Bloß keine Namen!

Sexismus ist ein gesellschaftliches Problem, das auch vor Redaktionen nicht Halt macht. Besonders bitter ist es, wenn Sexismus und Beleidigungen sich für die Täter auch noch auszahlen. Wie im Fall der freien Mitarbeiterin Maria Seidensticker.

19 Jahre war die Frau, als ein ebenfalls freier Mitarbeiter sie vor versammelter Kollegenschaft in einer Lokalredaktion beschimpfte. „Das Gesicht von ihm werde ich nie vergessen. Das leicht geile Gesicht, als er auf mich los ging“, berichtet Seidensticker von der Szene aus 2003, die sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt hat. Der Mitarbeiter habe sich geärgert, dass die junge Kollegin ihm immer wieder Themen vor der Nase weggeschnappt habe, einfach einfallsreicher und beliebter gewesen sei.

Eines Tages erfuhr er, dass Maria Seidensticker nebenbei noch in einer Gaststätte als Bedienung arbeitete. Damit wollte sich die junge Frau, die in Wirklichkeit natürlich anders heißt, ein späteres Studium finanzieren. Vor sieben Redakteuren und einer Redakteurin sprach ihr vermeintlicher Konkurrent sie auf ihren Nebenjob an. „Der Wirt, bei dem du arbeitest, hat dir doch auch schon mal einen weggesteckt. Oder dir zumindest schon zwischen die Beine gefasst, so wie du rumläufst“, sagte er. Und überhaupt sei sie doch nur deshalb in der Redaktion, weil sie gut aussehe.

Maria Seidensticker war fassungslos, saß auf einem Stuhl, wusste nicht, was sie erwidern sollte. Auch die anderen Journalisten saßen da, schauten zu und schwiegen. Erst nach mehreren Minuten sei einer der Redakteure halbherzig dazwischengegangen, erinnert sich die damals 19-Jährige. Sie selbst sei dann auf die Toilette geflüchtet und habe vor Scham geheult.

Das war es, was der wesentlich ältere Mann erreichen wollte. Zwei Wochen später verließ seine vermeintliche Konkurrentin die Lokalzeitung im Ruhrgebiet – „weil ich den Mann nicht mehr sehen wollte und auch die Kollegen nicht, die mich nicht beschützt hatten“, sagt Seidensticker.

So ähnliche Szenen und andere Peinlichkeiten haben auch andere Journalistinnen erlebt. Viele zu Beginn ihrer Karriere in Lokalredaktionen. Eine berichtet von einem Herrenabend zu Fasching. Sie war damals gerade 19: „Es war wirklich ekelhaft. Ein Bus voller Stripperinnen aus Osteuropa war die Attraktion des Abends. Und zu vorgerückter Stunde war ich die einzige noch bekleidete Frau in einem Saal voll Betrunkener. Am schlimmsten war, dass mich meine Kollegen absichtlich zu diesem Termin geschickt hatten, der wohl jedes Jahr an die neue Redaktionspraktikantin vergeben wird.“

Eine andere erinnert sich, dass zu einem bestimmten Bürgermeister immer die Volontärinnen geschickt wurden, da er bei denen am redseligsten gewesen sei: „Die Prahlereien und Anzüglichkeiten des knapp 60-Jährigen zu ertragen, gehörte quasi zur Recherche. Beschwert haben wir uns nie. Was hätte es auch genützt?“

Zickig, humorlos, inkompetent

„Sexismus ist in unserem Beruf genauso verbreitet wie in anderen Teilen der Gesellschaft“, erklärt Mechthild Mäsker, Vorsitzende des Fachausschusses Chancengleichheit beim Deutschen Journalisten-Verband (DJV). Sie kennt kaum Kolleginnen, die nicht von unangebrachten Bemerkungen, komischen Szenen mit Kollegen oder eindeutigen Belästigungen berichten können. „Wenn Frauen sich wehren, werden sie oft als zickig, humorlos oder gar inkompetent hingestellt.“

Das Thema totzuschweigen, sei trotzdem nicht hilfreich. „Es gehört in Redaktionen genauso auf die Tagesordnung wie andere Probleme auch.“ Andrea Ernst, Vorsitzende des Journalistinnenbundes (JB), weiß: „Überall, wo ein Machtgefälle besteht, kommt Sexismus vor.“

