Darf man fremde Twitter-Fotos professionell nutzen?

Das Problem

Manche Bilder sind einfach so gut, dass man als Bildredakteur nicht daran vorbeikommt. Der Absturz eines Hubschraubers in London, der in Tränen aufgelöste Promi direkt nach der Trennung – das schreit nach der Titelseite. Gerade bei spektakulären Ereignissen finden sich oft die besten Schnappschüsse im Netz, aufgenommen von Amateuren, die zufällig mit ihrem Smartphone in der Nähe waren, und nahezu in Echtzeit verbreitet über soziale Netzwerke wie Instagram, Twitpic oder Facebook. Und noch immer hält sich in vielen Redaktionen die Mär, dass Aufnahmen, die im Netz veröffentlicht sind, keinerlei rechtlichen Beschränkungen unterlägen. Wozu braucht man Rechte, wenn dasselbe Bild doch für jeden frei zugänglich ist?

Die Rechtslage

So einfach ist es nicht: Auch Bilder, die über Twitpic und Co. verbreitet werden, bleiben urheberrechtlich geschützt. Die AGB solcher Dienste sehen zwar regelmäßig eine – oft recht umfangreiche – Rechteeinräumung zugunsten des jeweiligen Anbieters vor. Dass Twitpic ein Bild veröffentlichen darf, heißt aber noch lange nicht, dass dies auch die „Bild“-Zeitung darf. Jedenfalls nicht, ohne die betreffenden Rechte vorher eingeholt zu haben. Bei den meisten Social Networks bleibt der ursprüngliche Fotograf Rechteinhaber und muss vor einer Print- oder Online-Veröffentlichung gefragt und gegebenenfalls bezahlt werden. Bei einigen Diensten (z. B. Flickr) hat es der Nutzer selbst in der Hand, wie mit seinen Bildern umgegangen werden darf: Er kann sie etwa mit einer Creative-Commons-Lizenz versehen und so bestimmte Nutzungen (etwa kommerzielle Verwendungen) ausschließen. Wenn hingegen der jeweilige Dienst sich ein umfangreiches ausschließliches Recht (auch zur Unterlizensierung) hat einräumen lassen, kann es sein, dass die Rechte dort erworben werden müssen. Das ist aber die Ausnahme: Als Instagram kürzlich versuchte, die Vermarktung der hochgeladenen Bilder per AGB zu ermöglichen, verlor es binnen weniger Tage über die Hälfte seiner Nutzer und ruderte schnell zurück. Bei Diensten amerikanischer Herkunft sind die AGB überdies nach deutschem Recht oft grundsätzlich unwirksam.

Die Rechte der Fotografen sind zudem oft nicht die einzigen, die eingeholt werden müssen. Sind Personen Gegenstand einer Aufnahme, so müssen auch diese ihre Einwilligung in die Nutzung geben, wenn es sich nicht um ein Ereignis von zeitgeschichtlicher Bedeutung handelt.

Die Praxis

Für die Redaktionen lohnt sich ein kalkulierter Rechtsbruch oft dennoch: Denn spektakuläre Bilder bringen Auflage. Die Klage eines Fotografen hingegen kann zwar auf einen Schadenersatzanspruch hinauslaufen – jedoch muss die Höhe des Schadens in der Regel geschätzt werden, da sich nur schwer nachweisen lässt, welcher Gewinn gerade auf die widerrechtliche Nutzung eines bestimmten Fotos zurückgeht. In der Praxis wird deshalb häufig auf die sogenannte Lizenzanalogie zurückgegriffen. Grundlage dieser Schätzung sind meist die Empfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (MFM). Die dort genannten Honorarsätze bilden den tatsächlichen Marktwert gerade bei spektakulären Aufnahmen aber nur unzureichend ab. Damit muss wieder der Fotograf nachweisen, dass er auf dem freien Markt ein deutlich höheres Honorar erzielt hätte. Für die Verlage ist die Rechtsverletzung damit eine rein wirtschaftliche Entscheidung: Wenn eine Verurteilung billiger ist als der Kauf einer Lizenz, dann nimmt man das Risiko eines Rechtsstreits gerne mal in Kauf.

Stephan Zimprich ist Rechtsanwalt im Hamburger Büro der internationalen Sozietät Field Fisher Waterhouse.

stephan.zimprich@ffw.com

Erschienen in Ausgabe 03/202013 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 74 bis 75 Autor/en: Stephan Zimprich. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.