Darf man … auf Podien surfen?

Nehmen Sie einem Zuhälter seinen aufgemotzten Mercedes weg, seine Goldketten ab und zurück bleibt ein armes Würstchen mit einer großen Klappe. Nehmen Sie einem Piraten, dem der Partei, sein mobiles Endgerät weg und zurück bleibt ein Mensch, der, nun ja … Das Programm der Piraten speist sich aus Gedanken rund um die Nutzung des Internets, der nötigen Apparate und der daraus resultierenden Herausforderungen für die Gesellschaft. Wenn so ein Pirat auf ein Podium, in eine Talkshow geladen ist, billigen wir ihm zu, dass er auch dort mit seinen mobilen Endgeräten hantiert. Diese Bereitschaft gründet darin, ihm und uns seine metaphorische Nacktheit zu ersparen.

Nun lässt sich verstärkt auf Podien im Fernsehen und auf solchen, auf denen Journalistinnen und Journalisten sitzen, beobachten, dass die Teilnehmer mit ihrem Smartphone oder iPad zugange sind. Wir gehen zu ihren Gunsten mal davon aus, dass sie in jeder Beziehung „omni“ sind und trotz ihrer Beschäftigung mit der Außenwelt dem Geschehen, zu dem sie geladen sind, folgen.

Im Angesicht dieses verstärkt auftretenden Phänomens möchte ich als Ihre Moralberaterin die Frage stellen: Ist das statthaft?

Da ich in der Funktion einer Beraterin zu Ihnen spreche und nicht als Fragestellerin, haben Sie Anspruch, eine Antwort von mir zu erwarten. Und ich muss sagen, dass ich es einmal mehr bedaure, anders als der Kollege Dr. Erlinger vom Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ nichts von Anspruch studiert zu haben und nicht darauf verweisen zu können, was die alten Griechen zum Thema „Computer im Talk“ gesagt haben. Mir bleiben nur die Abwägung und mein Bauchgefühl.

Beginnen wir mit der Abwägung. Drei Dinge kommen infrage, die so ein Gast mit Endgerät tut, wenn er nicht auf „Spiegel Online“ die Satireseite anguckt: 1. er checkt seine Mails, 2. er informiert sich über die aktuelle Nachrichtenlage, 3. er sucht nach gesprächsdienlichen Fakten. Punkt eins und zwei weisen darauf hin, dass es sich um eine wichtige Person handelt: „Ich bin zwar grad an einer Podiumsdiskussion beteiligt, aber mein Amt erfordert es, immer auf dem neusten Stand zu sein.“ Das ist ein schönes Signal an das Publikum, der richtigen Veranstaltung beizuwohnen, einer mit wichtigen Leuten und nicht einer mit Luschen. Toll ist es auch, wenn der Gast mit sachdienlicher Information die Diskussion weiterbringen kann oder einen Disput klären, insbesondere, wenn der Moderator nicht gut vorbereitet ist. ABER, und jetzt kommen wir zur Parade der Gegenargumente, schon darin liegt eine Herabwürdigung des Gastgebers. Nicht nur, dass das ich-klink-mich-hier-mal-aus-und-mach-mein-eigenes-Ding ein Affront gegenüber dem Gastgeber ist, das Hereinholen von Fakten kann den Moderator als unzureichend und schlecht vorbereitet vorführen. Etwas, das man mit einem Gastgeber nicht macht, schon gar nicht im Fernsehen. Und da kommen wir vielleicht zum Kern des Problems: Die Menschen auf dem Podium sind Gäste. Jemand hat sich die Mühe gemacht, sie einzuladen, Stühle bereitzustellen und kalte Getränke. In dem Moment, in dem man die Einladung annimmt, fügt man sich in die Rolle des Gastes. Also desjenigen, der seine Bedürfnisse unter die Hausordnung stellt. Schuhe auszuziehen, wenn gewünscht, die Sitzordnung anzunehmen, die Musik auszuhalten. Des Weiteren beinhaltet die Beschäftigung mit seinem Smartphone die unmissverständliche Botschaft: Dat is hier nich so dolle. Die anderen sind langweilig. Und auch das ist etwas, das man dem Gastgeber nicht sagt: Dass er nur Langweiler und Idioten eingeladen hat. Jedenfalls sagt man es nicht, solange die noch anwesend sind. Und dies auch den anderen Geladenen durch die Beschäftigung mit einem Gerät zu suggerieren, ist in unserem kulturellen Katalog des Akzeptanzverhaltens für Veranstaltungen nicht vorgesehen. Man holt ja auch kein Puzzle raus. Obendrein nimmt man durch diese Handlung dem Moderator die Gestaltungshoheit ab, indem man sich aus der kollektiven Situation ausklinkt. Er hat sich schließlich etwas gedacht, ein Konzept, ein Vorgehen erarbeitet, will alle Personen ins Gespräch bringen, was ad absurdum geführt wird, wenn da plötzlich einer ist, der mit seinem Smartphone oder seinem iPad rummacht. Das lernen die Kinder schon im Kindergarten: Wenn Stuhlkreis ist, dann hat da nicht einer sein Auto rauszuholen und „brumm-brumm“ zu machen.

Es ist klar, dass gerade so radikal schnelle Informationsdienste wie Twitter unsere Kultur, mit Information umzugehen, verändern. Und auch, dass dadurch der Umgang untereinander ein anderer wird. Die Frage aber ist, ob das bedeuten soll, unseren Höflichkeitskodex der neuen Zeit als Opfergabe darzubieten. Hinter dem Wort „Höflichkeit“ steht ja am Ende nichts anderes als Respekt dem anderen gegenüber. Und Sie ahnen schon, Ihre Moralberaterin beantwortet die Frage mit „nein“. Man mag diese Haltung und die Frage als solche als Generationenproblem wahrnehmen, aber es ist mehr. Denn die Folge dieser „Unsitte“ ist die Beschädigung der Moderatorenrolle und der das Gespräch leitenden Person als Autorität der Runde. Das daraus resultierende Chaos kann unsere Gesprächskultur sich nicht leisten. Die Fernseh-Talkshows zeigen deutlich, dass es auch ohne diesen Verlust schon schwierig genug ist, eine Gesprächsrunde zu leiten, ohne wie ein Depp dazustehen.

Silke Burmester

schreibt an dieser Stelle als Kolumnistin.

Die freie Journalistin und Dozentin hat zuletzt ein Pamphlet gegen die Medienhysterie veröffentlicht: „Beruhigt Euch!“ (Kiwi 2012)

E-Mail: siburmester@aol.com

Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 89 bis 89 Autor/en: Silke Burmester. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.