Das Einfallstor im Journalismus ist ihrer Ansicht nach besonders groß, weil es immer mehr unsichere Arbeitsverhältnisse gibt: „Die Abhängigkeit von Honoraren, Auftraggebern und der Verlängerung befristeter Verträge hat die Situation nicht entschärft. Eher im Gegenteil.“

Ein betrunkener Fernsehredakteur, der eine freie Mitarbeiterin bei der Weihnachtsfeier begrapscht, ein Radiomoderator, der einer Praktikantin an den Busen fasst, eine Volontärin im Lokalen, die beim Richtfest für eine Feuerwehr gebeten wird, doch vor dem Ordnungsamtschef die Leiter hochzusteigen – die meisten Fälle, von denen „medium magazin“ erfährt, liegen bereits ein paar Jahre zurück.

Hat sich die Situation also demnach verbessert? „Nicht unbedingt“, sagt Andrea Ernst. „Die meisten Opfer sexueller Belästigungen sprechen, wenn überhaupt, erst Jahre später über ihre Erlebnisse. Und viele von ihnen lieber anonym oder unter falschem Namen.“

So auch Jasmin Alber (Name gändert). Sie volontierte gerade bei einer Fachzeitschrift, als sie von ihrem Chef ein besonders respektloses Geburtstagsgeschenk bekam. Als sie es auspackte, war ihr erster Gedanke: „Was habe ich getan, um das zu provozieren?“ Sprachlos, mit geröteten Wangen, packte sie das Buch schnell wieder ins Papier zurück. Der Titel: „Die 100 besten Sex-Tricks“. In Albers Redaktion war es Brauch, dass der Chefredakteur jedem Mitarbeiter zum Geburtstag ein Buch schenkt. „Meist war es etwas Geschmackvolles“, erinnert sich die Journalistin, „ein Krimi oder so etwas. Als ich mein Buch auspackte, bin ich schier vom Glauben abgefallen.“

Alber fragte einen Kollegen um Rat. Seine Empfehlung: „Lass das nicht unter den Tisch fallen, sondern sprich ihn darauf an!“ Also stellte Alber ihren Chefredakteur in einem Vier-Augen-Gespräch zur Rede, fragte ihn, was das denn solle, wie das aussähe, wenn es die Kollegen mitbekommen hätten? Der Chefredakteur entschuldigte sich kleinlaut, einige Tage später lag in Albers Fach ein teurer Bildband über die schönsten Reiseziele der Welt.

Eine Latte im Cafe

Wer mit Kolleginnen spricht, denen Sexismus begegnet ist, hört immer wieder: „Nennen Sie bloß keine Namen!“ Die Frauen wollen anonym bleiben. Niemand soll wissen, dass sie belästigt wurden, wer die Täter waren oder für welches Medium sie gearbeitet hatten.

Meike Winnemuth erinnert sich an frühere Zeiten. Auf Facebook schreibt die 1960 geborene Redakteurin, Frauen seien beim „Stern“ früher „Klimakteriumsfotzen vom Ressort Strick & Fick“ genannt worden. Dass niemand sich beklagt habe, auch sie selbst nicht, betrachtet Winnemuth, die in den 90ern beim „Stern“ war, heute als Fehler. „Damals war die Strategie: die Spielregeln der Jungs hinnehmen und sie zum Teil zu den eigenen machen.“ Ihr Fazit? „Hat nicht sonderlich gut geklappt, wie man sieht.“

Doch die Zeit des Schweigens ist vorbei – seit Laura Himmelreich das Brüderle-Porträt veröffentlicht hat. Reihenweise haben sich in Deutschland seither Frauen – darunter auch Journalistinnen – ihre Erlebnisse unter dem Hashtag #Aufschrei von der Seele geschrieben. Dass das Thema auch in anderen Ländern virulent ist, zeigen seit kurzem das Tumblr-Blog „Said to Lady Journos“ und der zugehörige Twitteraccount @ToLadyJournos: Dort veröffentlichen englischsprachige Journalistinnen derzeit all das, was sie sich schon bei ihrer Arbeit anhören durften. Das meiste dürfte nicht wenigen Kolleginnen hierzulande ziemlich bekannt vorkommen.

Link:Tipp

Der englischsprachige Blog „Said to Lady Journos“:

http://saidtoladyjournos.tumblr.com/

twitte
r: @toladyjournos

Andreas Maisch

ist freier Journalist in Berlin.

autor@mediummagazin.de

Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 34 bis 35 Autor/en: Andreas Maisch. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.