Chor der Wölfe

Herr di Lorenzo, gibt es einen Politiker, der Ihnen absolut zuwider ist?

Giovanni di Lorenzo: Mein Verhältnis zu Politikern ist weniger emotionaler als vielmehr professioneller Art. Bewunderung oder Ärger spielen da keine so große Rolle. Manchmal aber habe ich durchaus Mitleid.

In Ihrem Buch „Wofür stehst du?“ schreiben Sie: „Wie ich das hasse, dieses ewige Herumhacken auf allem und jedem, was Politik ist und ausmacht, und das ausgerechnet in Deutschland, das doch so ein Schlaraffenland ist.“ Finden Sie, dass es uns Deutschen zu gut geht, als dass wir unsere Politiker kritisieren dürften?

Gemessen an anderen Ländern haben wir in Deutschland eine akzeptable politische Klasse. Dieses Buch ist ja ein Disput mit meinem Freund, dem Journalisten und Schriftsteller Axel Hacke, der sich aus allem Politischen weitgehend zurückgezogen hat, auch aus Ekel über die Politik. Dem halte ich entgegen: „Du kannst nicht alles schlecht und furchtbar finden und dann selber nichts tun!“ Ich habe in meinem Leben, vor allem während des Studiums, viele beeindruckende, fähige Menschen kennengelernt, von denen so gut wie keiner in die Politik gegangen ist. Einfach, weil sie sich gesagt haben: „Das tu ich mir nicht an.“ Wir dürfen froh sein, dass es noch ein paar Leute gibt, die diesen Job machen wollen.

Sie sagen, das Image der Politiker sei so schlecht, dass man sie verteidigen müsse. Aber ist das tatsächlich die Aufgabe der Medien?

Wir Medienmacher sind Vermittler von Politik. Wir erklären unseren Lesern, was politische Entscheidungen für sie bedeuten. Und da dürfen wir nicht Ressentiments oder Ängste schüren, wo sie nicht angebracht sind. Natürlich sind wir keine Erziehungsanstalt. Die „Zeit“ versteht sich als Blatt, das den Lesern die Mittel an die Hand gibt, die sie brauchen, um sich eine eigene Meinung zu bilden, wie es unsere verstorbene Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff so schön gesagt hat.

Aber sitzen Sie mit Ihrer Rücksichtnahme nicht manchmal zu nahe dran an der Regierungsbank?

Keinesfalls, diese Vorstellung ist lächerlich. Mir ist mal von einem Bundeskanzler abends an einer Bar das Du angeboten worden. Ich habe es, sehr zum Verdruss dieses Kanzlers, abgelehnt. Auch meine persönlichen Bindungen sind völlig unverdächtig: Ich duze nur drei Politiker. Zwei davon kenne ich quasi seit meiner Schulzeit und mit der dritten bin ich einfach befreundet. Es wäre völlig albern, sie zu siezen. Dafür, dass ich seit 33 Jahren im Geschäft bin, ist das jedenfalls eine sehr magere Duz-Ausbeute.

2011 ist Karl-Theodor zu Guttenberg nach einer außerordentlichen Karriere vom populären „Superminister“ innerhalb kürzester Zeit zur Persona non grata abgestiegen. Sie durften nach diesem Sturz das erste Interview mit ihm führen, eigentlich ein journalistischer Glücksfall, der Ihnen aber den Vorwurf einer versuchten Guttenberg-Rehabilitation eintrug. Mit welcher Intention haben Sie dieses Interview geführt?

Mit der Intention, mit der ich jedes Interview führe – dem Gesprächspartner etwas zu entlocken, das einen unverstellten Blick auf ihn ermöglicht, im Guten wie im Schlechten.

Das Gespräch erschien ja als Buch. Warum haben Sie es außerdem noch als Vorabdruck in der „Zeit“ gebracht?

Ich habe das Interview überhaupt nur gemacht, weil ich es für die „Zeit“ haben wollte. Das Buch war nur Mittel zum Zweck, um den Erstzuschlag zu bekommen. Hinterher habe ich vor einem Millionenpublikum bekannt, dass die Kombination von Buch und Vorabdruck ein Fehler war, den ich nur zu gerne rückgängig machen würde, wenn ich könnte.

