glaubt. Zumindest die guten.

Erschienen in Ausgabe 01-02/202013 in der Rubrik „Special“ auf Seite 58 bis 59 Autor/en: Christian Lindner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.