Allerlei Neger

Donnerwetter! Das hat der Sprachkritik wohl niemand zugetraut, dass sie einmal so weite Kreise ziehen würde. Die Debatte über allerlei schlimme Wörter wie „Neger“ findet nach drei Monaten immer noch kein Ende. Angefangen hatte es mit Kristina Schröder, der deutschen Familienministerin, die im Dezember kundtat, dass sie sexistische und rassistische Vokabeln in Märchen und Kinderbüchern gleich beim Lesen wegretuschiert. Den „Negerkönig“ bei „Pippi Langstrumpf“, das „Negerbaby“ bei „Jim Knopf“.

Eigentlich eine alte Debatte: Als im Herbst 2011 KiKa, der Kinderkanal von ARD/ZDF, „Jim Knopf“ und die „Augsburger Puppenkiste“ auf den Index setzte, löste das bereits heftige Proteste aus. Vom einfachen Zuschauer bis zum bayerischen Kultusminister. Und es sah so aus, als würden die Sauberfrauen und -männer obsiegen. Ja, die Kinderbücher müssten dringend desinfiziert werden, hieß es allenthalben. Verlage gingen auch gleich zu Werke, um der gesamtdeutschsprachigen Schelte zu entgehen. Kurz vor seinem Tode geriet auch Otfried Preußler noch in die Mühlen der sprachkritischen Rechtschaffenheit: Aus Welterfolgen wie „Die kleine Hexe“ mussten nun ganz dringend Wörter wie „Negerlein“, „Chinesenmädchen“ und „Zigeuner“ eliminiert werden, sogar die Hexe selbst geriet vorübergehend in Gefahr.

Schäumende Köpfe

Schließlich ereilte uns die zweihundertdreiundsiebzigste Wiederholung der „Negerkuss“-Debatte, als ein Konditor aus dem Schwarzwald seine Schaumgebäck-Kreation „Tübinger Mohrenköpfle“ nannte. Große Aufregung, die noch größer wurde, als Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer mehr Gelassenheit empfahl und dringend davon abriet, beim „Mohrenköpfle“ von Rassismus zu sprechen. Was ihm prompt den Vorwurf einbrachte, er sei auch einer. Ein Rassist. Der Hinweis (nachzulesen im Berliner „Tagesspiegel“), dass die grüne Bundestagsfraktion schon 1987 entschieden hatte, den Negerkuss hinkünftig „Nelson-Mandela-Solidaritäts-Schaumgebäck“ zu nennen, wird die Kämpfer gegen rassistisches Sprechen noch mehr zum Schäumen gebracht haben.

Schon dachte man, jetzt wären auch die Österreicher dran. Müsste man nicht Peter Horton die weitere Verbreitung des „Kartendippler-Blues“ verbieten? In dem es – leicht eingedeutscht – heißt: „Ich hab mein Geld verlor’n, I lost my money, jetzt bin ich neger word’n, what you say to me.“ Und was machen wir mit Rainhard Fendrichs Lied: „Ich bin ein Negerant, Madame, einst war ich Fabrikant, Madame, dann hab ich mich verplant, Madame. Und jetzt bin ich am Sand“ ? In beiden Fällen heißt „neger“ schlicht „pleite“. Darf man das sagen? Darf man noch „schwarzfahren“ sagen?

Reaktionäre Zensur!

Aber dann geschah etwas Bemerkenswertes: Nach etlichen Wochen gut gemeinter Empörung in Presse, Funk & Fernsehen fingen einige Journalisten an nachzudenken, und das sogar öffentlich. In SZ und FAZ und „taz“ und anderswo gewann mählich die Erkenntnis Raum, dass hier etwas schiefgelaufen war. Dass Zensieren, Eliminieren, Säubern noch so gut gemeint sein mag – es hat immer etwas Reaktionäres. Dass Eltern und Kinder gleichermaßen unterschätzt werden, wenn man Eltern nicht zutraut, den Kindern den historischen und semantischen Zusammenhang zu erklären und ebenso, dass Wörter sich ändern, dass Zusammenhänge sich ändern, in denen die Wörter gebraucht werden. Und wenn man Kindern unterstellt, sie würden sogleich zu Rassisten, wenn sie von Negern, Zigeunern, Chinesenmädchen lesen. Dass solche Begriffe mal Verachtung und Herabwürdigung signalisieren, mal gedankenlose, mal sehr bewusste Übernahme dessen sind, was man so redet – das ließe sich z. B. bei Tom Sawyer und Huckleberry Finn leicht erklären. Oder bei Wilhelm Busch, der einige besonders ekelhafte antijüdische Klischees übernommen hat. Will man die auch wegzensieren? Das wäre genau das Missverständnis, das diese Debatte beherrscht hat. Wonach nämlich die Wörter rassistisch oder sexistisch oder sonst wie von Übel wären. Es ist aber – sieh mal einer an – immer die Ideologie, die dahintersteht. Wollen wir diese Erkenntnis unseren Kindern vorenthalten? Eins ist sicher: Die Auseinandersetzung damit halten die Kleinen aus. Besser als manche Großen.

Peter Zudeick

ist freier Journalist und politischer Korrespondent für mehrere ARD-Hörfunkprogramme.

p.zudeick@t-online.de

Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 73 bis 73 Autor/en: Peter Zudeick. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.