Was genau war Ihr Fehler?

Dieses Interview war hoch interessant und vor allem hoch wirkungsvoll, es hat viel ausgelöst. Mein Fehler war, dass der Eindruck entstehen konnte: Giovanni di Lorenzo ist Teil einer Kampagne zur Wiedereingliederung Guttenbergs in die politische Klasse. Oder, was mindestens genauso schlimm ist: Das macht der nur, um sich zu bereichern.

Das war nicht der Fall?

Nein, definitiv nicht. Alles, was ich mit diesem Buch verdient habe und verdienen werde, spende ich.

Wie groß ist der Schaden, der dadurch für die „Zeit“ entstanden ist?

Es hat Unmut gegeben und natürlich haben ein paar Leser ihr Abo gekündigt. Das ist allerdings kein Einzelfall, sondern passiert leider immer mal wieder.

Karl-Theodor zu Guttenberg hat Ihnen im Interview gesagt, der Druck habe ihn überwältigt, er „hatte am Ende nicht mehr die Kraft, um weiterzukämpfen“.

Ein, wie ich glaube, sehr authentischer Moment in unserem Gespräch.

Er beklagt – wie auch Sie – einen Konformismus der Medien, über den Sie sagen: „Es fällt mir schwer, mit den Wölfen zu heulen.“ Warum handeln die Medien oft so – wie Sie meinen – konformistisch, obwohl sie in Deutschland heute freier sind als je zuvor?

Journalisten wollen gemocht und von Lesern und Kollegen nicht verurteilt werden. Die Angst, sich gegen den Mainstream zu stellen, ist groß. Das hängt auch mit den oft sehr heftigen Reaktionen zusammen, die Autoren im Netz bekommen. Ich hatte so einen Fall bei der „Zeit“: Da hat ein junger Kollege bei einer Pro-und-Kontra-Debatte zum Thema „Soll man die Linkspartei observieren?“ die Pro-Seite eingenommen. Innerhalb von Stunden hat er im Internet eine unglaubliche Dröhnung an Wut und Kritik abbekommen – man kann nur hoffen, dass ihn das nicht dauerhaft einschüchtert. Ich plädiere für eine Debattenkultur, in der etwa eine Verteidigung Christian Wulffs noch möglich ist, ohne dass der Verteidiger deshalb an den Pranger gestellt wird. Sich außerhalb des medialen Chores zu positionieren, ist zur Mutprobe geworden.

2011 hat Schmidt den ehemaligen SPD-Finanzminister Peer Steinbrück in einem umfangreichen Vorabdruck ihres gemeinsamen Buches in der „Zeit“ zum Kanzlerkandidaten gekürt. Die Überschrift der großen Titelgeschichte: „Schmidts Erbe“. Es gab eine mediale Großoffensive: Zusammen saßen beide bei Günther Jauch in der Sendung und auch der „Spiegel“ titelte: „Er kann es“, darunter ein Bild von Schmidt und Steinbrück.

Wir hatten als Einzige den Vorabdruck. Und um den hatten wir uns auch intensiv bemüht. Schmidts Wertschätzung für Steinbrück ist ja nur ein winziger Teil dieses Gesprächs, das hauptsächlich eine Auseinandersetzung über Wirtschaftspolitik ist.

Sehen Sie kein Problem darin, dass Helmut Schmidt „Zeit“-Herausgeber ist, gleichzeitig Mitglied der SPD und Peer Steinbrück dann derart hofiert?

Wir haben doch keine Geschichte darüber gemacht, wie toll Steinbrück ist, sondern wir haben einen Vorabdruck gehabt. Und das war gerechtfertigt. Wir fanden, dass das, was in seinem Buch steht, interessant ist und für sich spricht.

Wenn man das Interview liest, kann man den Eindruck gewinnen: Das ist bis ins kleinste Detail inszeniert und sehr bewusst abgestimmt.

Im Gegenteil. Wir mussten Helmut Schmidt die Veröffentlichung abringen. Wenn es nicht bei uns als Vorabdruck erschienen wäre, hätte es ein großer Konkurrent gebracht, mit dem wir bis zuletzt im Wettstreit um den Text lagen.

Sie haben einmal gesagt, Sie verlangten von Ihren Redaktionskollegen, dass sie Distanz zu den politischen Parteien wahren. Ist das nicht ein frommer Wunsch?

Ich finde ja, dass wir heute mehr Distanz wahren als früher. Früher war es völlig normal, dass man als Mitglied einer Partei auch über diese Partei berichtet hat. Dabei kamen durchaus auch gute Berichte heraus; es gab fantastische Journalisten, die in dieser Konstellation gearbeitet haben, wie den leider schon verstorbenen Martin E. Süskind. Er war Redenschreiber von Willy Brandt, SPD-Mitglied, dann Korrespondent für die „Süddeutsche Zeitung“ in Bonn und schließlich Chefredakteur beim &#x201E
;Kölner Stadtanzeiger“ und bei der „Berliner Zeitung“ – ohne jemals sein Parteibuch abgegeben zu haben. Das wäre heute undenkbar. Deswegen glaube ich, dass es mehr Transparenz und Distanz gibt als früher.

Bedeutet diese Distanz auch mehr Gewicht gegenüber der Politik? Hat die „Zeit“ Macht?

Man kann sagen, dass wir Themen setzen und auch Meinungsbildungsprozesse initiieren können. Was ich mir immer wieder wünsche, und was wir gelegentlich wohl auch leisten, ist Widerborstigkeit – die Öffentlichkeit mit Meinungen zu konfrontieren, die überraschend sind.

Sie haben einmal davon berichtet, wie Sie am Anfang Ihrer Karriere das Angebot erhielten, Silvio Berlusconis Bürochef zu werden. Im Vorstellungsgespräch haben Sie gefragt: „Was sollte mich daran reizen?“ Als Antwort kam schlicht: „Macht.“ Da sind Sie zurückgeschreckt. Warum?

Mein Instinkt sagte mir: „Das ist nicht deine Welt.“ Ich erinnere mich noch sehr genau daran: Ich kam nach Hause und sagte zu meiner damaligen Freundin: „Da geht’s zu wie bei, Dallas‘ und, Denver‘ – und das bin nicht ich.“ Einer der Sätze, die in diesem Gespräch damals fielen,der bei mir hängengeblieben ist, war: „Ihr Journalisten beschreibt Macht immer nur – wir haben sie.“

Als Politiker müsse man Journalisten nehmen wie das Wetter, man könne sie ohnehin nicht ändern, hat Helmut Schmidt einmal gesagt.

Das finde ich sehr weise.

Wirklich? Haben die Medien heute nicht sehr viel mehr Einfluss auf die Politik, als dass man sie links liegen lassen könnte?

Nein. Ich glaube, dass ein Verriss in der „Zeit“, in der „Süddeutschen Zeitung“ oder dem „Spiegel“ früher viel stärker auf die politische Klasse durchgegriffen hat als heute. Gerade weil es heute eine große Pluralität der Medien gibt, weil das Internet an Bedeutung gewinnt und die Fernsehlandschaft zersplittert, kümmern Politiker einzelne Verrisse überhaupt nicht mehr.

In den 90er Jahren hatten die Zeitungen große Angst vor der zunehmenden Macht des Fernsehens. 1996 schrieben Sie in einem Essay, ein kurzer Blick in die Vergangenheit zeige, „dass jedes neue Massenmedium sofort die aufgeregten Stellungnahmen jener provoziert, die schon das Ende der Menschheit, mindestens aber den Untergang der Kultur befürchten“. Beobachten Sie den Aufstieg der neuen Netz-Medien heute genauso entspannt?

Die Macht des Netzes hätte ich mir zu diesem Zeitpunkt im Traum nicht vorstellen können. Ich glaube, dass das Internet mächtiger ist als jedes andere Medium, das es bislang gegeben hat. Eine andere Frage ist, ob dadurch die anderen Medien verschwinden müssen. Das glaube ich nicht. Aber dass es eine Wechselwirkung gibt, kann niemand bestreiten. Ob es die „Zeit“ in der Print-Ausgabe in ein paar Jahrzehnten noch geben wird, kann ich Ihnen leider auch nicht beantworten, so gerne ich das bejahen würde. Aber da ich kein Holzhändler bin, sondern Journalist, ist für mich entscheidend, dass unabhängiger, kritischer und aufwendiger Journalismus überleben kann – in welcher Form auch immer.

Sie haben einmal gesagt, die großen Qualitätszeitungen müssten „das Rückgrat des politischen Diskurses“ sein. Sind das nicht ziemlich große Worte?

Ich habe da Jürgen Habermas zitiert, der die seriöse Presse als „Rückgrat der politischen Öffentlichkeit“ bezeichnet hat. Und legen Sie es mir bitte nicht als Vermessenheit aus, wenn ich die „Zeit“ dazuzähle – auch deshalb, weil wir nicht alle Moden und Mätzchen mitmachen, weil unsere Autorität auch daher rührt, dass wir eben nicht parteilich sind. Partei ergreifen darf eine Zeitung dagegen durchaus.

Giovanni di Lorenzo (53) ist seit 2004 Chefredakteur der „Zeit“ – die 2012 zur „Europäischen Wochenzeitung des Jahres“ gewählt wurde (s. Seite 43). Sie verzeichnete zudem im 4. Quartal 2012 mit rund 513.000 Exemplaren die höchste verkaufte Auflage seit ihrer Gründung.

Giovanni di Lorenzo arbeitet seit 1980 als Journalist. Neben seinen Fernsehaktivitäten (1984 bis 1987 Moderation der Jugendsendung „Live aus dem Alabama“ des BR, seit 1989 der Talkshow „3 nach 9“ bei Radio Bremen) arbeitete er von 1987 an bei der „Süddeutschen Zeitung“, zunächst als politischer Reporter, später als Leiter der „Seite 3“. 1999 wurde er Chefredakteur des Berliner „Tagesspiegel“ und nach seinem Wechsel zur „Zeit“ 2004 zu dessen Mitherausgeber.

Info

Wochenzeitung des Jahres

Beim European Newspaper Congress 2013 vom 5. bis 7. Mai in Wien wird das Konzept der „Zeit“ im Detail vorgestellt werden. Denn „Die Zeit“ ist von der Jury des 14. European Newspaper Award zur „Europäischen Wochenzeitung des Jahres 2012“ gewählt worden. Außerdem auf dem ENC-Programm: verschiedene Case Studies aus der europäischen Zeitungsszene, Diskussionen und Vorträge – z. B. wird Emily Bell, Chefin des Tow Centers für digitalen Journalismus an der Columbia Graduate School of Journalism, erklären, wie Journalismus und Medien in der Spezialisierung einen Ausweg finden können.

Das komplette Programm und weitere Infos: www.newspaper-congress.eu

Lesetipp: Das Interview ist ein gekürzter Vorabdruck aus dem Buch von Bernhard Pörksen und Wolfgang Krischke (Hrsg.): „Die gehetzte Politik. Die neue Macht der Medien und Märkte“. Herbert von Halem Verlag (Köln) 2013, 19,80 Euro. Für das Buch haben Tübinger Studierende Politiker, Journalisten, Skandalopfer und PR-Berater befragt. www.die-gehetzte-politik.halem-verlag.de

Julia Klebitz (28) hat Germanistik, Kunstgeschichte und Medienwissenschaft (in Tübingen) studiert und die ifp-Journalistenschule besucht. Zurzeit volontiert sie beim „Schwarzwälder Boten“.

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Florian Stocker (22) studiert Germanistik und Politikwissenschaft an der Universität Tübingen.

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Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Medien und Beruf“ auf Seite 40 bis 43 Autor/en: Interview: Julia Klebitz und Florian Stocker. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.